Bernhard Hennen

Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval


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Vorträgen zu lauschen. Lediglich Arrims Beute, der Silberhelm, fand einige Beachtung. Orm musste zugestehen, dass es ausgesprochen klug war, ihn auf eine in den Boden gerammte Lanze zu setzen. Unter anderem, weil das polierte Metall dort oben hell strahlte und für jeden sichtbar war.

      Beras Blick schweifte über die Menge. »Gibt es noch jemanden, der sich das Preisgeld verdienen will?« Trotz der Hitze trug sie den schwarzen Bärenpelz, den ihr Großvater im tiefen Wald erjagt hatte. Damals hatte die Goldberg-Ottajasko wirklichen Mut gekannt. Oder waren das auch nur erfundene Geschichten?

      Niemand meldete sich.

      »Nun, dann wollen wir herausfinden, wer der Sieger ist!«, rief Bera. »Tretet nacheinander vor, Skalden! Die Rufe der Schildmaiden und Recken sollen entscheiden, wer …«

      Orm stand auf. »Ich will Arrim besingen!«

      »Nicht noch einer«, stöhnte eine Kriegerin mit roten Zöpfen am Nachbartisch. Neben ihr lehnte die größte Axt, die Orm je gesehen hatte.

      Ihre Freunde lachten. »Den überstehen wir auch noch.«

      »Nur mit Met.« Die Kriegerin streckte einem Jüngling, der ein Fässchen unter dem Arm trug, ihr Horn hin. »Füll auf!«

      Orm hatte nicht an einem der Tische gesessen, sondern auf einem Felsbrocken ein wenig abseits. Anfangs hatten einige Gäste versucht, ihn einzubeziehen, doch der Gestank hatte sie vertrieben. Orm roch, als hätte er in einer Jauchegrube gebadet.

      Beras Stirn legte sich in Falten. Ihr konnte nicht entgehen, dass die Gäste von der Lobhudelei auf ihren Sohn genug hatten und lieber zu handfesten Vergnügungen übergegangen wären.

      Dennoch nahm Orm seine Leier und schritt selbstbewusst zum Tisch, der den Auftritten der Skalden vorbehalten war. Er senkte den Blick, als er an Arrim vorbeikam. Wie seine Mutter saß er auf einem mit Bullenhörnern verzierten Sessel. Ein Schwert lehnte neben ihm, es steckte in einer mit schwarzem Bärenfell bezogenen Scheide. Der Geruch, den Arrim verströmte, passte nicht zu diesem martialischen Gepränge.

      »Veilchenduft?«, brummte Orm so leise, dass nur er selbst es hörte, und unterdrückte ein Lachen. »Wirklich, Arrim? Ausgerechnet Veilchen?«

      Über einen Schemel stieg er auf den Tisch.

      »Wie heißt du, Skalde?«, rief Bera.

      »Nennt mich Ohm Follker «, antwortete Orm. Seinen echten Namen durfte er natürlich nicht nennen, sonst hätte er sich die Verkleidung sparen können. Er trug eine Binde über dem rechten Auge, das Haar hatte er mit Asche grau gefärbt, zusätzlich hatte er die Kapuze seines braunen Leinenumhangs über den Kopf gezogen, sodass sie das Gesicht beschattete. Nicht wenige der Anwesenden mochten vermuten, dass ihn eine Krankheit entstellte, wozu das Bündel Stroh unter seinem Nacken beitrug, mit dem er einen Buckel vortäuschte. Aufbrechende Geschwüre waren eine gute Erklärung für den bestialischen Gestank, der ihn umwehte.

      »Also dann, Ohm Follker: Lass hören!«, forderte Bera.

      Orm strich über die Saiten, merkte aber schnell, dass er auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Publikums nicht erregen konnte. Also räusperte er sich und begann zu singen.

      »Der Arrim, der mag mutig tun,

      als er vom Drachenhorte hört.

      Beim Ruhm der Ahnen Arrim schwört,

      dass er den Schatz will plündern nun.«

      Die Lautstärke der Gespräche schwoll an. Beim Austausch der Neuigkeiten wollte man sich nicht durch einen weiteren Lobgesang unterbrechen lassen. Nicht einmal Arrim selbst schenkte dem Vortrag Beachtung, er sah noch immer auf den Fjord hinaus. Nur seine Mutter klopfte den Takt beifällig auf der Armlehne mit.

      Das würde sich bald ändern. Orm erlaubte sich ein Grinsen, während er die Saiten zupfte.

      »Zur Drachenhöhle Arrim schleicht,

      doch nicht im Walde ganz allein,

      will in Gefahr der Arrim sein.

      Ein Skaldensang zum Ruhm gereicht.

      Den Bären er im Wappen führt.

