meist milesischen Kolonien164 zusammen, welche als nördlichste Vorposten des Hellenentums seit mehr als acht Jahrhunderten den Pontus zu einem »gastlichen« (euxeinos) machten. Ein Teil derselben hatte sich längst mit einigen barbarischen Stämmen zu dem sogenannten Bosporanischen Königreich verschmolzen, welches über die Hälfte der Krim und die jenseits der Meerenge von Kertsch beginnenden Abhänge des Kaukasus umfasste und also den Eingang des Asowschen Meeres, vielleicht auch beträchtliche Stücke von dessen Ufern beherrschte. Münzen und Inschriften gewähren eine Königsreihe ohne Unterbrechung bis auf Alexander Severus165, dann folgen zwischen Lücken die Namen Ininthimeuos, Teiranes, Thothorses, Phareanzes und unter Constantin 317 bis 320 nachweisbar ein König Rhadamsadis. Als Rom von den kleinen Königreichen seiner Ostgrenze eines nach dem andern zur Provinz machte, blieben nur Armenien und Bosporus verschont, welches sich dann mehr und mehr von Rom losgemacht und barbarisiert haben muss. Unter Diocletian erhoben die Bosporaner, mit Sarmaten verbunden, einen unglücklichen Krieg166 gegen ihre Nachbarn an der ganzen östlichen Seite des Pontus; Constantius Chlorus, der im nördlichen Kleinasien gegen sie im Felde stand, rief die Chersonnesiten auf, von Westen her in das bosporanische Land einzufallen, was denn auch mit vielem Erfolge geschah. Die Bosporaner mussten einen Vertrag eingehen, wobei sie fast die ganze Krim, bis auf die Gegend von Kertsch (Panticapaeum, die alte Hauptstadt des grossen Mithridat) an die Chersonnesiten verloren. Die griechische Kolonie hatte zu ihrem Glück ihre Lehnspflicht gegen das römische Imperium erkannt, während der Bosporusfürst bei der allgemeinen Not des letztern sich jeder Pflicht ledig glaubte. – Im Verhältnis zu den griechischen Küstenstädten hiessen diese Könige übrigens immer nur Archonten, welches in Hellas der Name der obersten Stadtbeamten zu sein pflegte; gegen die Nichtgriechen blieb es ihnen dafür übernommen, sich sogar »König der Könige« betiteln zu lassen, wie einst die Herrscher Persiens.
Doch wenden wir uns nochmals aus diesem kleinen Reiche nach Westen zurück. In dem reichen Kranze altgriechischer Kolonien, deren Fundstücke die Museen von Südrussland zu füllen beginnen, erwecken vor allem zwei unsere Teilnahme durch ihr eifriges Bemühen, das griechische Leben trotz der Umgebung rein und vollständig bei sich zu erhalten. Das siegreiche Chersonnesus, jetzt Sebastopol, war eine Kolonie von Heraklea am Pontus und dadurch mittelbar von Megara. Das nahe Vorgebirge Parthenium war die Stätte einer geweihten Erinnerung; hier stand noch der Tempel der strengen taurischen Artemis, welche bis zu Iphigeniens Priestertum durch Menschenopfer gesühnt werden musste; auf den Münzen der Stadt sieht man das Bild der Göttin. Unter der Römerherrschaft kam Chersonnesus noch einmal kräftig empor und erweiterte, wie gesagt, unter Diocletian sogar sein städtisches Gebiet, während es im Innern alle seine griechischen Einrichtungen und zu dem Siege die völlige Steuerfreiheit behielt167. Die Bürger bilden noch einen Demos; unter den Archonten, welche an der Spitze des Rates stehen, ist einer, nach dessen Namen man die Jahre zählt wie in Athen; es folgen städtische Beamtungen aller Art, Strategen, Agoranomen, Gymnasiarchen, vorzüglich Ehreninhaber städtischer Leistungen, welche den einzelnen oft teuer zu stehen kommen mussten. Eine Inschrift168 aus der letzten heidnischen Zeit zum Beispiel verherrlicht den Demokrates, Sohn des Aristogenes, nicht nur wegen trefflicher Vorschläge, Volksreden und zweimaliger Bekleidung der Archontenwürde, sondern auch weil er aus eigenen Mitteln mehrmals um des gemeinen Besten willen als Gesandter zu den Kaisern (Diocletian und Constantius?) gereist, weil er Feste und öffentliche Dienste aller Art aus dem Seinigen bestritten und in allen Dingen gewissenhaft gewaltet, »dem Erhalter, dem Unvergleichlichen, dem Freunde der Heimat, der edle Rat und das hehre Volk, zu Bezeigung des Wohlwollens«. Sein Lohn war dieser Stein und die alljährliche, feierliche Verlesung eines besondern Ehrendekretes. – Wie die freien Reichsstädte im spätern Mittelalter, besass die Stadt die trefflichste Artillerie; im Kriege mit den Bosporanern rückte sie sogleich mit ihren Kriegswagen aus, welche Wurfmaschinen trugen; auch ihre Ballisten waren berühmt.
