wird sie ihr Vater schützen.«
»Ach! Ich dachte, du hältst ihn für einen pflichtvergessenen Strolch?«
»Aber ein Unmensch ist er nicht.«
»So? Und warum behandelst du ihn dann so?«
Sie sah ihn an und fand keine Antwort. Minuten später war Barbara in ihrer Küche allein. Draußen jagte ein Schauer den anderen, zwischendurch trommelten erste Hagelkörner ans Fenster.
Was war, wenn Gritli sich bei diesem Wetter aus Angst vor Sepp oder ihrem eigenen Vater aufs Felshorn flüchtete?
Thilo hatte sie eine alte Jungfer genannt. Das war bitter. War er vielleicht doch ein Unmensch?
Barbara trat ans Fenster. Warum dachte sie nur an sich? Jetzt ging es doch um Gritli. Nein, das Kind durfte kein neues Leid erleben. Nicht heute, bei diesem Unwetter.
*
»Gefällt es dir hier, Clara?« fragte Sepp zur gleichen Zeit und zwang den Blick der jungen Frau in seinen. Clara putzte ihre beschlagene Brille, setzte sie wieder auf und deutete zum Fenster hinaus. Selbst von dieser hochgelegenen Jausenstation, dem Jägerwinkl, konnte man kaum durch die Wand aus Regen und Hagel sehen.
»Sorgt deine Mutter sich nicht, Sepp? Du hast ihr gesagt, du gehst ins Holz. Kann so ein Sturm dort nicht gefährlich werden?«
»Agnes macht sich nie Sorgen, wenn ’s um die Arbeit geht. Und wenn sie merkt, daß du nicht in Tante Theres Häuschen bist, reibt sie sich schadenfroh die Hände und hofft, daß du endlich heimfährst.«
Er winkte die Bedienung heran und bat noch mal um zwei Gläser Tee.
»Sie haben doch Übernachtungsmöglichkeiten?« erkundigte er sich. Die Bedienung musterte die beiden Verliebten, die sich von ihrem Wanderweg gerade noch vor dem Unwetter in die Jausenstation geflüchtet hatten.
»Zwei Kammern haben wir.«
»Eine reicht für uns«, stellte Sepp fest und griff nach Claras Hand, um sie liebevoll zu tätscheln. »Das habe ich mir immer gewünscht, einen ganzen Tag und eine Nacht mit dir, Clara«, flüsterte er ihr zu.
Sie hielt seinem Blick stand. »Geplant war das nicht, Sepp.«
»Doch, der Thilo hat ’s gewußt und mir zugeredet.« Er lächelte verlegen. »Oder magst nicht?«
Sie legte den Kopf schief. »Ich habe nichts für die Nacht dabei.«
»Ach, so ein Schmarr’n! Mich hast dabei.«
Ein Windstoß fegte an die Fenster, daß sie klapperten. Hier drinnen war es trocken und gemütlich. Kein Gast war außer ihnen da. Die beiden hingen ihren Gedanken nach. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern verriet, daß sie ihr Schicksal, das sie vom Weg und hierher gebracht hatte, wie ein unverdientes Geschenk betrachteten.
»Die Brotzeit in meinem Beutel brauchen wir nicht«, überlegte Sepp. »Hier gibt ’s zum Abend bestimmt was Besseres. Magst du eine warme Suppe? Die wird dir bekommen, damit du dich nicht noch erkältest.«
»Ich bin abgehärtet«, behauptete Clara, sah ihn dabei aber zweifelnd an. Eine furchtbare Ahnung bedrängte sie. »Was ist, wenn dein Bruder dich vermißt?«
Sepp schüttelte den Kopf. »Nichts ist dann. Und selbst, wenn er sich Gedanken macht, der wird schweigen wie ein Grab.«
»Und Gritli?«
»Gritli ist froh, wenn sie mich nicht sieht.«
»Und wenn sie glaubt, wir sind aufs Felshorn gestiegen und sich um uns sorgt?«
Er hob die Augenbrauen. »Hast ihr das etwa erzählt?«
Clara nickte, und er stöhnte verärgert auf. »Die weiß, was ihr blüht, wenn sie was sagt.«
»Aber Sepp! Sie ist ein Kind und hat mich gern.« Sie sah ihn liebevoll geduldig an. »Und sie weiß auch, wie deine Mutter mich haßt und daß dir der Mut fehlt, zu mir zu stehen.« Aus Sepps Kehle rang sich ein leises Röcheln. Clara konnte darauf keine Rücksicht nehmen. »Wie kann ich dir vertrauen und an unsere Liebe glauben? Ich möchte es doch so gern. Aber bin ich denn nur ein Abenteuer für dich, Sepp? Wirst du mich nach dieser Nacht wieder nach München gehen lassen, nur, damit es zu keiner Auseinandersetzung mit deiner Mutter kommt?«
Die Bedienung brachte den Tee und legte Sepp dabei gleich die kleine Speisekarte vor. »In zwei Stunden gibt ’s Abendessen. Suchen Sie sich was aus.«
Sepp ließ der stämmigen Kellnerin einen dankbaren Blick zukommen. Nun mußte er Claras Frage nicht beantworten. »Haben Sie Braten und Knödel? Gut. Auch frischen Salat? Magst das, Clara?«
Sie nickte. Sie mochte alles, was mit ihm zusammenhing. Nur wollte sie dieses unwürdige Versteckspiel nicht mehr mitmachen. Dabei verstand sie sein ängstliches Zögern sogar. Es war die Erinnerung an Hannerls Tod, mit der die alte Frau nicht fertig wurde. Lieber sah Agnes Heimhofer ihren Sohn allein und unglücklich alt werden, als noch einmal eine zarte Städterin auf dem Berghof zu wissen.
