rel="nofollow" href="#ulink_fd83fd31-20f1-54da-b75f-2ac0567fa61c">226. – Leicht konnte sich da die Sage bilden, einst habe ein alter König weislich den verschiedenen Orten verschiedene Tierkulte anbefohlen, weil ohne die daraus entstandene ewige Zwietracht das grosse unruhige Ägyptervolk gar nicht zu bändigen gewesen wäre. – Wir werden in der Übersicht des Heidentums auf diese gewaltige Religion, ihre Priester und Zauberer und ihr stolzes Verhältnis zum griechisch-römischen Heidentum zurückkommen müssen. Die noch immer am Leben befindliche und noch später bekanntlich im sogenannten Koptischen fortdauernde ägyptische Sprache227 war damals nicht mehr die wesentliche Trägerin dieser Religion. Menschen aus allen Gegenden des Reiches unterwarfen sich eifrig dem Modeaberglauben. Das überwiegend griechische Alexandrien besass vollends in seinen Fabriken und an seinem Hafen einen so fanatischen Pöbel als er sich irgend am Nil finden mochte, was besonders die Christen schwer zu empfinden hatten. Um ein volles Jahr kam man hier der Verfolgung des Decius zuvor (251)228, indem ein Wahrsager das Volk mit wilden Improvisationen aufgeregt hatte. Auch hier tritt die ausgebildete Henkersphantasie zutage, wie sie gedrückten Völkern eigen ist; man sticht die Verfolgten mit spitzigem Rohr ins Gesicht und in die Augen, schleift sie auf dem Pflaster, schlägt ihnen alle Zähne aus, bricht ihnen die Glieder einzeln, und dergleichen mehr, der gerichtlichen Folter nicht zu gedenken229.
Den Römern war der ganze Charakter dieses Volkes schon in geselliger Beziehung zuwider; wo man im weiten Römischen Reiche mit reisenden Ägyptern zu tun bekam230, konnte man auf irgendeine grobe Unschicklichkeit rechnen, »weil sie von Hause aus so erzogen waren«. Vor öffentlichen Personen, und mochte es auch der Kaiser sein, war ihr freches Schreien und Kreischen unleidlich. Um so weniger wurden Umstände gemacht, wenn es galt, Ägypten durch Strafen zur Besinnung zu bringen. Zu dem allgemeinen Reichsunglück, welches seit Mitte des dritten Jahrhunderts in Gestalt von Krieg und Pest die Erde entvölkerte, sollte für dieses Land noch besonderes Unheil kommen.
Unter Gallienus (254–268) begab es sich, dass der Sklave eines alexandrinischen Beamten231 auf militärische Weise mit Ruten gestrichen wurde, weil er (ohne Zweifel mit ägyptischem Hohn) gesagt hatte, seine Sandalen taugten mehr als die der Soldaten. Der Pöbel nahm Partei, und es sammelten sich dichte Massen vor der Residenz des Präfekten Aemilian, ohne dass man anfangs gewusst hätte, wem es eigentlich galt. Bald folgten Steine, Schwerter wurden gezückt, Wut und Lärm stiegen grenzenlos; entweder war nun der Präfekt das Opfer des Pöbels, oder (wenn er mit grösster Mühe Meister wurde) er hatte Absetzung und Strafe zu erwarten. In dieser Not erhob er sich zum Kaiser, wie es scheint auf Verlangen der Truppen, welche den indolenten Gallienus hassten und gegen die das Land bedrängenden Barbaren einer Anführung bedurften, die von kleinlicher Verantwortlichkeit frei sein musste. Er durchzog Ägypten, drängte die eingefallenen Völker zurück und behielt das Getreide im Lande; man durfte eine Rettung hoffen, wie der Okzident sie damals durch Postumus und seine Nachfolger fand. Aber als Aemilian bereits eine Expedition über das Rote Meer rüstete, gab ihn Ägypten dem von Gallienus gesandten General Theodotus preis, der ihn gefangen seinem Herrn schickte. Vielleicht wurde er an derselben Stelle im tullianischen Kerker zu Rom erdrosselt, wo einst Jugurtha den Hungertod starb.
Ob das Land noch insbesondere der Rache des Gallienus unterlag, ist nicht bekannt. Jedenfalls hätte es diesem nicht viel geholfen, denn bald nachher geht ihm Ägypten abermals verloren (261)232, einstweilen nur für kurze Zeit, allein unter Umständen der entsetzlichsten Art, die wir freilich nur ahnen können. Ein Jahr über ist Macrian Herr des Orientes; was für Kämpfe damals in Alexandrien wüteten und zwischen wem, ist unbekannt; nachher aber schildert der Bischof Dionysius die Stadt, wie sie unkenntlich geworden durch all die Greuel, wie die grosse Hauptstrasse, vielleicht jene von dreissig Stadien Länge, so öde liegt als die Wüste des Sinai, wie in den stille gewordenen Häfen der Stadt das Wasser von Blut gerötet ist, und der nahe Nilkanal voll Leichen schwimmt233.
