unheimliche Kulisse, die durch den einsamen Ruf einer Eule noch verstärkt wurde.
Jonny brachte Angelika zu ihrer Kabine und wie es der Zufall wollte, erblickte Angelika schon von weitem ihre Freundin, die Arpad in ihre Kabine zog. Xenia hat es aber eilig, schoss es ihr durch den Kopf. Aber warum sie und nicht ich?
»Komm!« sagte sie kurz entschlossen vor der Kabinentür. »Ich mag heute Nacht nicht alleine sein. Ich will dich endlich näher bei mir haben, dich spüren, du weißt schon.«
Und Jonny folgte spontan dieser Einladung, obgleich er gewöhnlich sehr viel längere Zeit für solche Entschlüsse benötigte. Aber die drei Glas Wein und vor allem dieser leichte Duft, der von seiner Begleiterin, seiner Freundin, korrigierte er sich, ausging und sie quasi umschwebte, nahmen ihm die Entscheidung ab.
So kamen die beiden erst ziemlich spät am nächsten Morgen in den Speisesaal, wo wie immer das Frühstücksbüffet aufgebaut war. Und sie kamen rechtzeitig, um einen unerwartet heftigen Auftritt von Frau Hannelore Fischbaum mitzuerleben.
Völlig aufgelöst kam diese Dame aus Remscheid hereingestürzt und schrie lauthals, damit es auch wirklich jeder hören konnte: »Hilfe, Alarm, wer kann mir helfen?«
»Was ist denn los mit Ihnen?«, fragte Jonny, der direkt neben ihr stand. »Ich würde Ihnen ja gerne helfen, wenn ich nur …«
»Hier, sehen Sie!« Frau Fischbaum öffnete unter zartem Erröten den zweiten Knopf ihrer Bluse »Sehen Sie!«
Sie deutete auf ihren Hals, wo in der Tat ein leuchtend rotes Mal erkennbar war, an dem zwei Blutstropfen hingen, einer links und einer rechts, sozusagen symmetrisch.
Wie von den Bissspuren zweier spitzer Zähne, dachte Angelika, sehr spitzer Zähne, und merkte gar nicht, dass sie ihre Gedanken laut geäußert hatte.
»Ich bin gebissen worden, jetzt können es alle sehen!« schrie Frau Fischbaum nochmals gellend. »Es sind Monster an Bord, Ungeheuer, die es auf mein Blut abgesehen haben«, und wurde im gleichen Augenblick von Dr. Beuteler am Arm gefasst und aus dem Speisesaal weggeführt.
»Ich werde mir das im Ärztezimmer näher ansehen«, versuchte er die aufgeregte Passagierin zu beruhigen. »Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen.«
Das hatte ihnen, ihm und dem Kapitän und natürlich der ganzen Crew, noch gefehlt! Wieder so ein Zwischenfall, jetzt auch auf dieser Reise.
Im Speisesaal brandete inzwischen lautes Gerede auf. Angelika spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Xenia stand hinter ihr, sie war gerade erst im Restaurant angekommen.
»Was ist denn hier los?« fragte sie. »Ist Frau Fischbaum schlecht geworden? Seekrank kann sie ja nicht geworden sein, hier auf der Donau, soviel Wellengang haben wir nicht.«
»Ich denke, bei Sturm sähe das anders aus«, sagte Angelika. Jonny neben ihr wirkte etwas verstört, er folgte seiner Freundin wortlos, als diese Xenia beiseite an das Steuerbordfenster führte. Dort war mehr Ruhe und man konnte sich besser unterhalten.
»Es scheint«, begann Angelika und sah sich rasch um, denn sie wollte nicht, dass ihr jemand zuhörte. »Es scheint, dass die gute Frau heute Nacht eines Besseren belehrt wurde. Wie es aussieht, haben wir einen Vampir an Bord.«
»Aber die sind doch nur Märchenfiguren«, erwiderte Xenia. »Da schüttelt es mich ja gleich, wenn ich nur daran denke. Stell dir vor, so jemand hätte dich angefasst und nachher kommt raus, dass er ein blutsaugendes Ungeheuer ist …«
»Ich weiß nicht, ob man …«, Jonny mischte sich ein, er wirkte verwirrt. »Ich meine, vielleicht war es doch etwas anderes? Ein Insekt oder vielleicht gibt es ja auch Ratten an Bord …«
Aber Angelika war sich sicher: »Hundertprozentig war das ein Vampir. Man konnte ja sogar die Spuren des Gebisses, ich meine der einzelnen Zähne, erkennen.«
Xenia schauderte es. »Bin ich froh, dass Arpad heute Nacht …« Sie begann zu stottern, doch das Lachen ihrer Freundin nahm der Situation die Peinlichkeit, die sich aufzubauen drohte.
