Petra Pansch

War das ein Leben


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nach Hause, Kunst machen, macht hungrig. Mutter holt die große Pfanne, Schmalz, Eier, Buttermilch und Frida springt hoch in die Luft vor Freude. Zur Feier des Tages gibt es Hefeplinsen mit Pflaumenkompott. Ihre beiden Schwestern sitzen wenig später mit am Küchentisch. Heute ist alles erlaubt, sogar die sonst so strengen Tischsitten sind gelockert. Beim Abwasch kehrt der Alltag wieder ein, das frischgebackene Schulkind trocknet brav ab und räumt das Geschirr später still und sittsam ein. Frida denkt dabei schon an den nächsten Tag, was dann so alles in der Schule passieren wird.

      Wie ein Bienenschwarm, so summt es im Klassenzimmer mit den vierzig Kindern. Die Neuen schauen noch ängstlich auf das Treiben und Raufen. Besonders die Buben sind ganz schön frech und laut. Frida setzt sich auf ihren Platz und legt den Griffelkasten auf ihr Pult, hängt den Ranzen an den Haken und rutscht aufgeregt hin und her. Die Klingel schellt laut und schlagartig kehrt Ruhe bei den hier versammelten vier Grundschulklassen ein. Der Lehrer schreitet, den unerbittlichen Rohrstock kurz mit jedem Schritt auf den Holzdielen aufschlagend, bis zu seinem Pult vor der großen Wandtafel. Dann beginnt der Unterricht und Lehrer Tetzlaw dirigiert souverän seine vier Klassen. Es gibt erstaunlicherweise keine Stockung und er sieht den kleinsten Unfug. Ein kurzes Antippen mit dem Rohrstock, das verschafft Herrn Tetzlaw dann den gehörigen Respekt.

      Frida lernt schnell mit dem Griffel auf ihrer kleinen Schiefertafel Buchstaben in Sütterlinschrift und Zahlen zu schreiben. Sie lernt viele Reime und Gedichte auswendig und das Kopfrechnen bereitet ihr Spaß. Sie erfährt viel über die Heimat, Tiere, Wald und Feld, über Benehmen, natürlich Religion, Singen und Turnen. Sie geht sehr gern mit den anderen Kindern in diese Volksschule. Ihre Mutter ist froh darüber und dies aus zweifacher Sicht, ihre Jüngste lernt gut und dazu ist der Schulbesuch jetzt kostenlos. So kann sie wieder Geld zurücklegen, um für Fridas Ausbildung zu sorgen. Denn sie hat später viel mit ihr vor. Sie möchte, dass ihr Kind alles machen kann, was ihr als Mädchen früher verwehrt war.

      An einem strahlenden Maientag läuten die Glocken die Doppelhochzeit ein. Das Wetter hat sich alle Mühe gegeben, damit dieser Tag, auf den Erna und Theo so viele Jahre warten mussten, im schönsten Blau leuchtet, die Sonne golden strahlt und ein leichter Wind in den blühenden Fliederbäumen spielt. Hiltrud und ihr Emil, der den besagten Gehrock trägt, mit dessen Änderung eigentlich ihre Liebe zart begann, schauen stolz in die Runde und begrüßen die Gäste. Die Orgel ertönt und die Brautpaare schreiten hintereinander und sehr glücklich durch die Evangelische Marienkirche bis zum Altar. Dort erhalten sie den kirchlichen Segen und gefeiert wird auf dem kleinen Bauernhof von Ernas Schwiegereltern in Hohen Schönau. Die Hochzeitsgesellschaft kutschiert fröhlich mit Pferden und Wagen durch die Felder dorthin. Drinnen im Hof steht eine lange Tafel, hübsch gedeckt und mit Frühlingsblumen geschmückt. Alles, was Küche und Keller zu bieten haben, wird aufgefahren. Das ist gar nicht so einfach in diesen Zeiten, denn die Nachwehen des vergangenen Krieges sind immer noch zu spüren. Aber die Ausrichtenden haben gut gespart und gehortet. So ist jetzt mehr als genug für alle da. Die Räucherkammer hat Schinken und Würste ausgeworfen, Schwein und Geflügel sind gebraten, Suppen dampfen, Kuchen, Torten, Pudding und Eingewecktes warten darauf, verspeist zu werden. Dazu genügend Bier und Wein zum Anstoßen. Die Brautpaare sind hübsch anzusehen, Erna in ihrem passend geschneiderten weißen Spitzenkleid und dem hübschen, langen Schleier. Hiltrud im duftigen beigen Kleid steht ihr nicht nach. Ihr aller Lachen klingt glücklich und sie lächeln froh in die Runde. Zur Feier des Tages steht ein Grammophon mit Kurbel und großem Trichter auf einem kleinen Tisch an der Seite. Und natürlich fehlen die Schelllackplatten mit bekannten „Gassenhauern“, so heißen in dieser Zeit die Schlager, nicht. Es darf später nach den obligatorischen Reden und Hochzeitsspäßen ausgiebig und bis spät in die Nacht hinein, getanzt und gefeiert werden. Mutter Hilde ist glücklich und froh, dass sich alles zum Guten gewendet hat. Sie dankt an diesem Abend Gott und hätte so gerne, wenn auch nur für einen Moment, ihren geliebten Mann an ihrer Seite gehabt.

      Am späten Abend gehen Mutter Hilde und Frida allein nach Hause. Das wird ab jetzt immer so sein, nur noch sie beide leben ab heute in der Wohnung, das ist noch ungewohnt. Mutter Hilde schließt die Wohnungstür auf und bringt Frida schnell ins Bett, die erstaunlicherweise ohne das kleinste Gegenargument ihr langes Nachthemd überstreift und sich geschwind ins Bett legt. Nach einem Gutenachtkuss schläft das Mädchen mit einem Lächeln auf den Lippen ein und träumt sich in den neuen Tag.

