sind: grüne Augen, zarte Lippen und etwas wie ein verborgenes Lächeln, das jeden Teil seines Gesichts erfasst. Seine Schönheit trifft uns ins Mark. Selbst Anna, die sonst selten um Worte verlegen ist, braucht ein paar Sekunden, um sich zu fassen, bevor sie ihn begrüßt und ihn einlädt, sich zu uns zu setzen.
Michael lässt sich nahe am Feuer nieder und streckt die Hände nach den wärmenden Flammen aus. Seine Kleidung ist unscheinbar und seine Haare strubbelig. Nichts in seinem Verhalten deutet darauf hin, dass er sich der Wirkung bewusst ist, die er auf uns ausübt. Alle versuchen wir, ihn unauffällig anzustarren, bis endlich jemand nach einem neuen Lied ruft und die verwirrte Anspannung sich etwas lockert. Das Methorn wird wieder herumgegeben und als die Reihe an Michael ist, trinkt er dankbar und lauscht dann hingebungsvoll unseren Liedern.
»Er sieht aus wie ein Elbenprinz«, haucht Sandrina Moritz ins Ohr, der neben ihr sitzt. »Wo hat der sich nur bisher versteckt? Ich hab ihn noch nie hier gesehen.«
Moritz nickt stumm, ohne die Augen von dem schönen Neuling abzuwenden.
Im Laufe des Abends stellt sich heraus, dass Michael das erste Mal auf dem Mediaval ist und noch niemanden kennt und es ist schnell entschieden, dass er bei uns einen Schlafplatz bekommt. Wie immer verbringen wir den Abend trinkend und singend und auf eine Weise ist es, als hätte Michael schon immer zu uns gehört. Er ist zurückhaltend, aber strahlt eine stille Fröhlichkeit aus. Sein Lächeln überträgt sich auf uns und jeder von uns fühlt sich durch seine Gegenwart ein Stück erhabener als sonst.
Am meisten wird uns wohl an diesem Abend in Erinnerung bleiben, wie Michael irgendwann zu später Stunde leise in ein Lied miteinstimmt. Die ganze Zeit vorher hatte er nur zugehört und erst auf unser vorsichtiges Drängen hin und mit Hilfe von Wein und Met traut er sich irgendwann. Seine Stimme ist wie ein Stück Gold in einem rauschenden Fluss.
Am Vormittag des nächsten Tages kriechen wir nacheinander aus unseren Zelten, sobald die Sonne sich über den Hügel erhoben und die Feuchtigkeit der Nacht verscheucht hat. Wir frühstücken, machen uns zurecht, witzeln und lachen. Fabian liest das Programmheft, Nele starrt in die noch schwelende Glut und leert eine übrige Flasche der vergangenen Nacht und Moritz hat seine Hände flechtenderweise in Sandrinas dichten Haaren vergraben. Michael hält Annas Gitarre in der Hand und lässt sich von ihr geduldig Akkorde erklären. Offensichtlich ist es neu für ihn, doch er begreift schnell und seine Finger formen fast von selbst die richtigen Bewegungen auf den Saiten.
»Du bist ein Naturtalent! Und du spielst wirklich kein Instrument?«, fragt Anna. »So wie du gestern gesungen hast, denke ich, dass du ein absolutes Gehör hast. Du musst daran arbeiten, dann kannst du richtig gut werden!«
Anna flirtet und zieht ihn ein bisschen auf, sie ist mutiger geworden. Michael geht jedoch nicht darauf ein, ernsthaft nimmt er sie beim Wort und ignoriert die schwebenden Nuancen.
»Hier«, sagt Fabian plötzlich, »das Konzert am Samstagabend, das müssen wir uns ansehen. Da spielt Satyrika.«
»Wer?«, fragt Tom.
»Satyrika, das ist eine griechische Folk-Band. Die sind ganz neu und machen Musik, die von der klassischen Antike inspiriert ist. Ihr wisst schon, Theater, Homer und so. Mit historischen Instrumenten!«
»Ja, darüber hab ich gelesen«, meint Sandrina, »angeblich kann der Sänger große Teile der Ilias rezitieren und begleitet sich selbst dabei auf der Lyra. Das sollten wir uns auf jeden Fall anschauen.«
Vorfreude breitet sich unter uns aus, als wir darüber debattieren, was jeder unbedingt sehen will und wir einen groben Plan für die nächsten Tage zurechtlegen. Letztendlich wird es doch anders kommen, wie wir aus Erfahrung wissen: wenn wir plötzlich Juwelen entdecken, sei es eine neue, unbekannte Band, Artisten und Gaukler oder Begegnungen mit alten und neuen Festivalbekanntschaften. Dennoch ist das Pläneschmieden eine schöne Beschäftigung, während wir ungeduldig auf die Entfaltung des Tages warten.
