Christian Macharski

Die Geliebte des Mörders


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seid.“

      Kleinheinz wandte sich ihm zu und antwortete in seiner typisch nüchternen Art: „Wo denkst du hin, Will? Das ist ein rein professionelles Verhältnis, das uns verbindet. Ich bin verantwortlich für ihre Sicherheit und ich bin die einzige Person auf diesem Planeten, der sie überhaupt noch vertrauen kann. Die Frau lebt seit Wochen in ständiger Angst. Da ist nun wirklich kein Platz für romantische Gefühle. Ich glaub, du hast überhaupt keine Ahnung, wie traumatisiert Lilly ist. Ich bin froh, dass ich nach langer Zeit endlich eine Art Verbindung zu ihr hab aufbauen können.“

      „Ja gut“, ließ Will nicht locker, „das ändert ja nix dadran, dass die Frau toll aussieht. Außerdem fängt die gerade ein neues Leben an. Warum denn nicht mit dir? Vielleicht wär das für dich genau das Richtige. Heiraten, eine Familie gründen …“

      „Vom Heiraten bin ich geheilt“, lachte Kleinheinz bitter auf, „und mit Familie wird das bei mir nix mehr.“

      „Wie jetzt?“, fragte Will überrascht.

      „Vasektomie!“ antwortete Kleinheinz und grinste verschmitzt.

      „Oh Gott“, erwiderte Will besorgt, „ist das eine Krankheit?“

      Kleinheinz musste lachen. „Nein! Blödsinn. Ich hab mich sterilisieren lassen. Das ist alles.“

      Will war sprachlos. Mehrfach versuchte er, anzusetzen, aber ihm fehlten einfach die Worte. Sterilisation! So etwas kannte er nur von Katzen. „Wie kannst du …“, begann er stotternd, „aber man kann sich doch als Mann nicht … Ich mein … Ist denn bei dir noch alles …?“

      „Alles in bester Ordnung“, beruhigte Kleinheinz den konsternierten Landwirt. „Alles intakt. Keine Probleme.“

      „Aber … aber“, vor lauter Scham begann Will zu flüstern, „ist das denn nicht besser, wenn die Frau wegen … also, wie soll ich sagen … sich um die Verhütung kümmert? Die können das doch viel besser.“

      Kleinheinz’ Grinsen wurde immer breiter. „Will! Das ist doch heute überhaupt nix besonderes mehr. Ich sag mir einfach: Besser, man nimmt die Patronen aus dem Revolver, als dass man immer auf die Schutzweste schießt.“

      Kleinheinz lachte. Will lächelte verkniffen, obwohl er den Vergleich nicht richtig verstanden hatte und das Thema generell nicht lustig fand. Dann wurde Kleinheinz wieder ernst. „Weißt du, Will, nach der Geschichte mit Bettina bin ich für immer durch mit Frauen. Eine feste Beziehung kommt für mich nicht mehr infrage. Das Feld überlass ich so Schnöseln wie diesem Schriftsteller.“

      „Oh Mann“, nahm Will dankbar den Faden auf, der sie von dem unangenehmen Thema wegführte, „da hat die Marlene ja vielleicht ein Idiot angeschleppt.“

      Will hatte seiner Frau am Vortag beim Check-in assistiert. Der neue Gast hieß Jesper Olsen-Meyerbrinck, was Will zu der Annahme veranlasste, dass er wahrscheinlich blutrünstige skandinavische Krimis schrieb. Auf der anderen Seite war der Mann Deutscher und stammte aus Hamm in Westfalen, wie Will dem Anmeldeformular entnehmen konnte. Ganz koscher war er ihm aber nicht. Vor allem dessen dandyhaftes Verhalten und die Tatsache, dass er bei den leicht sommerlichen Temperaturen einen Rollkragenpullover trug, hatten ihn misstrauisch gestimmt. „Ich hab dafür gesorgt, dass der eitle Fatzke das Zimmer ganz am Ende vom Flur bekommt, damit der euch nicht allzu oft überm Weg läuft“, sagte Will und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. „So aufgeblasene Typen kann ich nämlich überhaupt nicht leiden. Gestern hat der sich der ganze Tag nicht sehen lassen und heute Morgen turnt der in aller Herrgottsfrühe hier unten rum. Ich hatte überhaupt keine Ruhe, wie ich mit der Zeitung auf dem Klo saß.“

      „Ach, das wird sich schon alles einspielen“, sagte Kleinheinz. „Ich bin auf jeden Fall dankbar, dass du uns hier aufgenommen hast. Ich hatte wirklich ein furchtbar schlechtes Gewissen dir gegenüber, weil ich mich nie bei dir gemeldet habe.“

      „Schwamm drüber“, sagte Will und erhob sich ächzend von seinem Stuhl, „Von mein Oppa stammt der Satz: ‚Verzeihen ist eine Eigenschaft der Starken‘.“

