Klosterbrenner zu finden versuchte? Oder doch der Fluch, den die Götter des Südens über den Plünderfahrer gesprochen haben sollten? Gab es den Drachen mit den goldenen Schwingen und den roten Schuppen wahrhaft? Hoch wie ein Turm, wenn er sich aufrichtete, und mit einem Atem, dessen Feuer ein ganzes Langhaus umhüllte?
Die Zuhörer vergaßen, aus ihren Methörnern zu trinken. Die Burschen, deren Aufgabe darin bestand, sie stets gefüllt zu halten, hatten nichts zu tun. Das war ihnen wohl nur recht, auch sie lauschten gebannt der Erzählung von Giftschlangen, die auf Ästen lauerten, und Wurzeln, die nach den Füßen der Wanderer zu angeln schienen. Einer der Skalden versuchte, Orms Melodie auf der eigenen Leier zu begleiten, aber die anderen hielten ihn schnell davon ab. In Orms Vortrag gab es keine starre Abfolge von Tönen. Er gewann die Stringenz durch die Stimmung, die sich ständig fortentwickelte. Das zuvor wild mitgrölende Publikum war jetzt von Spannung darauf erfüllt, was die beiden Wanderer im Wald erwarten mochte.
»Es tut sich auf der Höhlenschlund.
Tief, dunkel – was mag wohl dort sein?
Der Skalde fragt: Geh’n wir hinein?
Mut ist doch unsres Kommens Grund!«
Dass Arrim inzwischen angespannt wie ein fluchtbereites Karnickel in seinem Sessel saß, beachtete Orm ebenso wenig wie die Hetfrau, die ihren Zorn nur mühsam zu beherrschen schien.
Orm schilderte den bestialischen Gestank, der aus der Höhle wehte, und die vorsichtige Annäherung der beiden Jünglinge. Der Fäulnisgeruch ließ ihnen beinahe die Sinne schwinden, doch Silberglanz lockte sie weiter. Sie fanden einen Hort. Der Skalde nahm einen silbernen Helm an sich, den Orm genauso beschrieb wie jenen, der hinter ihm auf der Lanze thronte. Arrim dagegen schleppte sich mit einem juwelenverzierten Handspiegel zurück ins Freie. Die Jünglinge lachten und füllten die Lungen mit frischer Luft, die ihnen in diesem Moment so kostbar erschien wie Balsam aus dem Reich der Ersten Sonne.
»Doch Donnerkeil und Feuerstoß!
Groß Echsenleib aus Dickicht bricht.
Arrim den eignen Fuß sich sticht.
Tatzelwurm brüllt: Zwei seid ihr bloß?«
Natürlich hatte der Tatzelwurm keine echte Frage gestellt. Die sechsbeinige Bestie war der Sprache nicht mächtig. Sie hatte wenig mit einem edlen und tödlichen Drachen gemein. Ihr zu begegnen war Glück und Unglück zugleich. Wäre es tatsächlich der Hort eines feuerspeienden Drachen gewesen, den Arrim und der Skalde entdeckt hatten, es wären an diesem Tag nicht nur die Träume der Schatzsucher zu Asche geworden, sondern auch sie selbst. Ein Tatzelwurm war eine üble Bestie. Ein stinkendes, geschupptes, sechsbeiniges Ungeheuer. Doch einem echten Drachen kam er nicht gleich.
Ein Drache hätte vielleicht sprechen können. Womöglich sogar zaubern. Wahrscheinlich wäre er klug und gnadenlos gewesen. Ein Tatzelwurm war nur eine stinkende Bestie, getrieben vom Instinkt, ihren Hort zu verteidigen, als hätten die beiden sich an ihrer Brut vergangen. Ein Drache für Arme, die rechte Gestalt für die Parodie eines Heldenliedes. Und doch war es eine Begegnung von tödlichem Ernst: Das Maul schnappte, der faulige Atem verbrannte die Gesichter der jungen Männer, die erschrocken das Weite suchten.
Belustigung. Spannung. Das Publikum ging mit, doch das genügte Orm nicht. Seine Kunst war zu mehr fähig.
Wieder pausierte Orms Gesang, während das Leierspiel die Stimmung drehte. Etwas Fragendes mischte sich hinein. Es wurde zu einer Anklage.
»Nun Arrims Tapferkeit verbrennt.
Arrim schreit, heult, furchtbar jammert,
am Skalden sich der Recke klammert
bevor er rennt und rennt und rennt.«
Orm berichtete davon, wie Arrim Schwert und Spiegel fallen ließ, auf einen Baum floh, quiekend wie ein Ferkel und mit dem schnaubenden Tatzelwurm dicht hinter ihm. Es hätte eine witzige Schilderung sein können. Mühelos hätte Orm sein Publikum dazu bringen können, wieder lachend und grölend auf den Tischen herumzuspringen.