Nochmals wird Gallienus Meister, aber unter seinen Nachfolgern Claudius Gothicus und Aurelian lässt die grosse Königin von Palmyra, die Enkelin der Ptolemäer, Ägypten, wenigstens Alexandrien zweimal für sich erobern234. Da zeigt sich (ähnlich wie damals in mehrern Provinzen) die letzte nationale Regung von grösserm Maßstabe bei dem sonst unkriegerischen, gealterten Volke; heftig nimmt man Partei für und gegen Zenobia; Volksheere verstärken (so scheint es) die beiderseitigen Truppen. Die Palmyrener bleiben Sieger; allein nicht lange hernach stürzt ihr eigenes Reich durch den grossen Feldzug Aurelians (273). Jetzt konnte die bisherige palmyrenische, römerfeindliche Partei unter den Ägyptern nichts als harte Strafe erwarten; vermutlich durch ihre Verzweiflung erhob sich ein reicher in Ägypten angesessener Seleucier, Firmus, zum Kaiser. Der einzige Referent235, den wir hierüber besitzen, verspricht zwar, die drei Firmus, welche damals in Afrika figurierten, nicht miteinander zu verwechseln; er schildert aber denjenigen, um welchen es sich hier handelt, den Usurpator von Ägypten, mit so fabelhaft auseinanderlaufenden Umrissen, dass man dieselben doch auf mehr als einen Menschen glaubt verteilen zu sollen. Sein Firmus reitet auf Straussen, kann aber auch einen ganzen Strauss und das Fleisch von Nilpferden verdauen, seiner Bekanntschaft mit den Krokodilen zu geschweigen; selbst einen Amboss lässt er sich auf den Leib legen und darauf mit Hämmern schlagen. Ebenderselbe ist der Freund und Genosse Zenobiens und einer der grössten Kaufleute und Fabrikanten von Ägypten. Mit dem Ertrag seiner Papierfabriken allein rühmte er sich ein Heer unterhalten zu können; er stand in grossen Lieferungskontrakten mit den Arabern sowie mit den Blemmyern, welche den Handel nach dem Roten Meere und dem innern Afrika vermittelten; häufig gingen seine Schiffe nach Indien. Mochte überall sonst der Kaiserpurpur von Offizieren, Provinzialadligen und Abenteurern aller Art umgeschlagen werden – für Ägypten ist es ganz bezeichnend, dass auch der Grosshändler den Versuch wagt, nachdem der unaufhörliche Krieg ihn ohnedies mit Ruin bedroht hat.
Aurelian aber wollte rasch mit dem »Throndieb« fertig werden; er siegte in einer Schlacht und belagerte ihn dann zu Alexandrien236. Hier scheint sich Firmus mit seiner Partei noch ziemlich lange in dem Bereich der alten Königsburg, Bruchion, gehalten zu haben; wenigstens fand es Aurelian, nachdem er ihn in seine Hände bekommen und getötet, für angemessen, jenes ganze herrliche Stadtquartier237 schleifen zu lassen. Da sank in Schutt der Palast der Ptolemäer, ihre prächtige Gruft, das Museion, an welches sich alle geistigen Erinnerungen des spätem Griechentums knüpften, und die Riesensäulen der Propyläen, über welchen sich noch ein hoher Kuppelbau erhoben hatte – der verwüsteten Theater, Hallen, Gärten usw. nicht zu gedenken. War es Rache, oder folgte der Sieger bloss strategischen Gründen? Man vergesse nicht, dass gewisse Gegenden des Reiches verhungern konnten, wenn das empörte Ägypten, wie noch unter Firmus geschah, die Ausfuhr zurückhielt. Immer bleibt es aber ein trauriges Zeichen für Herrscher und Beherrschte, wenn solche Opfer gebracht werden müssen, um einer Stadt die Fähigkeit der Empörung und Verteidigung zu benehmen.
Bei den Ägyptern wirkte dergleichen überdies nur wie ein Reiz mehr. Unter Probus (276–282) oder schon vorher kam einer der tüchtigsten Generale, der Gallier Saturninus, in das Land, den die frechen Alexandriner sogleich als Kaiser begrüssten. Entsetzt floh Saturnin vor dieser Zumutung nach Palästina; da er aber die grosse Seele des Probus238 nicht kannte, hielt er sich bei weiterem Nachdenken doch für verloren und nahm den purpurnen Peplos eines Aphroditenbildes jammernd um sich, während ihn die Seinigen adorierten. Sein Trost war: ich werde wenigstens