      Das Leben geht weiter. Die beiden frischgebackenen Ehepaare leben ihr eigenes Leben. Ab und zu trifft sich die gesamte Familie zum Kaffeetrinken oder zum Mittagessen. Über alles wird dann geschwatzt. Frida ist immer froh, ihre Schwestern zu sehen, denn die fehlen ihr schon sehr. Auf so einem Treff erzählt Hiltrud verschämt und doch sehr glücklich, dass sie ein Baby erwartet. Erna, die ältere, hört staunend zu, bei ihr hat der „Klapperstorch noch nicht angeklopft“. Von jetzt ab wird gehäkelt, gestrickt und genäht. War es früher für die Aussteuer der drei Mädchen, so jetzt für den neuen Erdenbürger, der im Frühjahr 1921 zur Welt kommen soll.

      Wieder wird es Winter und Ende Januar 1921 wird Hilde ins Haus ihres Schwiegersohnes Emil gerufen. Eilig stapft sie durch den hohen Schnee, denn ihrer Tochter geht es gar nicht gut. Hiltrud liegt mit hohem Fieber im Bett und erleidet eine Fehlgeburt. Lange Wochen ist sie geschwächt und unglücklich. Ihr Mann schenkt ihr einen grünen Wellensittich in einem hübschen Vogelbauer und wirklich, das muntert sie wieder etwas auf. Sie versucht ihm das Sprechen beizubringen und sitzt nach ihrer Genesung jede freie Minute bei ihm, um ihm ein paar Worte zu entlocken. Jetzt kommt sogar Frida gerne zu Besuch zu Hiltrud, obwohl sie eine gewisse Ehrfurcht vor Emil hat. Der wirkt auf sie immer etwas streng und ohne Humor.

      Vier Millionen Reichsmark für ein Brot; Frauen, die zum ersten Mal ihren Wahlzettel in eine Wahlurne werfen dürfen und der Stummfilm lernt das Sprechen. Das ist Deutschland in der Weimarer Republik. Seit dem der Kaiser seinen Hut nehmen musste, verändert sich das Land in allen Bereichen. Fortschritt auf der einen Seite und unüberwindliche Gegensätze auf der anderen. Die Auswirkungen des Krieges spüren die einfachen Leute noch immer doppelt und dreifach. Doch sie krempeln die Ärmel hoch, ohne viel zu klagen und finden sich damit ab. In Hinterpommern brauchen politische Umwälzungen sowieso immer länger, das liegt an der Bedächtigkeit und an der gewissen Sturheit seiner Bewohner. Zudem sind die Beamten in den Amtsstuben, die Lehrer, die Land- und Fabrikbesitzer, dieselben geblieben. Gut Ding braucht Weile und so sieht das Leben äußerlich so aus, wie zu Kaisers Zeiten. Halt, nein, doch nicht ganz. Der alte Zopf muss ab und der Bubikopf erobert auch das Land an der Danziger Bucht.

      Mutter Hilde staunt nicht schlecht als ihre beiden verheirateten Töchter eines Nachmittages mit kurzem Haarschnitt und Wasserwellen onduliert zum Kaffeetrinken erscheinen. Ihre erste Frage an die beiden: „Habt ihr eure Ehemänner um Erlaubnis gefragt?“ Nicht ungewöhnlich, denn der Herr des Hauses hat stets das letzte Wort. Frida steht staunend daneben und schaut auf die neuen Frisuren ihrer Schwestern. Doch ihre lange Lockenpracht, die gefällt ihr besser. Auch diese komischen Kleider mag sie nicht. Die Musik dagegen, diese Schlager, die summt sie leise, wenn sie mit der Mutter beim Nähen sitzt. Da hört Mutter Hilde schon mal, dass die Berliner Luft so einen besonderen Duft hat oder dass im Monde Schlösser liegen. Sie lächelt, ihr gefallen diese Operettenmelodien gut. Außerdem geht so das eintönige Umstechen der Säume mit der Nadel flinker von der Hand.

      Genauso flink vergehen die vier Grundschuljahre für Frida. Sie mag das Lernen, begreift schnell und hat eine schöngeschwungene Handschrift. Der Lehrer lobt sie oft und der Rohrstock hat bei ihr überhaupt keine Arbeit. Das Schulmädchen sitzt gerade und antwortet nur, wenn es gefragt wird. Na ja, um bei der Wahrheit zu bleiben, es gibt die eine oder andere Ausnahme, aber die ist ganz selten, da kann sie nicht ihr Mäulchen halten. Warum lassen sich die anderen mit der richtigen Antwort eigentlich so viel Zeit? Lehrer Tetzlaw drückt schon mal beide Augen zu und geht darüber hinweg. Er freut sich am Gedeihen der kleinen Frida und auch ihre Mutter respektiert er. Er weiß, dass sie es nicht einfach hat, in diesen Zeiten. Die Inflation fordert immer noch ihren Tribut und Witwe Hilde lässt ihre Nähmaschine fast rund um die Uhr rattern, aber das Geld reicht vorne und hinten nicht. Da ist es gut, dass sie zwei erwachsene Töchter hat, die ihrer Mutter treu zur Seite stehen. Besonders Erna, die ja mit ihrem Ehemann Theo bei ihren Schwiegereltern auf dem kleinen Gut wohnt, bringt oft Eier, Kartoffeln, Butter oder Schinken vorbei. Das sind dann immer Festtage für die kleine Familie. Mitte der zwanziger Jahre wird die Lage endlich