Aber er gestaltete seinen Vortrag anders. Er legte Tragik in die Stimme, Bitterkeit sogar, und die Saiten der Leier untermalten diese Stimmung.
In seinem Lied erkannte der verzweifelnde Arrim, dass der Tatzelwurm den Baum zwar nicht erklimmen, wohl aber umwerfen könnte. Das Biest kratzte mit seinen Krallen daran und verlegte sich dann darauf, mit Anlauf seinen schlangenähnlichen Leib gegen den Stamm zu werfen.
»In höchster Not der Arrim schreit,
Ast wie Mutterbrust umklammert.
Er greint, er brüllt, schluchzt und jammert.
Zum Kämpfen ist er nicht bereit.«
Jetzt kam der Auftritt des Skalden: Er nahm das Schwert, das Arrim fallengelassen hatte, und schlug damit auf den Hinterleib des Tatzelwurms ein. Der Stahl erwies sich als zuverlässig, der Schuppenpanzer brach. Zornerfüllt ließ die Echse vom heulenden Arrim ab.
Und wandte sich dem Skalden zu, der sich nun nicht nur einem reißzahnbewehrten Maul und messerscharfen Krallen gegenübersah, sondern auch von brühend heißem Atem ins Gesicht getroffen wurde. Geblendet warf er sich herum und rannte davon.
»O Arrim, Arrim, hilf mir doch!
Der Skalde durch den Wald nun hetzt,
doch Arrim, der bleibt still entsetzt.
Der Skalde flüchtet in ein Loch.«
Diese Zuflucht gewährte jedoch nur trügerische Sicherheit. Die Klauen des Tatzelwurms wühlten das Erdreich auf. Der Skalde rief den Gefährten um Hilfe, doch Arrim zog es vor, sich den Silberhelm zu schnappen, den der Skalde zuvor aus dem Hort geborgen hatte. Als der Gefangene mit knapper Not aus dem Loch entkam – mit mehr Glück als Verstand gelang es ihm, dem Gegner eine Kralle abzuhauen, was diesen kurzzeitig verwirrte –, suchte Arrim bereits mit dem Schatz das Weite.
Der Skalde dagegen setzte seine Flucht fort. In einer verzweifelten Parade ging er des Schwerts verlustig. Er benutzte die abgehauene Kralle des Tatzelwurms für Stiche wie mit einem Dolch. Den letzten Ausweg nutzend, warf er sich in einen reißenden Bach, der ihn davontrug. Der Tatzelwurm verfolgte ihn eine Weile, aber sein Revier endete wohl an einigen Stromschnellen, wo er zurückblieb. Der Skalde bezahlte seine Rettung jedoch mit üblen Prellungen.
»Arrim hilft seinem Freunde nicht.
Er wollt’ es wohl, doch fehlt der Mut.
Das Bärenwappen find’t er gut,
doch Angst im Hasenherzen sticht.«
Orm verzichtete auf einen gefälligen Ausklang. Er schloss seinen Vortrag mit einigen abrupten Misstönen ab.
Schweigend sah die Menge ihn an. Nur Arrim wich seinem Blick aus. Der Recke, dem die heutige Feier galt, betrachtete nicht mehr den Fjord. Seine eigenen Füße schienen ihm interessanter zu sein. Orm fand ihn erbärmlich.
»Was für ein dummer und unverschämter Vortrag!«, rief Bera.
»Hast du schon einmal ein Stück von einem Tatzelwurm gesehen?« Orm nestelte die Kralle, die er dem Ungeheuer abgeschlagen hatte, aus seiner Gürteltasche und warf sie der Hetfrau in den Schoß.
Angewidert verzog Bera den Mund. Kein Wunder, alles an einem Tatzelwurm stank bestialisch.
Orm schlug seine Kapuze zurück und nahm die Augenbinde ab.
Arrim sah ihn noch immer nicht an.
Weiterhin schwieg das Publikum, ergriffen von den wilden Wendungen der Gefühle, die der Vortrag bewirkt hatte. Orm betrachtete die Recken und Schildmaiden mit Befriedigung. Er und seine Leier hatten sie durch Belustigung, Spannung und Nachdenklichkeit getragen. Das war es, wozu die Skaldenkunst fähig war.
»Weitere Beweise!«, forderte jemand. »Die Kralle kann von sonst woher kommen. Was ist die Wahrheit? Sitzt ein Held oder ein Hasenfuß neben dir?«
Orm sprang vom Tisch und legte seine Leier ab. »Beweise wollt ihr?« Er zog seine Axt