Bernhard Hennen

Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval


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hätte …

      Orm wandte sich zur Lanze, auf der der Silberhelm glänzte. Ein einziger Tritt genügte, die Stange stürzen zu lassen. Es herrschte Totenstille. Alle Blicke hafteten auf ihm, als er den silbernen Helm aufhob.

      Bera stand auf. »Was soll das denn werden, Skalde?«

      Orm warf den Helm in die Zuschauer. »Vertraut nicht mir, aber glaubt euren Nasen!«, rief er. »So duftet die Wahrheit!«

      Die Schildmaid in der nietenbesetzten Lederrüstung, die den Helm gefangen hatte, verzog angewidert das Gesicht und reichte ihn weiter. »Der stinkt wie ein verwesender Pottwal!«

      »O nein!«, widersprach Orm. »Nicht wie ein Pottwal. Wie der Tatzelwurm! Habt ihr je von einem Drachen gehört, der stinkt wie ein Langboot voll mit faulen Eiern? Der Duft dieses Schatzes beweist mehr als tausend Worte. Jeder weiß, dass der Gestank eines Tatzelwurms allem anhaftet, was sich in seiner Nähe aufhält. Aus seinem stinkenden Hort hat Arrim diesen Helm. Vom Tatzelwurm habe ich meinen Gestank, und es wird Wochen dauern, bis er verfliegt, egal, wie oft und wie heiß ich bade. Und er selbst«, er sah Arrim an, »stinkt genauso wie ich! Er überdeckt es nur mit Veilchenduft. Werft ihn in den Fjord und zieht ihn wieder heraus! Dann werdet ihr feststellen, dass er genauso nach Tatzelwurm stinkt wie ich und der Helm. Er ist kein heldenmütiger Drachenjäger, sondern ein Aufschneider. Und er hat mich in der Gefahr zurückgelassen, um sein Heil in der Flucht zu suchen. So, wie ich es euch gesungen habe!«

      Die Blicke richteten sich auf Arrim.

      Der sprang plötzlich auf. Aber nicht, um sich auf Orm zu stürzen, sondern um davonzulaufen. Hinter dem Tor in der Palisade am Fuß des Hügels wandte er sich nach rechts, weg vom Fjord. Er fürchtete wohl, dass man ihn tatsächlich hineinwerfen würde, um das Duftwasser abzuspülen.

      Erste Lacher kamen auf.

      Es wurden mehr.

      Die Gäste verlangten nach weiterem Met und machten sich einen Spaß daraus, den Helm herumzureichen. Es wurde zu einer Mutprobe, einen möglichst tiefen Atemzug zu nehmen, während man ihn vor das Gesicht stülpte. Die Ersten übergaben sich.

      Bera sah resigniert aus, aber sie war eine Frau mit Stolz. Schweigend warf sie Orm den Beutel mit dem Preisgeld zu.

      Er fing ihn und nickte.

      Niemand beachtete die Hetfrau, als sie sich in eines der Langhäuser zurückzog.

      Ratlos betrachtete Orm die Menge. Er hatte gewonnen, aber abgesehen davon, dass er sich nicht zu den Menschen gesellen konnte, solange er stank wie der Darmwind eines Auerochsen, war ihm auch nicht danach zumute, sich zu betrinken. Er hatte getan, wozu er gekommen war: die Skaldenkunst aufscheinen zu lassen und der Wahrheit Geltung zu verschaffen. Er nahm seine Leier auf.

      Die Hand der Skaldin, die vor ihm aufgetreten war, legte sich auf seine. »Warte, Ohm Follker«, bat sie. Ihm gefiel, wie sie diesen Namen aussprach. »Ich war noch nie so ergriffen, wenn ich einem Skalden zugehört habe. Du bist ein wahrer Meister. Was müssen wir tun, damit du noch einmal für uns spielst?«

      »Nichts.« Lächelnd stieg er wieder auf den Tisch. »Die Kunst ist sich selbst Lohn genug.«

      Mit freundlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems.

      DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN, UTHURIA und THE DARK EYE sind eingetragene Marken der Ulisses Spiele GmbH, Waldems. Copyright © 2019 by Ulisses Spiele GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

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      © Benjamin Dämon

      Jörg Olbrich

      Jörg Olbrich wurde 1970 im schönen Mittelhessen geboren, wo er noch heute mit seiner Frau und vier Kindern lebt. Neben dem Lesen und dem Schreiben ist sein größtes Hobby die Freiwillige Feuerwehr, der er seit über dreißig Jahren angehört. Außerdem ist er bekennender Fan von Heavy Metal Musik. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Deutschen Phantastik Preis für die beste deutschsprachige Kurzgeschichte ausgezeichnet. Der Autor hat auf dem Festival-Mediaval 2018 seine Romane »Der Winterkönig« und »Der tolle Halberstädter« aus seiner historischen Romanreihe »Geschichten des Dreißigjährigen Krieges« vorgestellt.

      www.joerg-olbrich.de

      Die Verfluchten vom Goldberg

      Was ist das für ein teuflischer Lärm?«, fluchte Franz, setzte sich auf und rieb sich verwirrt die Augen. Seine Brüder lagen schnarchend neben ihm. Karl und Günther schien der Krach weniger auszumachen als dem ältesten der drei Männer. Das machte Franz fast ebenso zornig wie der Lärm selbst. »Wacht auf, ihr Nichtsnutze!«, forderte Franz ärgerlich und schlug beiden mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf.

      »Was soll das?«, beschwerte sich Karl und rieb sich mit der Hand an der getroffenen Stelle. »Kann man denn nie in Ruhe schlafen?«

      »Nein«, gab Franz zurück. »Sieh dich um. Wir sind wieder in der normalen Welt. Offensichtlich sind wir auf einem Schlachtfeld gelandet.«

      »Unsinn«, sagte Karl, setzte sich nun aber ebenfalls auf. »Das ist Musik. Auch wenn sie zugegeben ein wenig blechern klingt.«

      Franz hielt sich mit den Fingern die Ohren zu. »Diese Spielleute gehören erschlagen. So etwas Furchtbares habe ich noch nie gehört.«

      »Wo gibt es eine Schlacht?«, meldete sich nun auch Günther zu Wort. Der jüngste der drei Brüder blieb auf dem Rücken liegen und verschränkte die Hände über seinem gewaltigen Bauch.

      »Es gibt keine Schlacht«, antwortete Karl.

      »Schluss mit dem Unfug! Hört mir zu!« Franz sprach mit energischer Stimme und seine Brüder verstummten sofort. »Wir müssen herausfinden, wo wir dieses Mal gelandet sind. Ihr wisst, dass wir uns in vierundzwanzig Stunden wieder in der Verdammnis befinden.«

      »Daran können wir nichts ändern«, sagte Günther. »Dieses Mal lasse ich mich nicht von dir herumjagen. Wir sollten erst einmal etwas essen und trinken. Danach können wir ein bisschen ausruhen?«

      »Bist du verrückt?«, schrie Franz den Jüngsten von ihnen an. »Wir haben alle zehn Jahre einen Tag zur Verfügung und du willst ausruhen? Wir müssen die weiße Zauberin suchen.«

      »Die finden wir ohnehin nicht«, sagte Karl, der ebenfalls der Meinung war, dass man nichts überstürzen sollte. »Mittlerweile glaube ich nicht, dass sie überhaupt noch existiert.«

      Die drei Brüder hatten in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts einen Hof im Fichtelgebirge geführt. Weil sie im Jagdrevier des Fürsten von Bayreuth gewildert hatten, waren sie gefangen genommen und zum Tode verurteilt worden. Eine Hexe half ihnen, dem Galgen zu entkommen. Als Gegenleistung forderte sie, dass die Brüder eine weiße Zauberin namens Amandara jagten und ihr einen etwa faustgroßen, weißen Kristall raubten.

      Die Brüder versprachen der Hexe, den Wunsch zu erfüllen, waren dann aber geflohen. Zur Strafe dafür verfluchte sie das Weib. Seither lebten sie in einem Zwischenreich, in dem es immer dunkel und heiß war. Dämonen verfolgten und folterten sie, wenn sie ihnen in die Hände fielen. Einmal in zehn Jahren durften sie für einen Tag auf die Erde zurück. Der Fluch sollte so lange anhalten, bis die Brüder den Kristall gefunden und an die schwarze Hexe übergeben hatten.

      Während Franz nach wie vor mit ungebrochenem Eifer versuchte, diesen Auftrag zu erfüllen, glaubten Karl und Günther schon lange nicht mehr daran, dass es die weiße Zauberin überhaupt gab.

      »Was seid ihr denn für Typen?«, rief plötzlich einer von zwei Knaben, die in etwa zwanzig Meter Entfernung an der Baumgruppe vorbeigingen, unter der die drei Brüder aufgewacht waren.

      »Ihr seht ja völlig verranzt aus«, sagte der Zweite lachend. »Hattet wohl ein paar Met zu viel!«

      »Aber die Gewandung ist geil«, sagte der Erste nickend. »Das muss man euch lassen.«

      Zunächst völlig überrascht, aber sehr schnell fuchsteufelswild