Ludolf Pelizaeus

Der Kolonialismus


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sich aber festhalten, dass beim Zusammentreffen der fremden Kulturen drei Kommunikationsebenen von Bedeutung sind, nämlich die sprachliche Kommunikation, die Zeichenkommunikation und schließlich die Gewaltkommunikation.

      Sinndeutung wurde in den Anden nur mündlich tradiert, was zu Schwierigkeiten mit der schriftlich geprägten Kultur der Kolonialzeit führen musste. Dies hatte zu Folge, dass später entstandene Erzähltraditionen schriftlich belegte Ereignisse mischten und damit neue Erinnerungsorte schufen. Als Beispiel dafür sei folgendes angeführt: Atahualpa wurde 1533 als Ketzer durch die Garotte hingerichtet, also stranguliert. 1572 wurde sein Vetter, der letzte Inca, Tupác Amaru I., enthauptet. Gemäß der Erzähltradition wurden aber Atahualpa wie Tupác Amaru enthauptet. Dies geschah, um die Geschichte mit einer magischen Bedeutung zu füllen. So wird gemäß dem »Mythos des Inkarrí« (Mythos des Inkakönigs) die Inkaherrschaft dann wieder beginnen, wenn Kopf und Körper des Inka zusammenfinden, da man nur den Körper Atahualpas in Cajamarca, den Kopf aber in Cuzco begraben habe. Diese Version des Todes, die übrigens von Guaman Poma aufgenommen wird, weist also dem Sterben eine neue Bedeutung zu, da dabei Kopf (Sonne) und Körper (Volk) getrennt wurden und nur bei deren Wiedervereinigung die Herrschaft wiederherstellt werden kann.

      Ähnlich wie die Inka weisen auch die Spanier der Geschichte ihren Sinn zu. Aus deren Sicht sind die Inka nicht nur Heiden, sondern der Sieg (Chronik des Miguel de Estete) wird durch den Heiligen Jakobus den Maurentöter (Santiago Matamoros) ermöglicht. Dieser steht den Spaniern im rechten Moment bei. Und so ist es auch kein Problem, den Gegner als »höllisch« und inkaische Tempel als »Moschee« zu bezeichnen. Die Indianer sind in der Sicht der Spanier wie die Moslems und die Juden Teufelsverehrer, weswegen man auch negative Darstellungen von Juden aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert auf Amerika umgedeutet findet.

      Für Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts bestand eine Parallelität zwischen Heiden- und Türkenkampf. Das bedeutet, dass die Eroberer ein Motiv aus Europa nach Amerika, Asien oder Afrika übertrugen und dieses Bild die Vorstellung in Europa prägte.

      Kaum ein Ereignis, ausgenommen der Reformation, hatte in der Frühzeit der Medienrevolution mehr Aufmerksamkeit erzielt, als der Vormarsch der Osmanen am Anfang des 16. Jahrhunderts. Im Zentrum der vielen Flugblätter und Darstellungen stand stereotyp die angebliche Grausamkeit der »Türken«. Wertende negative Bewertungen für die Christen wurden indes vermieden. Elemente der christlichen hemmungslosen Gewalt mussten umgedreht und in dieser Mediengruppe allein dem osmanischen Gegner zugewiesen werden, um einen neuen Sinnzusammenhang zu stiften. Obwohl die Osmanen aber bei ihren Feldzügen meist siegreich waren, setzte sich ihre Sicht der Dinge nicht durch. Der osmanischen Seite stand aufgrund des muslimischen Verbots, Lebewesen abzubilden, der Buchdruck oder das Flugblatt als Erinnerungsmedium nur eingeschränkt zur Verfügung. Allein gemalte Handschriften konnten die osmanische Sicht des Ereignisses fassen, die daher kaum Verbreitung fand. Die Handschriften waren allein für einen sehr privaten und im Gegensatz zum Druck nicht für den öffentlichen Raum bestimmt. Der Vergleich mit der ebenfalls als Handschrift vorliegenden Darstellung des Guaman Poma bewegt sich auf der gleichen Ebene.

      Insgesamt werden die Osmanen in der Druckgraphik oft als grausam, nie aber als Barbaren oder als Unzivilisierte dargestellt, was auch vizeversa nicht geschieht. Diese Beobachtung hat auch Almut Höfert für die Gattung Text hervorgehoben und darauf verwiesen, dass man die Osmanen zwar als Boten des Antichristen, nie aber als »nicht menschliche« Wesen betrachtet habe, während man in gelehrten Kreisen umfassend die Frage diskutierte, ob die Indigenen in Afrika und Amerika denn Menschen seien.

