liess sich in Italien selber bisweilen die Räuberbanden nahezu über den Kopf wachsen; unter den Augen des gewaltigen Septimius Severus213 und seiner siegreichen Armee durfte der geniale Bulla Felix mit einer Bande von 600 Mann während zweier Jahre die ganze Via Appia brandschatzen; ein paar Jahrzehnte später wird ganz beiläufig214 an der genuesischen Riviera, bei Albenga, ein vornehmes, reiches Räubergeschlecht erwähnt, welches in eigenen Geschäften 2000 bewaffnete Sklaven aufstellen konnte. Von Isaurien und dem Zustand, welchen man dort duldete, ist bereits die Rede gewesen. Mit den ägyptischen Bukolen aber wurde schon Marc Aurel gezwungen, Krieg zu führen. »Sie standen auf«, sagt Dio, »und rissen auch die übrigen Ägypter zum Abfall fort; es führte sie ein Priester [und] Isidorus. Zuerst hatten sie einen römischen Hauptmann überlistet, indem sie ihm, als Weiber verkleidet, sich näherten, als wollten sie ihm Gold geben zur Freilassung ihrer Männer; darauf ermordeten sie ihn und seinen Begleiter, schworen über den Eingeweiden des letztern einen Bund und assen dann dieselben . . . In offener Schlacht überwanden sie die Römer und würden auch bald Alexandrien eingenommen haben, hätte nicht Avidius Cassius, der aus Syrien gegen sie heranzog, sie dadurch gebändigt, dass er ihre Eintracht aufzulösen und sie zu trennen wusste, denn einen Kampf gegen die ganze wahnsinnige Masse durfte man nicht wagen.«
Es waren vielleicht kaum ein paar Tausende eigentlicher Bukolen, und man könnte sie, wo es sich um Geschichte des Römischen Reiches handelt, wohl übergehen, wenn in diesen Dingen die Zahl entschiede. Dergleichen alte, unterdrückte, in neuer Barbarisierung begriffene Bevölkerungen würden wir im ganzen Reiche noch manche kennen, wenn die Provinzialgeschichte nicht so stumm wäre. – Der Name Bukolen, Rinderhirten, lässt einen Rest der alten Kaste dieses Namens vermuten; allein sie hatten wahrscheinlich mit keinen Rindern mehr zu tun, ausgenommen etwa mit den geraubten. Einer der mittlern Arme des Nils, unweit vom Meer, nährte durch seinen Überschuss einen grossen See, dessen sumpfiges Röhricht rings am Ufer der Wohnsitz, wenigstens der Schlupfwinkel dieser Parias war, vielleicht der ungesundeste Fleck von Ägypten, den ihnen schon deshalb kaum jemand streitig machte. Hier lebten sie teils auf Barken, teils auf Inselchen in Hütten; die kleinen Kinder banden sie an Riemen, welche nur so lang waren, dass sie nicht ins Wasser fallen konnten. Das Schilf war mit Wegen für ihre eigentümlichen Kanots durchschnitten, wo sich ausser ihnen niemand zurechtfand. Auch von Räuberdörfern ist die Rede, womit jedoch eben jene Ansiedelungen am See gemeint sein können. Zu diesen Bukolen zog sich nun alles, was mit der bürgerlichen Ordnung überworfen war; welche Sitten sich da ausbildeten, lehrt die Geschichte ihrer Empörung unter Marc Aurel; schon das Aussehen der Leute mit ihrem vorn bis auf die Augen, hinten lang herabhängenden Haar war fürchterlich215. – Welche Kontraste waren hier auf einem Raum von wenigen Tagereisen beisammen! Das reiche industrielle Alexandrien, der Räuberstaat im Sumpfe, und westlich am mareotischen See die letzten jüdischen, in der nahen nitrischen Wüste aber die ersten christlichen Einsiedler. – Die Bukolen selber wollten in der Folge vom Christentum nichts wissen; noch gegen Ende des vierten Jahrhunderts war unter diesen »wilden Barbaren« kein einziger Christ216.
Doch es ist Zeit, auf den Charakter und die besondern Schicksale der Ägypter in der spätern römischen Zeit zu kommen.
