Bernhard Hennen

Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval


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denn es lenkte ihn von seinen düsteren Gedanken an die Heimat und die zurückgebliebene Familie ab. Zu gern hätte er gewusst, was im Park genau passierte. Die Menschen sahen freundlich aus und das war leider in Enis’ Alltag eher ein ungewohnter Anblick. Klar, die Helfer im Hotel waren freundlich zu ihm. Sie halfen ihm mit seinen Asylunterlagen, gaben Deutschunterricht und kümmerten sich um ihn, wenn es Probleme gab. In dem Städtchen jedoch wurden Enis und seine Freunde oft angestarrt. Mütter wechselten mit ihren Kindern die Straßenseite, Männer blickten sie grimmig an und manche Verkäuferin im Supermarkt beschattete die jungen Syrer geradezu, obwohl sie genug Geld in den Taschen hatten und immer alles bezahlten, was sie einkauften.

      Als Enis an diesem Nachmittag – es war ein Donnerstag – in den Hof herunterkam, herrschte dort helle Aufregung. Ein älterer Mann stand vor dem Hotel und sprach auf Deutsch mit den Helfern. Der Mann trug einen hellen Hut, er hatte einen Drei-Tage-Bart und viele Lachfalten um die Augen. Auf seiner Jacke war ein goldenes Logo zu sehen, das Enis schon von den Bannern am Zaun kannte. Enis drängte sich mit den anderen um den Mann, der so aussah, als ob er auf der anderen Straßenseite etwas zu sagen hätte. Es war schwer, etwas zu verstehen. Enis hatte gerade erst begonnen, die fremde Sprache zu lernen. Er schnappte ein paar Worte auf: Festival, Musik, helfen. Die Dolmetscher kamen kaum nach mit der Übersetzung. Nach einigem Hin und Her wusste der Syrer, worum es ging. Der Mann mit dem Hut wollte den Menschen im Hotel gern eine Freude machen und lud sie auf das Festival ein, das am Wochenende stattfinden würde. Wer also Lust hatte, konnte am Samstag in den Park kommen und ein paar schöne, unbeschwerte Stunden verleben. Enis freute sich! Das war eine willkommene Abwechslung in seinem Alltag. Aufgeregt lief er die Treppen hinauf, um seinen Zimmergenossen davon zu erzählen. Gemeinsam beschlossen die jungen Männer, das Festival zu besuchen, das am nächsten Tag beginnen sollte.

      Den Freitagabend verbrachte Enis damit, von seinem Balkon aus das bunte Treiben im Park zu beobachten. Viele Menschen tummelten sich dort, es gab Musik, die Enis noch nie zuvor gehört hatte. Er erkannte vertraute Klänge, schließlich hatte er in Syrien nicht hinter dem Mond gelebt, es gab Internet. Die Leute im Park tanzten vor der großen Bühne und ihre farbenfrohe Kleidung verschmolz vor Enis’ leuchtenden Augen zu einem bunten Flickenteppich. Er hörte die Festivalbesucher lachen und singen, hier und da flackerte ein Feuer und jeder schien glücklich und entspannt zu sein. Enis stand lächelnd auf seinem Balkon und an diesem Abend konnte er vor Aufregung fast nicht einschlafen.

      Der Samstag begann mit Sonnenschein und Enis suchte in seinem kleinen Schrankfach nach ein paar Kleidungsstücken, die er tragen konnte. Er wollte heute besonders gut aussehen, deswegen fiel seine Morgentoilette ausgiebiger aus als normalerweise. Sorgfältig kämmte er sein Haar, rasierte sich und zog sein bestes Hemd an. Zum Glück hatten die Bewohner des Hotels neue Schuhe und Hosen bekommen, die ihnen von hilfsbereiten Stadtbewohnern gespendet worden waren. Zusammen mit seinen Freunden ging er zuerst an den kleinen See hinunter, wo sie die kleine Familie aus Afghanistan trafen, die auf demselben Flur lebte. Enis staunte über die Wiese am See, denn die hatte sich in einen Strand mit Palmen, Sonnenschirmen und verschiedenen Ständen verwandelt. Sogar ein Floß gab es, auf dem es sich als Piraten verkleidete Männer und Frauen gut gehen ließen. Auf den vielen Bänken saßen die Besucher, die miteinander sprachen und irgendetwas aus Kokosnüssen tranken. Niemand achtete auf Enis und seine Freunde und falls sie doch jemand bemerkte, wurden die jungen Männer freundlich gegrüßt und angelächelt. Das hatte Enis nicht erwartet!

      Im Park selbst begegneten ihnen nur lächelnde Menschen. Dort spielte ebenfalls überall Musik und Enis genoss es, sich durch die Besucher treiben zu lassen. Mit dem bisschen Geld, was er in seiner Hosentasche hatte, gönnte er sich ein orientalisches Mittagessen aus Rindfleisch, Bohnen und Couscous – das erinnerte ihn an seine Heimat. Viel gab es zu sehen und zu entdecken auf diesem Festival, so dass die Stunden bis zum Abend wie im Flug vergingen. Enis konnte die Strapazen seiner Flucht für eine Weile vergessen und fiel in dieser Nacht sehr glücklich in sein Bett.