      Bärenmut nur fehlt dem Arrim.

      Wenn’s wichtig ist, dann flieht sein Grimm.

      Sein Hasenherz er schlagen spürt.«

      Die Schildmaid mit den roten Zöpfen horchte auf. Sie stieß sogar ihren Nachbarn an, damit er Ruhe gab und sie den Text besser verstand. Orm war heute der Einzige, der zu einem Spottlied auf den Sohn der Hetfrau ansetzte.

      Ermutigt griff er fester in die Saiten. Er erntete die ersten Lacher, als er davon berichtete, wie Arrim seine neue Bekanntschaft, einen jungen Skalden, mit seinem Schwert beeindruckte. Er schilderte diesen Skalden naiv und dümmlich, wie er den Stahl bewunderte und sich weismachen ließ, dass eine solche Waffe Kettenhemden wie Tuniken aus Wolle durchschnitte und Eichenschilde durchstieße wie Bettlaken. Die kampferfahrenen Recken schlugen sich vergnügt auf die Schenkel.

      In den nächsten Strophen beließ Orm den Skalden in der Rolle des naiven Bewunderers. Nun bekam aber auch Arrim sein wohlverdientes Fett weg. Im Wald, sobald die Straße außer Sicht geriet, kamen ihm Zweifel an der Macht seines Schwertes. In jammernden Klagen unkte er von gebrochenen Klingen, und überhaupt sei sein Schwert kaum mehr wert als ein Schälmesser, wenn es gegen einen Drachen ginge. Dennoch wagte er nicht, es in die Scheide zurückzustecken. Als ein Fasan raschelnd Reißaus vor den beiden Wanderern nahm, ließ er es sogar fallen.

      Die Schildmaiden und Recken grölten vor Lachen. Bera saß mit versteinerter Miene. Arrim beugte sich vor, wohl, um einen Blick unter die Kapuze des Sängers zu erhaschen.

      Orm stampfte den Takt, die Zuhörer klatschten mit. Das steigerte seinen Mut und seine Lust. Eigentlich hatte er nur fünf Strophen über Arrims Feigheit im Wald vortragen wollen, aber jetzt fügte er fünf weitere an. Die Reime waren weniger geschliffen als bei denen, die er zuvor ausgewählt hatte, aber das machte nichts. Orm sang noch lauter, und sein Publikum begann, einzelne Verse zu wiederholen, wenn er verstummte und nur an der Leier zupfte. Methörner stießen aneinander, Fäuste trommelten auf die Tische, und begeistertes Gelächter brandete durch die Menge.

      Schon jetzt war Orm der Sieg im Skaldenwettstreit sicher, ganz gleich, ob das Bera passte oder nicht. Niemand hatte die Recken und Schildmaiden so mitgerissen wie er, einige standen sogar auf den Tischen. Er könnte mit einem Witz abschließen, das Händegeklapper und die Hochrufe des Publikums entgegennehmen, das Preisgeld einstreichen und machen, dass er davonkäme. Bis zum Abend hätte er das nächste Dorf erreicht, und während er sich dort einen Braten gönnte, könnte er darüber lachen, wie Beras knirschende Zähne sie am Schlaf hindern würden.

      Aber er war weder gekommen, um sich Silber zu verdienen, noch, um über mittelmäßige Skalden zu siegen. Er wollte mehr, und deswegen riskierte er, das Wohlwollen seines Publikums zu verlieren.

      In einem längeren Stück ohne Text wandelte Orm die Stimmung seines Vortrags. Die harten Griffe in die Saiten wurden seltener. Schließlich gingen sie ganz in sphärische und raunende Klänge über. Orm schloss die Lider und beschwor die Erinnerung an den Wald herauf, wo trügerische Schatten fielen, wo Knochen von einem Hirsch auf dem Moos bleichten und der Wind Warnungen um einen ausgehöhlten Baumstamm heulte.

      Es gelang. Seine Zuhörer beruhigten sich, ohne das Interesse an seinem Vortrag zu verlieren. Als er die Augen wieder öffnete, blickten sie ihn gespannt an. Niemand stand mehr, alle saßen auf den Bänken, wie die Besatzungen von Langbooten, die auf das Kommando warteten, die Riemen in die Wellen zu tauchen.

      »Dunkelland, Wolfsgrund, Rabenforst!

      Skalde horcht und Arrim zittert.

      Vorwärts schreiten sie erbittert.

      Ein Auge starrt von Bussards Horst.«

      Orm sang von den Zweifeln, die einen Wanderer angesichts alter Eichen überkamen. Was war schon ein Menschenleben gegen das eines solchen Riesen, der niemals Zuflucht suchte und jedem Sturm trotzte? Glotzten ihre verharzten Astlöcher