Clara war nicht zart, sie aß viel zu gern. War sie hungrig, wurde sie sogar reizbar. Aber einen Mann wie Sepp durfte sie nicht die Pistole auf die Brust setzen. Sie sah doch, daß er es sich nicht leichtmachte. Also mußte sie Geduld haben.
Sepp wiederum schaute die schöne Holzvertäfelung in der niedrigen Gaststube an. So einen Raum wollte er mit der Hilfe seines Bruders auch im Berghof schaffen. Mit ein wenig Geschick und Thilos Kenntnissen mußte ihnen das gelingen. Er sah Clara an und stellte sich vor, wie sie dort als seine Frau im Winter auf ihn wartete und immer noch an seiner Weste strickte, oder sogar schon ein Babyjäckchen in Arbeit hatte. Er würde sie in die Arme nehmen und ihr von der Arbeit des Tages erzählen, und dann konnte nichts ihr stilles Glück trüben.
»Wenn Thilo bleibt, wird alles gut«, sagte er plötzlich. »Ja, dann wird alles gut. Thilo gönnt mir das Glück an deiner Seite, wie ich ihm seins damals mit dem Hannerl gegönnt habe.«
»Und wann weißt du, ob er für immer bleibt?«
»Wenn er keine Arbeit findet, muß er ja bleiben«, grinste Sepp. »Bis er das begreift, kann der Winter vorüber sein und es Sommer werden.«
Clara trank von ihrem heißen Tee und schaute wieder in den Hagelsturm hinaus. Nein, bis zum nächsten Sommer würde ihre Geduld nicht reichen. Alles nahm sie auf sich, nur nicht dieses Warten.
»Aber diese Nacht gehört uns, Sepp«, lächelte sie wie eine Verschwörerin, die die Hoffnung auf das große Glück noch nicht aufgeben kann.
»Dann weißt du also, wie lieb ich dich hab?«
»Ja, Sepp. Das ist das einzige, was ich wirklich weiß und woran ich mich immer festhalten kann.«
Sepp stand auf und setzte sich neben sie auf die gepolsterte Bank. In einem hinteren Raum klingelte das Telefon. Und nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Bedienung dorthin verschwunden war, schloß er Clara fest in seine Arme.
»Thilo wird nicht lockerlassen, bis Agnes dich bei uns duldet. Vertrau mir. Und dann werde ich mich ihr auch nicht mehr fügen.«
Er fuhr herum, weil die Bedienung sich mit schnellen Schritten näherte.
»Ist hier eine Frau Baumbeer?«
»Das bin ich!« meldete Clara sich erstaunt.
»Sie werden vermißt, Frau Baumbeer. Irgend jemand hat die Bergwacht alarmiert. Ich sage nur Bescheid, dann werden die Leute gleich hier sein.«
»Die Bergwacht? Moment mal!« Aber Sepp hatte zu lange gebraucht, um zu begreifen, was ihnen drohte. Er sprang auf und versuchte die Frau aufzuhalten. Aber es war schon zu spät.
»Ich bin verpflichtet, den Anruf zu erwidern!« rief sie und nahm den Hörer wieder auf.
»Und? Was wollen die von uns?« Clara fand das alles sehr lustig.
Sepp kam mit geballten Fäusten zum Tisch zurück. »Wer zum Teufel, hat