Person wurde täglich schwieriger durch das wachsende Zeremoniell. In den Sälen und Vorhallen des Palastes waren Offiziere, Hofbeamte und Wachen aufgestellt; im Innern walteten einflussreiche Verschnittene; wem es sein Geschäft oder sein Rang möglich machten, bis zum Kaiser durchzudringen, musste nach orientalischem Brauch zur Anbetung niederfallen. Schon bei Anlass der Zusammenkunft Diocletians und Maximians in Mailand (291) bezeichnet der Lobredner Mamertinus76 die feierliche Cour als »eine im Innersten des Heiligtums verborgene Verehrung, welche nur die Gemüter derer mit Staunen erfüllen durfte, denen der Rang ihrer Würde den Zugang zu Euch verstattete«. Und bei den stummen Formen blieb man nicht mehr stehen, auch das bedenkliche Wort wurde ausgesprochen; der Kaiser nannte sich nicht mehr nach den so harmlos gewordenen Titeln des republikanischen Roms, dem Konsulat, der tribunizischen Gewalt usw.; er hiess jetzt dominus, der Herr77. Gegen den Titel rex hatte sich das römische Gefühl beharrlich gesträubt, weil sich verabscheute Erinnerungen daran knüpften; die Griechen aber, welche in Sparta und ihren halbbarbarischen Nachbarländern des Königtitels nie entwöhnt worden und denselben unter den Nachfolgern Alexanders Jahrhunderte hindurch gebraucht hatten, nannten ohne Bedenken die römischen Imperatoren von Anfang an βασιλει̃ς, Könige, weil bei ihnen die Behauptung der republikanischen Fiktion keinen Sinn gehabt hätte78. Jetzt ging man auch über diesen Titel hinaus und führte einen neuen ein, welcher das Verhältnis völliger Herrschaft und Dienstbarkeit ausdrückte. Daneben konnte bald auch eine wahre Vergötterung nicht mehr auffallen; über die verstorbenen Kaiser hatte ja längst der Senat das Kanonisationsrecht geübt, und tatsächlich hatte man den lebenden dieselbe Ehre immerfort erwiesen durch das Opfern und Schwören vor ihren Statuen, wenn man auch dabei den unbestimmten und deshalb unübersetzbaren Ausdruck »numen imperatoris« brauchen mochte. – Maximian hatte übrigens die Schwäche, sich wie Commodus und ähnliche Vorfahren im Reiche auf Münzen mit der Löwenhaut seines Namensheros abbilden zu lassen.
Ein Mensch von der Bedeutung und den Erfahrungen Diocletians nimmt die Last einer so gesteigerten Repräsentation nicht ohne genügenden Anlass auf sich; von ihm wissen wir überdies, dass er die Übelstände seiner Abgeschlossenheit öfter laut beklagte79. Er kannte den grossen Vorteil, der dem Regenten aus der persönlichen Berührung mit den Untertanen, vom Oberbeamten bis zum geringen Bittsteller, erwachsen kann. »Ihrer vier oder fünf«, sagte er, »tun sich zusammen, um den Kaiser zu täuschen; sie legen ihm einen Entscheid vor; er, zu Hause eingeschlossen, kennt die wahre Sachlage nicht; er darf nur das wissen, was jene sagen; er ernennt Beamte, die besser nicht angestellt würden, und setzt die ab, welche er an ihrer Stelle lassen sollte, und so wird auch der beste, der klügste Kaiser verkauft.«
Es lässt sich noch ein Grund anführen, der ihn trotz dieser klaren Einsicht zu den genannten Massregeln kann bewogen haben. Seit den Kriegen des Aurelian und Probus mochte sich der Hof und namentlich der Generalstab mit einer grossen Anzahl barbarischer Offiziere angefüllt haben, welche ihrer bunten Mischung und ihrer unrömischen Bildung nach auf den beinahe traulichen, kameradschaftlichen Ton des bisherigen Kaiserhofes gar nicht hätten eingehen können. Sodann waren80 an den verschiedenen Höfen bis zur grossen Verfolgung eine Menge Christen, welchen durch die feierlichere Haltung des Hoflebens manche unangenehme Erörterungen mit den Heiden abgeschnitten wurden. – Man liebte zwar, und selbst in Edikten, einigermassen das Pathetische, wie wenig aber gemeine Eitelkeit und Liebe zum Pomp den Imperator bestimmte, erhellt schon daraus, dass er seinen einzigen Triumph nach einer so gewaltigen Reihe von Siegen bis ans Ende seiner Regierung (303) verschob und ihn dann mit ganz bescheidenem Glänze abhielt81.