Später, als das Festival endlich offiziell eröffnet ist, laufen wir über das Gelände, sehen uns die Stände an und erkunden alte und neue Orte. Es gibt einige Neuheiten dieses Jahr, denen wir eher skeptisch entgegensehen und zum Glück auch das Altbekannte, das uns das Gefühl gibt, nach einem langen Jahr im Exil endlich nach Hause zu kommen. Während wir auf dem Gelände herumstreifen und da und dort haltmachen, um über die Gaukler zu lachen, einen Blick auf den ein oder anderen Stand zu werfen und bei den ersten Bands vorbeizuschauen, genießen wir es, Michael zu beobachten.
Für ihn ist alles neu und wir werden von seiner leuchtenden, verzauberten Miene zurückversetzt in unser eigenes erstes Mediaval-Erlebnis. Er möchte alles gleichzeitig erkunden und lacht vor Begeisterung über einfachste kleine Dinge. Abends drängt er nach ganz vorne vor die Bühne, um in größtmöglicher Nähe zur Musik zu sein. Wir bemühen uns, ihm in seiner Begeisterung zu folgen, doch bei manchem können wir nur den Kopf schütteln. Nele versucht, ihn zurückzuhalten, bei jeder Band nach vorne ins dichteste Gedränge zu stürmen, während Sandrina sich von ihm anstecken lässt und mit ihm zusammen vor der Bühne tanzt, bis die beiden sich außer Atem auf die Wiese werfen müssen. Fabian steht etwas abseits, als Michael tanzt, und beobachtet ihn. Als ob Michael durchsichtig wäre, sieht Fabian die Musik durch seine Ohren direkt in den Körper fließen. Da ist keine Hemmung, kein hindernder Gedanke. Sie strömt durch ihn hindurch und verwandelt sich ohne Energieverlust in Bewegung und Freude.
Nach dem letzten Konzert finden wir uns alle wieder zusammen und gehen gemeinsam nach unten. Wir sind mittlerweile recht angetrunken und streben nach der Geborgenheit unseres Feuers. Den ausgelassenen Michael nehmen wir in die Mitte.
2 Musik
Der folgende Tag strömt in Harmonie und Fröhlichkeit dahin, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Die Dynamik unseres Zusammenseins hat in ein selbstverständliches Gleichgewicht gefunden und wir genießen die gegenseitige Gesellschaft, die Musik und den Frieden, der durch kein Zeichen des anderen Lebens gestört wird.
Als die Dämmerung hereinbricht und die Luft nach dem fast zu warmen Tag eine laue Kühle annimmt, treffen wir uns alle vor der Burgbühne und warten auf den Auftritt von Satyrika, dem mindestens Fabian und Sandrina den ganzen Tag über entgegengefiebert haben. Wir anderen sind ebenfalls neugierig und erwartungsvoll. Einige Menschen haben sich versammelt, voll ist es nicht – die Band scheint eher unbekannt zu sein.
Als ein einzelner Mann in einem weißen Gewand die Bühne betritt und auf einem großen Saiteninstrument leise zu spielen beginnt, legt sich nach und nach das Murmeln des Publikums und es wird still. Sein leises Vorspiel einer klaren, kraftvollen Melodie webt die Aufmerksamkeit des Publikums und die Saiten der Lyra zusammen, bevor er zu der Melodie zu singen beginnt. Und da werden wir zunächst kaum merklich und doch gewaltig von seinen Liedern ergriffen und gefesselt. Wir vergessen, wo wir sind, vergessen das Vorher und das Später, vergessen, was vor unseren Augen ist. Der Sänger rezitiert Geschichten, auf immer die gleichen Töne, die ständig neu erklingen, und obwohl uns die Sprache fremd ist, tauchen wir in sie ein. Ohne zu wissen, wovon er singt, beben wir vor Spannung und fiebern bei den Höhepunkten mit. Die singende Stimme erzählt von Schicksal und Tapferkeit, Hoffnung und Versagen, Ruhm und Vergessen. In unseren Köpfen sind Bilder, diffus und doch leuchtend, während die Töne uns führen und wirre Farben in die Ordnung von Geschichten verwandeln.
Kaum dass wir Zeit haben, nach dem letzten verklungenen Ton die Bilder von uns abzuschütteln, ertönt ein neuer Klang, gänzlich anders als das bislang Gehörte: Wohlgesetzte, schwebende Töne von einer stählernen Unnachgiebigkeit. Sie stammen von einer antiken Flöte in den Händen einer kleinen, dunklen Frau, die unauffällig die Bühne betreten hat. Genau genommen sind es sogar zwei Flöten, die sie mit je einer Hand spielt und gleichzeitig zum Tönen bringt, so dass sie einen starken, doppelten Klang erzeugen. Der Sänger ist verstummt, doch seine Lyra begleitet das Flötenspiel, während zwei Perkussionisten und ein weiterer Flötenspieler hinzukommen und nacheinander miteinstimmen.
Die beiden Melodiestimmen der Flöten ranken sich auf dem Klangteppich der Lyra in- und umeinander wie wütende Liebende, während die Trommeln die Musik umschließen und vorwärtstreiben. Der dunkle, runde Klang der Flöten reißt weder ab, noch wird er leiser, so dass die Musik wie gespeist scheint von einem einzigen, nicht