Nicht minder griechisch hielt sich das einst mächtige alte Olbia169, eine Gründung der Milesier (unweit des jetzigen Oczakow). Von ihrer ionischen Herkunft gaben die Olbiopoliten noch in Sprache und Sitte deutliche Kunde; sie wussten die Ilias auswendig und vernachlässigten dafür die nichtionischen Dichter; mehrere angesehene spätgriechische Schriftsteller waren von hier gebürtig. Die innere Einrichtung und die Beamtungen gaben denen von Chersonnesus nichts nach. Von den umwohnenden Barbaren wusste sich die Stadt meist ganz frei zu halten, bisweilen jedoch war sie denselben zinspflichtig. Noch Antoninus Pius sandte ihr Hilfe gegen die Tauroscythen; wie sie sich aber in der Folge mit der ringsum in Bewegung geratenen grossen Gotenmacht abfand, bleibt noch zu entdecken.
Wie zum Trotz gegen die dauernd bedrohte Lage hatten die Griechen, soweit ihre Ansiedlungen an der Nordseite des Pontus reichten, eine ganz besondere Verehrung gegen das höchste alte Heldenideal ihres Volkes, Achilleus. Er ist der wahre Herrscher des Pontus (Ποντάρχης), wie er in vielen Inschriften heisst; in Olbia wie in allen Städten der Küste prangten seine Tempel; ihm ward geopfert »wegen des Friedens, der Fruchtbarkeit und der Tapferkeit der Stadt«170; festliche Wettkämpfe wurden ihm zu Ehren abgehalten im Spiel auf der Doppelflöte und im Diskuswerfen, vorzüglich berühmt aber war der Wettlauf der Knaben auf einer nahen Düne, welche den Namen »Laufbahn des Achill« führte, weil einst der Heros selbst hier einen Wettlauf angestellt haben sollte. Wohnten aber sonst auf der Düne Barbaren asiatischer Herkunft (das Völkchen der Sinder), so gehörte doch eine Insel des Pontus, Leuce, nicht weit von den Donaumündungen, ganz dem Schatten Achills171. Ein weisses Felsengebirge (so lauten die Schilderungen) steigt aus dem Meer, zum Teil mit überhängenden Wänden; keine Wohnung, kein menschlicher Laut weder am Gestade noch in den einsamen Talschluchten; nur Scharen von weissen Vögeln umschweben die Klippen. Heiliger Schauer beseelt die Vorübersegelnden; wer die Insel betritt, wagt doch nie, die Nacht daselbst zuzubringen; wenn man den Tempel und das Grab Achills besucht und die seit alten Zeiten von frühern Besuchern niedergelegten Weihgeschenke betrachtet hat, so besteigt man abends wieder das Schiff. Das ist der Ort, welchen einst Poseidon der göttlichen Thetis für ihren Sohn verheissen hat, aber nicht bloss zu seinem Begräbnis, sondern damit er selig fortlebe. Und Achill wandelt hier nicht allein; allmählich gibt ihm die Sage zu Begleitern andere Helden und glückselige Geister, die auf Erden ein schuldloses Dasein geführt, und die Zeus nicht in dem dunkeln Orkus lassen will. Mit Andacht schaute man auf jene weissen Vögel, welche dem Anblick nach den Halcyonen ähnlich schienen; vielleicht war dies die sichtbare Gestalt jener glücklichen Seelen, nach deren Los gerade das späteste Heidentum sich am meisten sehnte.
Fußnoten
119 Vgl. u. a. Am. Thierry, Hist. de la Gaule sous l'administration rom., Bd. 2. – Hallische Welthistorie, Zusätze, Bd. 6.
120 Dies die frühere chronologische Annahme; nach Preuss, a. a. O., S. 65, fiele der Sieg bei Vindonissa erst in eine weit spätere Zeit, um 298, und zwar erst nach der (unten zu erwähnenden) Schlacht bei Langres.
121 Hist. Aug., Bonosus, c. 14. – Dexippi fragm. 24 ap. Müller., Fragm. hist. Graec. III.
122 Guizot, Hist. de la civilisation en France, vol. I, p. 73.
123 Über den vermutlichen Ursprung dieser Kolonen hauptsächlich von angesiedelten Germanen seit Augustus vgl. Preuss, Kaiser Diocletian, S. 25 ff., wo der ganze Zustand Galliens eingehender