Helga Dreher

Das Torhaus


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alles, wie es sein soll.“

      Er hob beide Hände und sie hatte den Eindruck, als wählte er seine Worte gerade besonders bedacht. „Sie sind die Erbin Ihres Großonkels und niemand kann Ihnen das Haus oder die geldlichen Anteile des Erbes streitig machen. Natürlich steht es Ihnen frei, Nachforschungen zu betreiben, Dinge zu hinterfragen, was auch immer. Aber wenn Sie meinen ganz persönlichen Rat möchten: Tun Sie das, was Ihr Großonkel mit dem Erbe beabsichtigt hat. Verhelfen Sie einem wunderschönen, aber leider völlig heruntergekommenen kleinen Haus zu neuem Leben. Damit erhält auch unsere Stadt – mit ihren Einwohnern und ihren Besuchern – gleichsam einen Anteil am Erbe, am historischen ohnehin, aber auch an Ihrem persönlichen. Und wird zum Beispiel auch von Ihrer Tatkraft, Ihrer Ausdauer, Ihrem Sinn für etwas, das es zu bewahren gilt, profitieren. Ich kann nur vermuten, aber möglicherweise war es das, was Ewald Arnheim wollte.“

      In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Dr. Rottloff erhob sich, machte eine entschuldigende Bewegung mit den Händen und ging zur Tür. Alma konnte sich vorstellen, dass die Unterbrechung in diesem Moment nicht unwillkommen war.

      „Ich hatte beide Hände voll und musste klingeln!“ Frau Rottloff kam ein wenig atemlos ins Zimmer. „Es tut mir leid, wenn ich gestört habe.“

      „Aber nein, ich glaube, wir haben alles besprochen, was zu besprechen war.“ Alma war aufgestanden und wandte sich an Dr. Rottloff, der hinter seiner Frau ins Zimmer trat. „Unser Gespräch war sehr hilfreich, und ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Offenheit – und auch für Ihren Rat. Und besonders … besonders für Ihre kleine Ansprache eben. Ich nehme mir das zu Herzen.“

      Sie wandte sich an beide und fügte hinzu: „Der Kuchen war köstlich. Ich habe den Nachmittag bei Ihnen genossen. Und Sie haben ein so wunderschönes Haus.“

      Beide Rottloffs schauten sich an und der Anwalt sagte: „Wir haben das Haus zu Beginn der neunziger Jahre gekauft. Wenn Sie es damals gesehen hätten – es war eine Ruine. Wir brauchten länger als drei Jahre, bis alle Bauarbeiten abgeschlossen waren.“

      „Vor allem“, fügte seine Frau hinzu, „weil wir ihm sein ursprüngliches Aussehen so weit wie möglich wiedergeben wollten.“ Sie schaute zur gläsernen Decke hinauf und legte gleichzeitig einen Arm um ihren Mann. „So etwas Schönes muss man doch einfach bewahren.“

      „Und Sie haben einen Eames Lounge Chair?“

      Frau Rottloff lachte. „Ja, es ist tatsächlich einer, aber kein Original aus den fünfziger Jahren. Er wird jetzt von einer Schweizer Firma gebaut. Ich wollte aber so gern diesen und keinen anderen neben dem Kamin haben, und da ein runder Geburtstag bei mir anstand, haben unsere Kinder einen Wink mit dem Zaunpfahl bekommen – sie schaute ihren Mann an und lächelte verschmitzt – und zusammengelegt. Jetzt ist es mein Lieblingsplatz.“

      Alma reichte beiden die Hand und wurde zur Tür begleitet. „Wenn Sie Ihr Torhaus renovieren, werden Sie, wie wir damals, viel Ärger und Arbeit, aber auch viel Freude haben. Vielleicht belohnen Sie sich ja dann auch mit einem besonders schönen Stück – was immer das für Sie sein wird. Freuen Sie sich darauf, Frau Winter. Und alles erdenklich Gute für Sie!“

      Noch als Alma die Straße hinunter und zurück zum Stadtzentrum ging, spürte sie die leichte, gelassene und doch liebevolle Atmosphäre im Haus Rottloff in sich nachklingen. Sie fühlte sich ein wenig freier von der Spannung und den Zweifeln, die in den vergangenen Tagen ihr Unterbewusstsein beherrscht hatten. Woher das kam, konnte sie nicht sagen, denn genau genommen hatte sie außer ein paar Geschichten aus alten Zeiten nichts substanziell Neues über die Hintergründe des mysteriösen Erbes erfahren. Denn mysteriös, das war es für Alma nach wie vor, welche beruhigenden Ratschläge da auch immer von Dr. Rottloff gekommen waren.

      Ob sie noch einmal mit Benjamin Lenk sprach? Aber würde er mehr wissen? Und wenn ja, würde er mit ihr darüber sprechen? Er war ja, im Gegensatz zum Ruheständler Rottloff Senior, noch im Dienst und sicher zu größerer Verschwiegenheit verpflichtet. Außerdem – Alma zögerte, spann den Gedanken aber dann doch weiter – war er ihr gestern zunächst mit betonter Zurückhaltung begegnet.

