Ludolf Pelizaeus

Der Kolonialismus


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und wegen der Schätze, die sie mir raubten, Genugtuung geben!« Doch nun wird er ergriffen und gefangen.

      Die verbale Kommunikation des Atahualpa kann ihr Ziel nicht erreichen. Die Aussagen von las Casas nimmt auch de Bry auf, spitzt sie jedoch in vielen Punkten noch erheblich zu. Die Darstellung, dies fällt auf, findet irgendwo im imaginierten Lateinamerika statt. Im Vordergrund sind die großen Kanonen und die mordenden Spanier zu sehen. Im Zentrum des Bildes befindet sich die Sänfte, wobei als Szene festgehalten ist, wie Pizarro den Inka Atahualpa vom Thron reißt, während ein Mönch mit großem Kreuz daneben steht. Während die Spanier als brutal aber mutig dargestellt werden, erscheinen die Indianer als feige und als Flüchtende.

      In dem Bild wird also der Kampf von nackten Wilden gegen die brutalen, aber zivilisierten Spanier gezeigt: Nicht inkaische Soldaten oder Herrscher treten ins Bild, sondern Spanier und wilde Indianer, die genauso dargestellt werden, wie die Indianer in der Karibik. Damit werden die Untaten der Spanier noch erhöht. Wie Todorov herausgearbeitet hat, hatte bereits Columbus immer wieder auf die Nacktheit ohne Scham verwiesen: Die Indianer, denen die biblische Scham über ihre Nacktheit abgeht, befinden sich in einem Zustand unmittelbar nach dem Sündenfall. Es findet sich eine wichtige Grundannahme der Conquista, aber auch des Kolonialismus allgemein: Die konkrete Erfahrung hat die Funktion, die Wahrheit zu belegen, nicht zu befragen. So sind auch für de Bry gewisse Grundannahmen nicht hinterfragbar. Die Kolonialherren des 16., wie des 19., ja auch des 20. Jahrhunderts erwarten in Afrika oder Amerika »Wilde« anzutreffen, die es zu »zivilisieren« gilt und daher treffen sie diese auch an, weil sie die Annahme, dass es auch anders sein könnte, von vorneherein ausschließen.

      Ähnliche Grundmuster können wir auch in einem früheren, vom Aufbau sehr einfachen Holzschnitt finden, welcher bereits 1534 erschien und in der Chronik von Cristóbal de Mena und in derjenigen von Francisco de Xeréz zu finden ist. Das gleiche Ereignis wird aber jeweils ganz anders dargestellt. In der spanischen Illustration steht nicht spanische Grausamkeit, sondern der Akt der Inbesitznahme, des requerimiento im Vordergrund: Die Spanier verlesen auf spanisch einen Text, mit dem sie die Gebiete in Besitz nehmen und warnen, dass bei Widerstand gegen die Krone Krieg geführt werden dürfe. Die Quetcua sprechenden Indigenen können diese ihnen unbekannte Zeremonie nicht verstehen, die für die Spanier eine Huldigung bedeutet. Wie bei de Bry finden sich die Indigenen als primitive Nackte, wobei ihre Darstellung jedoch diesmal nicht durch ein negatives Spanienbild beeinflusst wurde. Das Problem der Sprache ist in der Darstellung zumindest erfasst, da der Dolmetscher, der den Priester begleitet, nur an der Seite gezeigt wird, er aber keine Funktion zugewiesen bekommt. Im Zentrum der Darstellung steht das Buch, dessen Schriftbild, wie der begleitende Text erläutert, den Inka irritiert. Da die inkaische Zivilisation keine Schrift kannte, sondern allein Kipus, also ein System von Knoten und Farben, die je nach Knotenordnung, Farbe und Schnurlänge für bestimmte Zahlenwerte standen, war das Buch etwas Unverständliches.

      Das Problem der Sprache ist ebenfalls insofern fassbar, als die Grundpfeiler des Wertungssystems in den Rahmen gestellt werden, die damit von Außen über das Geschehen wachen. Nicht allein das requerimiento im Bildzentrum vermag die Botschaft zu beinhalten, sondern es bedarf der flankierenden Figuren iustitia und veritas, um die Legalität des Dargestellten zu unterstreichen. Über allem schwebt der habsburgische Adler als Zeichen der Einordnung in den Eroberungszusammenhang.

      Die letzte betrachtete Darstellung ist jene aus der Feder des Guaman Poma de Ayala. Sie entstammt einer 1615 an König Philipp III. von Spanien gerichteten Schrift, die jedoch erst am Anfang des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurde und daher erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfassende Wirkmächtigkeit entwickeln konnte. Der Text von Guaman, der Quetcua sprach und auch schrieb, zweifelte die Majestät des Inka nicht an, sah in der inkaischen Gesellschaft in vielen Punkten ein Vorbild, welches es im christlichen Sinne wiederherzustellen galt. Und genau dies findet in seiner Darstellung Niederschlag.