      Es wird darüber diskutiert, ob die englische Politik in Irland das Verhalten einer Kolonialmacht war. Manches spricht dafür, nämlich dass man in den Iren ebenfalls unzivilisierte Wilde sah, die missioniert und zivilisiert werden mussten und denen man mit Militär und einer importierten Verwaltung auf die Beine zu helfen hatte. Dagegen spricht, dass Irland als europäisch katholisches Land in den gleichen Werte- und Traditionskanon wie England eingebaut war und daher nie die gleichen Erfahrungen wie Länder in Afrika zu machen hatte. In Bezug auf das hier angesprochene Thema des fabrizierten Bildes passt aber auch Irland in das Schema der wichtigen Beobachtungen. Denn wie in Amerika, wurde die Sicht von außen allein von der siegreichen englischen Seite geprägt, da die orale irisch-gälische Tradition der englischen schriftlichen und bildlichen ebenfalls kein adäquates Medium entgegen zu setzen hatte. Die 1581 erschienenen Stiche des Engländers John Derricke waren zur Illustration der englischen Feldzüge in Irland 1570 gedacht. Auch hier erfolgte, wie in den Stichen von der Begegnung in Cajamarca, die stete Gegenüberstellung von Unordnung und Ordnung, von gepflegt und ungepflegt, von Ritterlichkeit und Verschlagenheit. Ziel ist daher nicht nur aus englischem, sondern letztlich aus zivilisatorischem Gesamtinteresse, die Unterwerfung. Und auch in diesem Bilderzyklus findet sich der Kulturvermittler. Wie Felipe tritt uns ein Bote als Wesen zwischen zwei Welten entgegen, also nicht nur zwischen Irland und England, sondern auch zwischen der auf oraler Tradition und der auf schriftlicher Tradition fußenden Gesellschaften.

      Hinzu kommt, dass, wenn auch mit deutlichen graduellen Unterschieden, Sprache und Zeremoniell bei der Phase der Unterwerfung von zentraler Bedeutung sind. Mehr als bei Columbus, und das gilt besonders auch für Hernán Cortés, haben die Eroberer zunächst mit dem vorhandenen System zu kooperieren und deren Sprache und Zeichen zu verwenden. Die Begegnung in Cajamarca zwischen Pizarro und Atahualpa ist aber auch gleichzeitig ein Beispiel für das Misstrauen durch das Nicht-Verstehen des Sprache, dass sich später auch in den verschiedenen Berichten, sei es von Cortés, oder für Peru durch Titu Kusi Yupanki, bzw. durch Anhänger von Pizarro, niederschlug.

      Diese Sicht des Fremden durch Berichte und Bilder, die nicht überprüft wurden oder nicht überprüft werden konnten, finden sich die ganze Neuzeit hindurch und prägen teilweise die Situation bis heute. In Zeitungen des 17. und 18. Jahrhunderts wurden Vorstellungen durch Texte transportiert. Im 19. Jahrhundert kamen dann in den Zeitungen, wie beispielsweise in der Leipziger »Illustrierten Zeitung« oder der »London Illustrated News«, Illustrationen in Gestalt von Holz- und Stahlstichen, ab der Mitte des Jahrhunderts häufig nach Fotovorlagen, hinzu. Auch bei Missionszeitungen griff man auf Fotos zurück, war man doch auf Spenden angewiesen und wollte man einerseits den Erfolg bei der »Zivilisierungsmission«, andererseits aber die Notwendigkeit zeigen, weiter tätig zu bleiben. Daher musste bildlich verdeutlicht werden, für was die zu spendenden Mittel verwandt werden sollten. Selbstverständlich betraute man europäische Künstler mit der Bildumsetzung, da die Rezipienten ein Bild erhalten sollten, das dem vorgeprägten entsprach,. Als die Fotografie erfunden wurde, waren Fotografen, die auch die negativen Seiten der Kolonialisierung vor Ort aufnahmen, wie der Italiener Felice Beato, der auch getötete Inder nach dem Aufstand gegen die Engländer fotografierte, eher eine Seltenheit. Ebenso selten blieben aber auch einheimische Fotografen oder Maler, denen es ermöglicht wurde, in ihrem Herkunftsland Aufnahmen zu machen und diese auch zu veröffentlichen. Ein Beispiel ist der Javaner Cassian Cephas, der im Dienst des Sultans von Yogyakarta stand und das Hofleben festhielt.

      Es war der Regelfall, dass Aufnahmen in den Kolonien von »Eingeborenen« inszeniert wurden: Im Studio konnte man eine »Wirklichkeit« aufbauen, wie sie in Europa erwartet wurde. Sorgsam wurden die Kostüme aus dem Kostümfundus festgelegt. Selbst wenn vor Ort fotografiert wurde, so ordnete man die zu Fotografierenden so, dass die gewünschte Aussage erreicht wurde. Stand bei der kolonialen Fotografie in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts das Abnormale, das Außergewöhnliche im Vordergrund, so begann man ab den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eher zu versuchen, die Ethnien des eigenen Kolonialreiches abzubilden und diese gleichsam der heimischen Bevölkerung in Aufnahmen vorzustellen. Es sollte eine Solidarität des Mutterlandes mit den Kolonien über das Medium Bild hergestellt werden. Dies geschah besonders über die Postkarte. Dabei war Deutschland bei der Produktion von 145 Millionen Postkarten jährlich vor dem ersten Weltkrieg führend. Allein 1907 erschienen über 300 Millionen Postkarten, also fast eine Million täglich. Dies macht die nachhaltige Prägung, die durch diese Druckwerke erfolgte, gut deutlich.

      Durch die Texte und Bilder wurden Zuschreibungen