      Was soll’s, dachte Alma, it’s Friday Night. Sollte man nach den anstrengenden Tagen nicht etwas entspannen?

      Ja, das sollte man, befand sie. Ins Kino würde sie gehen, „Halbe Treppe“ im mon ami. Sie lief fast beschwingt zurück zum Hotel.

      Gerade, als sie in die Lisztstraße einbiegen wollte, klingelte ihr Handy. „Frau Winter, hier ist noch einmal Rottloff. Was ich Ihnen noch geben könnte, ist die letzte Anschrift Ihres Großonkels. Sie ist in Weimar, und zwar das Seniorenheim Am Lottenbach, das ist ganz in Ihrer Nähe, in der Paul-Schneider-Straße. Einen angenehmen Abend wünsche ich Ihnen. Meine Frau lässt auch noch einmal grüßen.“

      Alma bedankte sich, steckte das Handy ein und betrat nachdenklich das Hotel.

      KAPITEL 13

      Am Samstagvormittag stand Alma unschlüssig am Zaun vor dem Seniorenheim Am Lottenbach. Es war leicht zu finden gewesen, ein paar hundert Meter die Paul-Schneider-Straße entlang, auf der rechten Seite. Das mehrstöckige Stadthaus befand sich ein Stück von der Straße entfernt auf einem weiträumigen Grundstück mit großen Bäumen, in deren Schatten weiße Tische und Bänke standen. Einige Frauen und ein Mann bewegten sich langsam auf schmalen Wegen im Schatten der Bäume, zwei der Seniorinnen (Alma war unsicher, wie sie die Bewohner für sich nennen sollte. Waren es Mieter? Pflegebedürftige? Doch nicht Insassen, oder?) saßen strickend auf einer der Bänke und unterhielten sich so laut, dass Alma Gesprächsfetzen verstehen konnte. „Die Tochter …, schwieriges Lochmuster …, schöne Maitage, wie damals …“ Eine der Frauen schaute jetzt fragend – oder misstrauisch – in Almas Richtung, dann hob auch die zweite neugierig den Blick von den Nadeln.

      Alma sah, dass sie nicht länger am Zaun stehen konnte. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür und ging über den Kiesweg zu den beiden Strickerinnen. Eine der beiden war sehr klein und von zerbrechlicher Gestalt. Sie hatte kurze weiße Löckchen, tiefe Falten im Gesicht und große braune Flecke auf den Händen, die die Stricknadeln bewegten, ohne dass sie darauf schauen musste. Sie trug keine Brille und schaute Alma aus klaren Augen forschend an. Ihre Mitstrickerin schien so etwas wie ihr Gegenpart zu sein, groß, rundlich, mit rotbraun gefärbten Haaren und einer dicken Brille. Das Gestell erinnerte Alma fast an die Schmetterlingsbrillen der fünfziger Jahre, wie sie Jane Mansfield oder Marilyn Monroe getragen hatten.

      „Können wir Ihnen helfen, junge Frau?“

      „Guten Tag. Entschuldigen Sie, dass ich einfach so eindringe. Ich suche die Direktorin oder den Direktor Ihres Hauses. Glauben Sie, dass ich heute jemanden antreffe, am Sonnabend?“

      „Was heißt hier Sonnabend“, lachte die kleine Frau fröhlich, „bei uns ist für die Mitarbeiter jeder Tag der Woche ein Arbeitstag. Wir sind ja schließlich so etwas wie Maschinen, die täglich gewartet werden müssen, nicht wahr, Else?“

      Else, die pfundige Nachbarin auf der Bank, nickte zu Almas Überraschung ernsthaft und heftig mit dem Kopf und wies mit fadenumschlungener Hand in die Richtung des Hauses. „Gehen Sie mal gleich über die Stufen zur Terrasse hinauf, nach drinnen und dann geradeaus, Sie können das Zimmer der Heimleitung nicht verfehlen. Hast du Frau Klein heute schon gesehen, Magda?“

      „Ich glaube ja, nach dem Frühstück, auf dem hinteren Hof. Sie sprach des längeren mit dem Hausmeister. Er soll sicher endlich das abgeschnittene Gestrüpp wegräumen!“ Magda wandte sich kopfschüttelnd an Alma. „Wir vermuteten schon, er will es wieder anwachsen lassen.“

      Alma wollte den angezeigten Weg nehmen, stutzte aber und schaute genauer auf das Strickzeug der beiden Damen. „Das sieht aber toll aus. Für die Enkel?“

      „Junge Frau, für meinen Enkel müsste es eher die Größe eines Bettbezugs haben. Er ist ein Zweimetermann und sein Gewicht will ich mal gar nicht raten!“ Die Frau, die Else genannt wurde und auch nicht an Untergewicht litt, schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, wir stricken für den Basar, der zu Sommeranfang wieder im Gemeindezentrum dort vorn abgehalten wird. Tja, und wenn man heutzutage nicht ganz was Schickes strickt, kaufen es