      Am Sonntag weckte Enis die Musik. Er war erst so spät in sein Zimmer zurückgekehrt, dass er fast bis zum Mittag geschlafen hatte – zum ersten Mal seit Wochen ohne Albträume. Das Wetter meinte es gut mit dem Festival. Die Sonne schien und Enis machte es sich auf seinem Balkon gemütlich, um ja nichts von dem Geschehen im Park zu verpassen. Wieder war die Musik fremdartig, aber längst nicht mehr so unbekannt wie an den Tagen zuvor. Die Ansagen der Musiker verstand Enis nicht immer, obwohl sie manchmal auf Englisch waren – das hatte Enis in seiner Heimat gelernt und konnte es normalerweise gut verstehen. Doch diese eine Gruppe, die am Nachmittag auf der Bühne stand, musste eine andere Sprache sprechen. Es klang weder nach Deutsch, noch nach Englisch, noch nach einer Sprache, die Enis jemals gehört hatte. Dafür gefiel ihm die Musik sehr! Enis fing auf seinem Balkon an zu tanzen. Er war so darin versunken, dass er nicht bemerkte, dass er vom Park aus beobachtet wurde.

      Dort saß eine junge Frau in dem abgesperrten Bereich hinter der Bühne an einem Tisch und sah ihm beim Tanzen zu. Sie hatte ein Büchlein vor sich, in dem sie sich Notizen machte. Sie war auf dem Goldberg als Redakteurin zu Gast und schrieb an ihrem Festivalbericht. Später stand darin: »Von Irxn aus Bayern bekamen wir nur wenig mit. Ein kurzer, aber typischer Selb-Moment jedoch beeindruckte mich. Während die Band auf der Schlossbühne spielte und ich mich am Pressezelt auf das nächste Interview vorbereitete, sah ich in der benachbarten Flüchtlingsunterkunft einen Mann zur Musik von Irxn auf dem Balkon tanzen. Die Münchner Formation spielt Folkrock mit Texten auf Bayrisch, aber der Mann auf dem Balkon genoss einfach die Musik, ohne ein Wort zu verstehen, und zauberte mir damit ein Lächeln ins Gesicht.«

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      © Jo Fischer

      Stefanus Rex

      Stefanus Rex, bürgerlich Stefan Sacharjew, erblickte 1981 das Licht der Welt im fernen Sofia, wuchs in und um Berlin auf. Seit 2006 ist er Mitglied von Corvus Corax. Schon beim ersten Festival-Mediaval 2008 durfte er auf der Bühne stehen. Seitdem war er mit Corvus Corax und Berlinksi Beat regelmäßiger Gast. Das Festival-Mediaval gehört für ihn eindeutig zu den Höhepunkten der Festival-Saison. Stefanus, studierter Historiker, frönt neben der Musik auch seiner zweiten Leidenschaft: dem Schreiben. In seinen satirischen Texten verarbeitet er mit einem Augenzwinkern die Geschehnisse des Alltags. Derzeit schreibt er an seinem Debütroman.

      www.stefanusrex.blogspot.com

      Schwurbel I. – König aller Reptiloiden

      Wie Sie mich hier bei Naseweis sitzen sehen, trinke ich grad mein fünftes Bier. Ich habe mein Konzert schon gespielt, da ist das nicht so schlimm.

      Aber warum tue ich das, fragt sich der ein oder andere jetzt. Tja, Ich hatte eine Begegnung der dritten oder vielleicht auch eher der vierten Art.

      Es geschah auf dem Weg hierher nach Selb zum Festival-Mediaval. Auftritt mit meiner Band. Immerhin sind wir seit dem ersten Festival dabei und immer wieder gerne hier.

      Ich saß also hinten in einem Taxi und tippte geschäftig auf meinem Handy hin und her.

      Es folgte eine, Stunden später noch immer nachhallende, Fahrt durch die Welt der geistig Erwachten oder meiner Meinung nach eher geistig Eingebrochenen.

      »Sie sollten nicht so viel mit dem Handy rummachen …«

      Ich ignorierte den Fahrer, er sollte mich ja schließlich nur vom Hotel zum Festplatz chauffieren und mir nicht erklären, wie ich mein Leben zu leben hätte.

      Ich hatte jedoch nicht mit der Beharrlichkeit dieses Herren gerechnet.

      »Sie sollten nicht so viel mit dem Handy rummachen«, wiederholte er. »Die Strahlung unterbricht die Verbindung zu Ihrem Schawarma.« Nun schaute ich doch auf. »Was für ein Falafel?«

      »Schiwuma! Ihr spiritueller Begleiter in dieser Welt.«

      Erst jetzt schaute ich mir den Herren genauer an. Ein Mann, Mitte 50, schütteres blondes Haar, Bierbauch und eine Brille aus den 80ern.

      »Sehen Sie, es verhält sich nämlich so …«, startete Schawarma. »Der Schiwuma reinigt Ihren Geist. Er ist eine Art Engel, den Jesus auf unsere Welt geschickt hat, als die Erde in fremde