Immerhin hatte Diocletian in mehr als einer Hinsicht sehr offenbar mit dem altrömischen Wesen gebrochen. Es kam hinzu, dass er zu der Stadt Rom selber zu Anfang seiner Herrschaft in gar kein Verhältnis trat. Noch die Kaiser des dritten Jahrhunderts hatten in der Regel zu Rom auf dem Palatin gewohnt, weniger vielleicht aus Pietät für die geweihten Erinnerungen und die Heiligtümer der Weltstadt, als weil dieselbe durch ihre zentrale Lage und ihre Fülle von Pracht und Vergnügungen sich zur Residenz vor allen Städten eignete, und weil neben ihren alten Ansprüchen ihr auch ein Rest wirklicher Macht geblieben war. Denn hier wohnte der Senat, welcher vor noch nicht langer Zeit Kaiser abgesetzt, gewählt oder anerkannt hatte. Ihn aus der Stadt zu treiben wagte nur Elagabal, und sonst vor und nach ihm kein Imperator; andere traten ihn mit Füssen und suchten ihn zu demoralisieren; die klügsten setzten sich mit ihm in ein billiges Einvernehmen. Neben dieser Rücksicht nahm die Besorgnis vor dem unruhigen Pöbel und vor dem Rest prätorianischer Kohorten gewiss nur eine untergeordnete Stelle ein, wenigstens in dem Gemüt eines tüchtigen Regenten; für einen schwachen Fürsten aber war in Rom gerade so viel Gefahr als ausserhalb.
Wenn nun die Kaisermacht einmal aus Rücksicht auf die Grenzverteidigung geteilt werden sollte, so konnte Rom unmöglich der Wohnsitz eines der zwei oder vier Herrscher werden. Die Erhaltung der Reichsgrenzen stand höher als die Freundschaft mit dem Senat, welche letztere ein wahrhaft römisch gesinnter Fürst sich ausserdem wohl noch zu erhalten gewusst hätte. Maximian bekam seine Residenz in Mailand, welches bei dem erneuten Vordringen der Alamannen seit Probus' Tode beinahe ein Grenzposten heissen durfte und zugleich für die Sicherung Galliens so richtig gewählt war, als ein Punkt südlich von den Alpen sein konnte; musste er doch von hier aus zugleich Italien beobachten und in Afrika intervenieren können. Den kriegführenden Caesar Constantius finden wir am häufigsten in Trier, später auch in York. Diocletian liess sich zu Nicomedia in Bithynien, am Ende eines tiefen Golfes des Mare di Marmora nieder; von dort aus hatte er die Bewegungen der Goten und anderer Pontusvölker, namentlich die bedrohte untere Donau, im Auge und war zugleich nicht allzu entfernt von den Gefilden des obern Euphrat, wo sich die Kämpfe mit den Persern zu entscheiden pflegten. In den ersten Jahren war indes keine feste Residenz möglich; beide Augusti eilen von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, und ebenso in der Folge die Caesaren. Diocletians etwas quälerischer Baugeist hielt sich inzwischen schadlos, indem er ein Quartier von Nikomedien zu einem grossen, regelmässigen Palast umschuf, der vielleicht, wie der später zu Salona erbaute, die Form eines Feldlagers haben mochte. Man fand darin Basiliken, einen Zirkus, eine Münzstätte, ein Arsenal, besondere Wohnungen für seine Gemahlin und für seine Tochter82. Natürlich wuchs diese Stadt nun an, in der Art, wie Residenzstädte zu wachsen pflegen. Nikomedien sah zu Anfang des vierten Jahrhunderts aus wie ein Quartier (regio) von Rom83. In Mailand baute Maximian vielleicht das meiste von dem, was dann der Dichter des vierten Jahrhunderts84 bewunderte.
Rom musste, selbst wenn es keinen äusserlichen Verlust spürte, doch in hohem Grade empfindlich werden. Die schon erwähnte feindselige Quelle berichtet: der raubgierige Maximian habe sich an reiche Senatoren gemacht, welche fälschlich verklagt wurden, als strebten sie nach der Herrschaft, und so seien unaufhörlich die Lichter des Senats ausgelöscht, seine Augen ausgestochen worden85. – Jeder Versuch, Recht oder Unrecht hier auf beide Seiten billig verteilen zu wollen, ist erfolglos. In dem Werke des Zosimus, dem einzigen, welches in der Darstellung und Beurteilung von Diocletians Charakter und Herrschaft der Wahrheit und Vollständigkeit irgend nahekommen mochte, gibt es hier eine Lücke von zwanzig Jahren. Vielleicht schien eifrigen Christen die letzte grosse Verfolgung allzusehr zugunsten der Verfolger dargestellt, und sie fanden es leichter, das Werk zu verstümmeln als zu widerlegen; gerade wie damals die Heiden ihrerseits Ciceros Bücher von der Natur der Götter verstümmelten86, damit die Christen darin keine Waffen für ihre Polemik gegen die Vielgötterei finden möchten.
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