      „Klingt gut, aber ist das nicht von Gandhi?“

      Will runzelte die Stirn. „Gandhi? Kenn ich nicht. Aber viele Leute haben die Sprüche von mein Oppa geklaut. Zum Beispiel auch: ‚Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils.‘ Das hat mein Oppa erfunden, heute sagt das jeder.“

      Lilly Dinglmaier stand vor dem großen Spiegel, der neben dem Kleiderschrank angebracht war, und betrachtete sich darin. Bis auf die Augenringe gefiel sie sich ganz gut. Durch den Stress der letzten Monate hatte sie zwar fünf Kilo abgenommen, aber das war optisch eher zu ihrem Vorteil, wie sie fand, als sie sich in ihrem leichten Sommerkleid drehte. Nur mit ihrem neuen Namen fremdelte sie noch ein wenig. Lilly Dinglmaier. Klingt irgendwie bayrisch, dachte sie. Dabei hatte sie doch so einen schönen Geburtsnamen: Mariella Romano! Leider ging es beim Zeugenschutz aber um die vollständige Aufgabe der alten Identität. Bloß nicht auffallen, abtauchen, in der grauen Masse verschwinden. Nun gut, es war, wie es war. Sie hatte sich entschieden, aus ihrem alten Leben auszubrechen, und das war auch gut so. Sie war längst schon wieder dabei, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Und hier in diesem bei diesem seltsamen Bauernehepaar gefiel es ihr wider Erwarten richtig gut. Es erinnerte sie an ihre Kindheit, die sie auch auf dem Land verbracht hatte. Zwar in der Toskana, die diesem platten Landstrich nicht allzu ähnlich war, aber trotzdem. Und Kommissar Kleinheinz gefiel ihr auch. Ein interessanter Mann. So geheimnisvoll, so tiefgründig, so distanziert. Ein gut aussehender Mittvierziger mit einer dunklen Seele. Auf solche Typen stand sie.

      Es klopfte an der Tür. Wenn man vom Teufel spricht, dachte sie und rief beschwingt: „Herein!“

      Die Tür öffnete sich und ein ihr gänzlich unbekannter Mann betrat das Zimmer. Ihre Kehle schnürte sich zu und ihre Augen weiteten sich vor Angst. Als der Mann das bemerkte, sagte er schnell: „Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte mich nur kurz vorstellen. Jesper Olsen-Meyerbrinck mein Name. Ich wohne hinten am Ende des Flurs.“

      Lillys Puls beruhigte sich wieder. Der Schriftsteller, dachte sie. Sie atmete einmal tief durch und reichte ihm die Hand. „Lilly Dinglmaier.“

      Der Mann ergriff ihre Hand und hielt sie fest. „Sie haben wunderschöne Hände, wenn ich das sagen darf. So zart und feingliedrig. Hände sind unsere Visitenkarte.“

      Lilly versuchte sich erfolglos aus seinem Griff zu lösen, während er unbeirrt weitersprach: „Ich habe Sie gestern kurz auf dem Flur gesehen, aber dann leider den ganzen Tag nicht mehr. Da dachte ich mir, dass Sie vielleicht der gleichen Profession frönen wie ich, der ich auch die Tage am Schreibtisch verbringe. Ich bin Schriftsteller, wissen Sie.“ Er ließ ihre Hand wieder los.

      „Schriftsteller? Das ist ja interessant“, erwiderte sie und hoffte, die Konversation in eine unverfängliche Richtung zu lenken. „Was schreiben Sie denn so?“

      Er antwortete mit einem Augenzwinkern: „Früher habe ich Krimis geschrieben, aber mittlerweile bin ich ein Meister der erotischen Literatur. Von mir sind die ‚Madame Cuisse‘-Romane. Davon haben sie doch sicher schon gehört. Eine so sinnliche Frau wie Sie.“

      Na, das hatte ja spitzenmäßig geklappt mit der unverfänglichen Richtung. Unvermittelt machte der Mann einen Schritt auf Lilly zu. Sie wich instinktiv zurück. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf ihrer Stirn. Sie betastete ihr rechtes Bein und spürte unter ihrem Kleid die kleine Pistole, die in einem Oberschenkelholster steckte. Die Zeit im Milieu hatte sie vorsichtig werden lassen. Nicht einmal Kleinheinz wusste von der Waffe. Und wenn der Schriftsteller-Typ ihr zu nahe kommen würde, würde sie nicht eine Sekunde zögern, ihn umzulegen. Ihr Herz raste.

      Olsen-Meyerbrinck lächelte schief. „Sie müssen doch keine Angst vor mir haben. Glauben Sie mir, ich bin ein Gentleman.“

      Als er einen weiteren Schritt auf sie zumachte, gab es einen lauten Knall. Die Zimmertür war aufgeflogen und mit Wucht gegen die Wand geschlagen. Kommissar Kleinheinz stürmte hinein und warf sich auf den überraschten Mann. Mit einem blitzschnellen Polizeigriff drehte er ihm den Arm auf den Rücken und kniete sich auf ihn. Besorgt sah er auf und fragte Lilly: