Petra Pansch

War das ein Leben


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kichernd, schwatzend über Gott, die Welt und besonders über ihr zukünftiges Leben als Ehefrau. Sie denkt an ihren viel zu früh und so sinnlos verstorbenen Mann und weint wieder einmal still vor sich hin. Das kann sie jetzt gerade, denn sie ist allein im Zimmer. Dann holt sie Schere und Nadeln, lächelt wieder und freut sich für ihre Tochter auf den bevorstehenden feierlichen Tag und trennt den Saum am Kleid auf.

      Auch für Hiltrud sieht es in Sachen Heirat nicht schlecht aus. Der Witwer von 30 Jahren, der um die Ecke wohnt, ist gar nicht abgeneigt, nachdem er sich von Hilde seinen Gehrock ändern ließ und Hiltrud bei dieser Gelegenheit kennen lernte. Er bewundert ihre Jugend und auch, dass sie gut Kochen und Backen kann. Besonders hat es ihm Hiltruds Kastanienkuchen angetan. Das hat ihn wohl überzeugt, denn nach nur vier Wochen macht er ihr einen Heiratsantrag. Emil ist eben ein sehr praktischer Mann in den besten Jahren. Ein wenig stolz ist er schon, dass sie zudem auch noch hübsch aussieht und nicht auf den Kopf gefallen zu sein scheint.

      Mutter Hilde ist zufrieden, dass sich ihre "Bemühungen" gelohnt haben, denn schließlich hatte sie ja die erste Begegnung der beiden im wahrsten Sinne des Wortes eingefädelt. Sie ist glücklich darüber, dass es bei den beiden tatsächlich "gefunkt" und die Liebe Einzug gehalten hat. Sie machen Nägeln mit Köpfen und Hiltrud benötigt nun auch noch ein Hochzeitskleid. Aber auch dafür findet sich eines im Truhenfundus.

      Die beiden Paare beschließen, im kommenden Sommer eine Doppelhochzeit zu feiern. Das passt doch gut. Das Fest wird dann auf dem Bauernhof von Ernas zukünftigen Schwiegereltern in Hohen Schönau gefeiert werden. Hiltrud und Erna träumen jetzt schon davon. Doch bis dahin müssen sie sich noch ein Weilchen gedulden.

      Dicker Schnee hüllt die Welt ein und beschützt die Saat auf den Feldern vor Frost. Jeder hofft auf eine gute Ernte in diesem Jahr 1919 und darauf, dass nun alles besser wird, obwohl jeder ahnt, dass der ständige Kampf ums tägliche Brot noch lange nicht zu Ende sein wird. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und der Bürger in Pommern ist besonders geduldig.

      Die Tage bis zum Frühjahr vergehen mit Alltäglichkeiten. Mutter Hilde bereitet ihre erwachsenen Töchter auf ihr zukünftiges Leben als Ehefrau vor. Frida spitzt interessiert beide Ohren, um zuzuhören. Aber oft geschieht es auch, dass die Kleine zum Spielen ins andere Zimmer geschickt wird, denn nicht alles ist für Kinderohren bestimmt. Das macht für das Mädchen eine Heirat nur noch geheimnisvoller und aufregender. Überhaupt kommt sie dieses Jahr nicht aus der Aufregung heraus, denn das Osterfest rückt näher und näher. Das ist der Zeitpunkt, wo Fridas neuer Lebensabschnitt beginnt. Sie freut sich von Herzen darauf, dass sie dann endlich in die Schule darf. Die Volksschule ist ein ganzes Stück von der Siedlung entfernt, aber das macht ihr nichts aus. Ein paar andere Kinder aus der Nachbarschaft gehen sicher den Schulweg mit ihr gemeinsam. Sie möchte endlich schreiben, lesen und rechnen lernen. Sie ist inzwischen sieben Jahre alt und ein großes Mädchen. Mutter muss ständig ihre Kleider ändern. Sie hat ihr auch schon gezeigt, mit Nadel und Faden umzugehen und Frida kann schon einen Knopf annähen, ohne sich ständig in den Finger zu stechen. Auch Socken mit dem hölzernen Stopfpilz zu stopfen, beherrscht sie inzwischen. Bis es soweit war, hat sie viele Tränen vergossen, weil sich der Wollfaden ständig verknotet hat. Das war schon ärgerlich, auch wegen der teuren Stopfwolle. Die Mutter ist stolz auf sie und findet sogar ihr altes Lächeln wieder.

      Der Frühling ist in diesem Jahr besonders schön. Die Menschen haben jetzt, wo Frieden eingekehrt ist, viel mehr Zeit und Muße, auf die Natur zu achten. Auch Frida ist mit ihrer Mutter oft an den Wochenenden draußen. Frida in ein luftig gehäkeltes rosa Strick-Jäckchen gehüllt und auf den Locken einen Strohhut mit blauen Satinbändern, die mit dem Himmel um die schönste Farbe wetteifern, so spaziert sie hinaus aus der Stadt. Mutter hält sie fest an der Hand. Sie passt in ihrem schwarzen Kleid, dem Überwurf und dem Hut mit Schleier, der einen Teil ihres Gesichts verhüllt, so gar nicht in diesen lauen Frühlingstag. Aber sie kann nicht über ihren Schatten springen, denn sie spürt die Trauer um ihren geliebten Mann. Durch Wiesenniederungen und am Wald entlang, spazieren sie bis zum Naugarder See. Frida wirft Kieselsteine ins Wasser und schaut zu, wie sie in den Wellen versinken und neue erzeugen. Später machen sie Rast unter einem hohen Baum. Die liebe Mutter hat auch daran gedacht, etwas Proviant mitzunehmen. Heute sind es Brote mit dickem Zuckerrübensirup und Frida leckt sich genüsslich die Finger sauber. Mutter ermahnt sie, eine Serviette zu benutzen. Fingerabschlecken, dass tun Schulmädchen nicht, sagt sie bestimmt, aber trotzdem liebevoll.

      Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Schulanfang. Mutter ist fleißig dabei, alles für diesen neuen Lebensabschnitt vorzubereiten. Sie näht ein strapazierfähiges Baumwollkleid mit passender Schürze. Hiltruds Lederranzen wurde von Boden geholt und mit Schuhwichse auf Hochglanz gebracht. Ein neues Schwämmchen baumelt schon, befestigt mit einem Bindfaden an einer Seite des Ranzens, und zeigt der „ganzen Welt“ ich bin der Tornister einer Erstklässlerin.

      Frida ist aufgeregt, ihre beiden Schwestern haben ihr bereits viel über die Volksschule erzählt und ihr auch die Angst vor dem Lehrer mit dem Rohrstock genommen. Dieser Stock wird die meiste Zeit als Zeigestock verwendet, so berichten sie froh. Nur böse Buben müssten ihn ab und an spüren, so wie beim Lehrer Lempel in Fridas Bilderbuch. Wie gut ist es doch, dass ich Erna und Hiltrud habe, freut sich die Kleine und schaut sich den neuen Holzkasten an, der heißt Griffelkasten, drinnen liegt der Griffel. Mit dem kratzt sie schon mal probeweise auf der Schiefertafel, ihr abwischbares „Schulheft“ im ersten Schuljahr. Erst im zweiten Jahr wird mit einer Schreibfeder und dunkler Tinte in Hefte geschrieben. So viele neue Dinge, die da auf die Siebenjährige zukommen. Frida kann abends kaum vor Aufregung ihre Augen schließen. Nach ihrem Nachtgebet plappert sie noch ihren ausführlichen Bericht an ihren Vater in den Abendhimmel. Dort oben im Himmel soll er das Geschehen hier unten Tag für Tag mitverfolgen können, damit er bloß nichts verpasst bis zum Wiedersehen.

      Dann der erste Tag in der Grundschule, der ihr mit einer Zuckertüte versüßt wird. Bunt ist diese, aus Pappe mit einem Osterhasenbild und Ornamenten verziert und so lang wie Fridas Arm. Sie freut sich und noch mehr darüber, was sie darin entdeckt: Süße Erdbeerbonbons, sogar eine kleine Tafel Schokolade mit Sammelbildchen, die sie so gern mag und Buntstifte für ihre Nachmittage zu Hause. Dann wird es ernst und sie sitzt mit den anderen Erstklässlern aufgeregt im Klassenzimmer. Vier verschiedene Klassenstufen werden von dem großgewachsenen Lehrer unterrichtet, der sich mit lauter Bassstimme Respekt verschafft. Der Rohrstock lehnt lauernd am Lehrerpult, aber am ersten Tag bekommt er keine Arbeit. Das gefällt Frida und sie hüpft fröhlich an der Seite ihrer Mutter und Schwestern nach der ersten Schulstunde nach Hause und der kleine Schwamm am Tornister schwingt fröhlich mit.

      Aber es geht noch nicht nach Hause, nein, es geht zu einem Fotografen, in ein richtiges photographisches Atelier gleich neben dem Rathaus. Der Meister erwartet sie schon. Geschäftig begrüßt er alle und die Schulanfängerin steht heute im Mittelpunkt. Frida wird fotografiert. Verlegen zupft sie an der rosa Schleife, die ihr die Mutter heute früh kunstvoll ins Haar gebunden hat und wartet darauf, was jetzt passieren soll. In dem riesengroßen Raum mit exotischen Palmenpflanzen, Truhen, Plüschsesseln, Lampen, Schaukelstuhl, einem bunten Schaukelpferd, Schirmen, Bärenfell, einem Grammophon und vielen anderen Gegenständen fühlt sie sich gar nicht wohl. Sie legt ihre Zuckertüte vorsichtig auf einen Hocker und fasst ziemlich keck, aber vorsichtig durch die Stäbe eines Vogelkäfigs und stupst einen bunten Papagei an, der täuschend echt aussieht. Sie merkt, hier wird geschummelt, der ist ja aus Plüsch. Herr Ladewig, der Fotograf stellt endlich seine gewaltige Stativ-Kamera in Position. Dann führt er die Debütantin zu einem hellen Korbsessel, in dem ihre Mutter bereits ganz kerzengerade sitzt. Er stellt Frida davor und sie muss wie eine Puppe ihre Hände vorm Bauch falten und auf die Zuckertüte schauen, die vor ihr auf einem Fußbänkchen liegt. Mutter muss ernst schauen und Frida darf in die große Linse der Kamera lächeln. Sie üben das erst ein paarmal, dieses posieren, bis es Meister Ladewig gefällt und er „superb“ ruft. Er ist zufrieden mit seinem Kunstwerk. Aber es dauert noch Tage, bis sie das Bild sehen werden, es muss nämlich erst noch chemisch behandelt werden, erklärt er, es wird entwickelt. Erst dann ist dieser Augenblick für die Ewigkeit festgehalten. So wird der Vater auch einmal dieses Foto sehen, wenn sie sich alle später im Himmel wieder treffen. Dann wird sie ihm erzählen, wie lange sie dabei still und steif zu stehen hatte, so denkt sie und glaubt fest daran. Ihre Mutter bezahlt noch den Fotografen und die Kleine staunt;