»Ich weiß doch, dass Arpad heute Nacht bei dir war. Wir haben Euch beide gesehen, ich meine, Jonny und ich. Denn auch wir waren zusammen. Das ist doch normal, oder?«
»Das denke ich auch«, bekräftigte Jonny. »Wollen wir weiter frühstücken oder habt ihr etwas anderes vor?«
Sie gesellten sich zu Anderen, die bereits eifrig den morgendlichen Köstlichkeiten zusprachen. Denn auch Frau Faszl hatte sich jetzt zu ihnen gesellt und Jenny war in ihrem Schlepptau erschienen.
»Wollen wir uns nachher zusammensetzen?« fragte Inge Faszl, die Gräfin, an die Adresse von Angelika. »Du hast ja den Vortrag von Dr. Beuteler nicht voll mitbekommen. Ich erzähle dir gerne, was du wissen willst.«
Und so verabredeten sie sich für zehn Uhr auf dem Promenadendeck. Für halb elf war eine Wiener Kaffeestunde angekündigt, das passte also ganz hervorragend.
*
Eugenie Schmitz-Wellinghausen wurde gesucht; sie befand sich in der Bibliothek, wo sie sich in eine Monographie über »Transsilvanien und seine Mythen« vertieft hatte, die sie neben dem Buch von Edelmaier entdeckt hatte. Das Buch über den Wojwoden der Walachei stand bei ihr zu Hause im Schrank, das musste sie sich nicht ansehen. Transsilvanien allgemein war allerdings ein Thema, mit dem sie sich nie intensiv beschäftigt hatte, obwohl ja dieser Teil Rumäniens mit seinen waldreichen Regionen die eigentliche Heimat der Vampire war, was manche Skeptiker als reinen Mythos abtaten.
Hier entdeckte sie Frau Huber, die Reiseleiterin.
»Es gibt für Sie einen Anruf über Funk. Kommen Sie bitte ins Ruderhaus, der Kapitän wartet auf Sie.«
Das alarmierte Frau Schmitz-Wellinghausen. Schließlich hatte sie ein Handy dabei, das allerdings zugegebenermaßen nicht überall Empfang hatte. Aber ein Anruf über Funk … Das hatte etwas zu bedeuten und meist nichts Angenehmes.
»Ich gehe solange spazieren, das Ruder ist auf Autopilot«, sagte Kapitän Sojanow zur Begrüßung. »Und Wassili«, er deutete auf den Matrosen, der still in der Ecke saß, »kann das Ruder übernehmen, wenn das nötig sein sollte. Und seien Sie unbesorgt, er versteht kein Deutsch.« Damit übergab er ihr den Hörer.
»Hier spricht Dr. Gregor Muggensturm von der Firma, Sie wissen schon. Wir mussten diesen Weg der Kommunikation wählen, weil heutzutage fast alle Handys nicht mehr abhörsicher sind.«
»Ist schon gut«, sagte sie. »Ich höre zu, was steht an?«
»Direktor Lefebre hat mich offiziell beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass Sie die Erlaubnis haben, Ihre wahre Identität zu offenbaren, falls dies nötig sein sollte. Gemeinhin ist Ihnen das strikt untersagt, ich weiß, aber es kann sein, dass die Lage auf der ‚Danubia Queen‘ eskaliert. Wie wir inzwischen wissen, gibt es neben der eigentlichen Gefahr – Sie wissen, was oder wen ich meine – auch eine Person, die wir gemeinhin als ‚V‘ bezeichnen. Ihn, denn es handelt sich um einen Mann, gilt es vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren, auch wenn er – wie üblich – eigentlich das Gegenteil anstrebt. Doch er weiß nicht, was ihn in einem solchen Extremfall erwarten würde. Und außerdem gibt es Anzeichen für einen größeren Zwischenfall, der zur Eskalation führen könnte.«
Eugenie Schmitz-Wellinghausen merkte, dass ihre Hand, die das Telefon hielt, zu zittern begann. Jetzt war er da, der Ernstfall, auf den hin sie ausgebildet und hier auf dem Schiff eingesetzt worden war. Jetzt war es so weit.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Ich habe gerade heute, vor wenigen Stunden, auch einen Zwischenfall registrieren müssen, bei dem es zu einer Intervention durch die reale Gefahr gekommen ist. Soll ich einschreiten?«
»Nein, halten Sie sich da raus«, befahl Dr. Muggensturm. »Aber es wäre wahrscheinlich die richtige Gelegenheit, den Kapitän einzuweihen. Und eventuell einen zweiten Mann an Bord, denn ich nehme an, dass an Deck Vorbereitungen getroffen worden sind, sich der Gefahr zu erwehren.«
»Ich verstehe«, sagte Jenny zum zweiten Mal, denn was hätte sie sonst antworten sollen. »Soll ich sonst