      So lesen wir hier eine andere Beschreibung der Vorgänge: »Don Francisco Pizarro und Don Diego de Almagro und Bruder Vicente …begaben sich, wie Atahualpa Inka, [nach]… Cajamarca… Auf dem öffentlichen Platz stand in der Mitte sein Thron und Sitz, … hier setzte sich Atahualpa Inka.« Über der Szene im Bildzentrum thront denn auch der Inkaherrscher, der auf die vor ihm knienden Conquistadoren Pizarro und Almagro und den Betrachter herabblickt. Dem Quetchua sprechenden Guaman ist die Schlüsselposition, die der Übersetzer zu erfüllen hat, klar. Er stellt ihn daher deutlich an den rechten Bildrand, zeigt durch die Mischung von Kleidung aus beiden Kulturräumen und den Nasenring seinen Stand zwischen den Kulturen und bezeichnet ihn schließlich mit »Felipe lengua« (Philipp Zunge bzw. Übersetzer). Er gibt ihn also in der zentralen Rolle des Sprachvermittlers wieder. Neben der bildlichen Darstellung enthält aber auch der dazugehörige Text viele andere Sichtweisen. So berichtet Guaman von einem Streit zwischen Pizarro und Atahualpa. Nach Guaman habe der Inkaherrscher dem Conquistador widersprochen, als dieser behauptete, er sei von einem »großen Herrn« gesandt. Atahualpa antwortete, dass Pizarro wohl von einem großen Herrn gesandt sein möge, doch habe er mit diesem keine Freundschaft zu schließen, weil er ebenso ein großer Herr sei. Guaman stellt also den Inka auf die gleiche Stufe wie den spanischen König.

      Zudem lehnt der Verfasser des Textes Kreuzverehrung durch Atahualpa mit der Begründung ab, dass dieser selber verehrungswürdige Götter habe. Schließlich verwendet Guaman viel Raum für die Darstellung des Missverständnisses bei Übergabe des Evangeliums, welches der Inka mit den Worten genommen habe: »Gib mir das Buch, damit es zu mir spreche.« Atahualpa habe das Ohr an die Seiten gehalten und gesagt: »Wie, warum sagt es mir nichts? Das Buch spricht nicht zu mir.« Der Text berichtet weiter: »… und er warf das genannte Buch aus seinen Händen zu Boden. Daraufhin schrie Bruder Vicente und sprach: ›Hier Ritter, hiermit sind diese heidnischen Indianer gegen unseren Glauben !‹«

      Die Sicht eines »Betroffenen« wird also hier völlig anders als die eines Kolonialherren gezeigt, die Schwerpunkte werden anders gesetzt, kurz die Gesamtperspektive ist nicht diejenige von Herrschern und Beherrschten.

      Neben der Darstellung von Guaman aus dem 17. Jahrhundert existiert noch eine einzigartige Quelle, die von einem Inka 1570 selbst, und zwar in Briefform, diktiert wurde, nämlich dem Inka Titu Kusi Yupanki. Das Diktat entstand in Vilacabamba, wohin sich die letzten noch Widerstand leistenden Inka zurückgezogen hatten, und es enthält die Vision der Geschichte der Eroberung, die an den spanischen Gouverneur und an König Philipp II. gerichtet war, so dass der Bericht eine Art politisches Testament darstellt. Im Original auf Quetchua diktiert und von einem spanischen Mönch übersetzt, wurde auch diese Darstellung in ihrer Zeit nicht gedruckt. In diesem einzigartigen Dokument der vertriebenen Dynastie wird aber das Ereignis in Cajamarca nochmals anders dargestellt. Das Gesetz des Handels wird bei Yupanki in die Hand des Inka gelegt. Dieser habe sich freiwillig nach Cajamarca begeben, um dort, wie europäische Adelige auch, der Jagd zu frönen: »…langten in Cajamarca…vierzig oder fünfzig Spanier auf ihren wohl ausgestatteten Pferden an. … Atau Wallpa … brach sogleich mit seinem Gefolge auf, ohne Waffen zum Gefecht oder Harnische zum Schutz, nur mit Tumis…um jene Art von ›Lamas’ zu jagen: damit waren die Pferde gemeint…« Die Episode des nicht verstandenen Buches wird hingegen ausgelassen und stattdessen eine andere Geschichte erzählt: Atahualpa habe seinen Gästen etwas angeboten und stets das Gesetz des Handels in der Hand behalten: »Nachdem mein Onkel angehört hatte, was sie sprachen, wartete er ihnen stumm auf, indem er einen von ihnen…zu trinken gab, um festzustellen, ob diese Spanier das Getränk ausschütten würden, wie die beiden ersten Spanier. … sie tranken es nicht und kümmerten sich auch nicht darum«. Jetzt nach der Ablehnung, straft der Inka die Eindringlinge ab: »Als mein Onkel sah, wie gering sie seine Dinge einschätzten, sagte er: ›Wenn ihr mich gering schätzt, so werde ich euch auch gering schätzen’ Er erhob sich zornig und begann zu schreien, also wollte er die Spanier umbringen.« Erst jetzt hätten die Spanier zu handeln begonnen, indem sie Gewalt anwenden: »… warfen sie ihn gewaltsam aus seiner Sänfte hinaus, stürzten sie um und entrissen ihm alles, was er bei sich trug…Und da die Indianer laute Schreie ausstießen, töteten sie alle…«

      Es ist deutlich geworden, wie das gleiche Ereignis in Text und Bild ganz unterschiedlich dargestellt wird. Dies muss man sich aber stets vor Augen halten, denn nur die ersten beiden Versionen prägten die Vorstellungen in Europa, während die dritte