»Der Ägypter schämt sich«, sagt Ammian217, »wenn er nicht an seinem dürren, braunen Leib Striemen über Striemen aufzuweisen hat, die ihm wegen Verweigerung von Abgaben zuteil geworden. Man hat noch keine physische Qual zu erfinden vermocht, die einen recht verhärteten ägyptischen Räuber dahin gebracht hätte, seinen Namen zu bekennen.« – Dies war die Stimmung der untern Klassen gegen die Behörde. Bei jedem allgemeinen Unglück, gleichviel ob Krieg oder Misswachs, ging die erste Anklage gegen die Regierung; die Gesinnung der Massen war permanent aufrührerisch und wäre es auch gegen bessere Herrscher gewesen. In gewöhnlichen Zeiten offenbarte sich dies durch eine giftige Spottsucht, welche zwischen den kriechendsten Schmeicheleien hervorbrechend keine Grenzen kannte. Eine ehrbare römische Matrone218, welche als Gemahlin eines Präfekten in Ägypten wohnen musste, erschien dreizehn Jahre lang nicht öffentlich und liess keinen Ägypter ins Haus, um wenigstens ignoriert zu werden; wer sich aber nicht auf diese Weise schützen konnte, musste sich die schändlichsten Reden und Spottlieder gefallen lassen; »Dinge219, die den Alexandrinern selbst sehr hübsch vorkommen mochten, dem Betreffenden aber kränkend«. Bei Caracalla gerieten sie damit bekanntlich an den Unrechten; er entschädigte sich durch ein seit Jahren prämeditiertes Gemetzel vieler Tausende. Augustus und Nero220 waren klüger verfahren, sie hatten das Gespötte der Alexandriner überhört und sich an ihrem Talent des Schmeichelns und Applaudierens ergötzt.
Aber nicht nur nach oben, sondern auch unter sich zeigten die Ägypter ein Bedürfnis nach Zank und Streit, namentlich eine betrügerische Prozeßsucht ohnegleichen. Da sah man diese sonst düstern Menschen (moestiores) in wilder Schmähung, in glühendem Zorn aufflammen, und wäre es auch nur gewesen, weil man einen Gruss nicht erwidert, in den Bädern nicht Platz gemacht221, oder sonst irgendwie die bösartige Eitelkeit verletzt hatte. Da der geringste Lärm für Tausende gleichmässig verbitterter Menschen zum Signal des Ausbruches ihrer innern Gärung dienen konnte, so war immer eine allgemeine Gefahr bei diesen Händeln, und der Oberbeamte, welcher die Ruhe und den Gehorsam Ägyptens auf sich genommen hatte, konnte damit auch eine ganz unmenschliche Repression wenigstens beim Kaiser rechtfertigen. – Man wusste, es wurde nicht eher ruhig, bis Blut geflossen war222. Es charakterisiert namentlich Alexandrien, dass hier früher als irgendwo im Reiche, ja vielleicht schon zur Ptolemäerzeit, die Parteinahme für die Wagenlenker des Hippodroms223 regelmässig zu Mord und Totschlag führte.
Eines ist es vorzüglich, was solche uralte, missverstandene und misshandelte Nationen zu einer wahnsinnigen Anstrengung entflammen kann: ihre alte Religion, welche, obwohl entartet und jeder sittlichen Belebung fremd, doch wesentlich die Stelle des verlorenen nationalen Bandes vertritt. So ist den Ägyptern ihr Heidentum, später selbst ihr Christentum der Kanal geworden, in welchen sich die unbestimmte verhaltene Wut ergoss. Das Bedürfnis fanatischen Taumels war vorhanden; über den zufälligen Gegenstand verfügten Zeit und Schicksal. Das heidnische Rom hütete sich, in diesen Dingen Anstoss zu geben; die Kaiser machten Weihen und Opfer mit, wenn sie das Land besuchten; in den Bildwerken treten sie durchaus als altägyptische Könige auf, mit den Beischriften »der Ewiglebende, der Isis-geliebte, der Phtha-geliebte«; Tempel wurden von ihnen oder als Gelübde für sie erbaut, andere vollendet224. Aber innerhalb Ägyptens selbst war hinlänglicher Anlass zum religiösen Hader gegeben durch die Eifersucht von Tempel zu Tempel, welche sich besonders in abweichender Parteinahme für die heiligen Tiere aussprach. Juvenal und Plutarch haben uns Genrebilder dieses Inhalts hinterlassen, welche man mit ungeteiltem Ergötzen lesen würde, wenn nicht der Schattenumriss des ältesten Kulturvolkes der Erde doch immer etwas Ehrwürdiges hätte, das man ungern völlig in den Staub getreten sieht225. In der einen Stadt hat die Orthodoxie nichts dagegen, wenn man dasselbe Tier verspeist, welches in der andern angebetet wird; in Cynopolis (Hundestadt) wird ein Stör geschlachtet, was die von Oxyrynchus (Störstadt) alsobald durch Opferung und Verspeisung eines Hundes vergelten; darob entsteht zwischen beiden Orten blutiger Krieg, den die Römer durch Strafen stillen. So Plutarch; bei dem von Juvenal geschilderten schändlichen Überfall der Tentyriten gegen das in trunkenem Festjubel sorglose Ombos kömmt es nicht bloss zu den scheusslichen Verstümmelungen