sie das Gefühl, dass die ganze Welt ihr gehörte.
Mutter dachte, dass sie beim Bedienen im Festzelt aushelfen müsse. Sie wusste nicht, dass Antonia ihr freigegeben hatte. Annegret und Liesl, ihre Schulfreundinnen, winkten schon von Weitem, als sie an der Festwiese ankam. Ihr Tisch stand vorne neben dem selbstgezimmerten Tanzboden, dessen Geländer mit bunten Girlanden geschmückt war, daneben die Trachtenkapelle. Martha setzte sich zu ihnen.
Annegret befühlte den Stoff von Marthas Sommerkleid und nickte anerkennend, und Liesl, die den breiten Gürtel an ihrer Taille bewunderte, sagte etwas spöttisch: „Na, aber oben rum fehlt dir noch was.“ Martha wurde verlegen, weil sie mit dem prallen Busen ihrer älteren Klassenkameradin nicht mithalten konnte.
Die gegenseitige Begutachtung wurde unterbrochen von den jungen Dorfburschen, die durch die Bankreihen gingen, mit Maßkrügen und Hüten schwenkend auf sie zukamen und sich zu ihnen setzten.
Paul war auch dabei und Marthas Herz begann schneller zu klopfen. Er tanzte von Anfang an mit ihr. Sie ließen keinen Tanz aus. Sie genoss sein schönes Lachen, seinen freundlichen Blick und wie er jedes Mal seinen Kopf mit seinen schwarzen Locken beim Drehen nach hinten in den Nacken warf. Er hielt sie zugleich behutsam und fest an den Hüften während sie sich drehten und Martha begann zu schweben.
Danach fragte er sie, ob er eine Bratwurst oder ein Fischbrötchen für sie holen solle. Die anderen schauten schon etwas merkwürdig, weil Paul nur Augen für Martha zu haben schien. Und Liesl mischte sich sogleich ein und antwortete:
„Ja, eine Bratwurst möchte ich haben, Paul.“
Er tat ihr den Gefallen und als er zurückkam und sich neben Martha setzte, drängte sich Liesl von der anderen Seite an Paul heran.
Doch Paul ließ sich nicht stören. Er fragte nach ihrer Schwester, nach der Mutter, nach ihrem Vater, der im Krieg geblieben war. Er erzählte, wie froh er war, endlich wieder daheim im Dorf sein zu können. Martha nickte und meinte, dass auch sie gerne im Dorf lebe, doch dass sie gern Lehrerin werden möchte. Paul schaute sie irritiert an und fragte:
„Aber da musst du doch weg?“
„Ich komm doch wieder, es ist ja nur für kurz.“
„Für kurz?“, fragte Paul.
„Drei Jahre, aber einmal im Monat darf ich heim.“
Da trat Liesl hinter Paul heran und schrie ihm mit einem lauten Lachen ins Ohr „Damenwahl“, das mit einem Tusch der Kapelle begleitet wurde, und schnappte sich Paul. Er wirkte etwas verwirrt, als er in den Armen seiner neuern Tanzpartnerin über den Bühnenboden getragen und geschoben wurde, ganz so wie die Musik es verlangte.
Martha, die sich überrumpelt fühlte, suchte nach den Augen von Paul, der über den Tanzboden schwebte. Aber Liesl drehte sich jedes Mal so, dass sich ihre Blicke nicht mehr finden konnten. Sie sah, wie Liesl ihren großen Busen an Paul drückte und ihn festhielt, so als ob sie mit ihm entschwinden wolle. Sie drängte ihm den nächsten Tanz auf und den übernächsten und Martha wurde klar, dass Liesl, fünf Jahre älter als sie, schon eine richtige Frau war, die einen großen Hof erbte.
Es wurde langsam dunkel und die Glühbirnen, die an den eigens aufgestellten Pfosten angebracht waren, wurden eingeschaltet und Martha erschrak, als ihr einfiel, dass sie Mutter versprochen hatte, am Sonntagabend immer um zehn zuhause sein.
Sie stand vom Tisch auf und versuchte noch ein letztes Mal Pauls Blick auf dem Tanzboden zu erhaschen, doch es war wie verhext, so als ob Liesl ihn in ihren Bann gezogen hätte.
Sie strich ihren Rock glatt, ging über den Festplatz auf die staubige Dorfstraße zu, die sie nach Hause zur Mutter führte. Sie zog die Hochzeitsschuhe von Lene aus, nahm sie in die Hand, um diese zu schonen, und ging barfuß über die holprige Dorfstraße, die nicht nur voll von großen Steinbruchplatten, sondern auch von tiefen Furchen durchzogen war.
Sie spürte, wie ihr die Füße wehtaten und die Steine die Haut an den Zehen blutig aufrissen. Doch sie wollte den Schmerz spüren, spüren, wie ihr die Füße wehtaten, um nicht den Schmerz in ihrem Herzen spüren zu müssen, der auf ihr drückte, während sie heim zur Mutter ins Dorf lief.
Edwin stand vor dem Tor des Nachbarhauses gegenüber und als er Martha sah, sagte er, „du blutest ja, soll ich dich mit Schnaps verbinden?“
„Nein“, schüttelte Martha den Kopf, “ist schon gut“.
„Wenn ich erstmal Doktor bin, werde ich dich verarzten“, betonte Edwin nun etwas lauter, während Martha zu ihm hochschaute.
„Der Pfarrer hat mit dem Lehrer geredet, ab Herbst komm ich nach Würzburg ins Kilianeum“, strahlte er voller Stolz.
„Viel Glück“, murmelte Martha, und als sie das Gartentürchen anhob, um es zur Seite zu schieben, damit es sich öffnen ließ, kam es ihr so viel schwerer vor, als die Tage zuvor. Ich muss unbedingt mit Antonia reden, dachte sie, sie ist meine einzige Hoffnung
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