nickte.
»Für die Liebe ist man nie zu jung, Mami. Seitdem ich Nora kenne, denke ich ganz anders über meine Zukunft. Das mit dem Lieferwagen ist bestimmt Unsinn. Das habe ich eingesehen. Ich will auch die Nachprüfung machen und weiter zur Schule gehen. Nora ist wundervoll. Sie soll es einmal gut bei mir haben.«
»Hubs!« warnte Angie ihren Sohn. »Nora ist gut zehn Jahre älter als du. Sie soll dich nicht unglücklich machen.«
»Das macht sie nicht. Ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn sie täglich hier im Haus wäre. Nur darfst du ihr nicht mit so viel Mißtrauen entgegentreten. Sie meint es gut mit mir. Und mit dir auch.«
Angie stöhnte leise. Sie sah, daß Nora einen guten Einfluß auf Hubs ausübte. Wenigstens begriff er, daß er arbeiten mußte. Aber sie wollte ihren einzigen Sohn nicht unglücklich sehen. Solche jugendlichen Schwärmereien endeten manchmal in einer großen Enttäuschung. Und daß Nora schon bald wieder ihre eigenen Wege gehen würde, das bezweifelte Angie nicht. Dann dachte sie an Dr. Hassberger. Er hatte sie gefragt, ob sie nicht einmal sein Haus malen wollte. Natürlich reizte dieses Motiv sie. Das zarte Birkengrün vor dem alten, so originell renovierten Haus. Und sie konnte in der Nähe dieses Mannes sein, einmal ohne den Handwerkerlärm, Friedas ständige Fragen, Wolfis Extrawünsche und Xenias Beschwerden über den ungetreuen Vetter Hubs und die schöne Nora, die den jungen Mann ganz in Anspruch nahm. Vielleicht war dies wirklich die ideale Lösung.
»Gut, Hubs, Ich will nicht kleinlich sein. Wenn sie will, kann sie schon heute für Wolfi sorgen.«
Hubs packte seine Mutter um die Taille und hob sie hoch. Dann wirbelte er sie rundherum, so daß Frieda, die gerade in die Küche kam, mit offenem Mund in der Tür stehenblieb.
»Ist meine Mami nicht prima?« fragte Hubs sie, nachdem er die erschrockene Angie wieder zu Boden gelassen hatte.
»Muß wohl sein«, nickte Frieda, und ihr rundes Gesicht glänzte richtig vor Zufriedenheit.
In den nächsten zwei Tagen aber nahm Friedas Zufriedenheit ständig ab. Die junge Schwedin, die sich jetzt um Wolfi kümmerte, führte ein strenges Regiment in der Küche. Nachlässigkeiten ließ sie nicht zu. Sie konnte sogar recht hart sein, wenn Wolfis Mahlzeiten nicht heiß genug oben am Bett serviert wurden. Und da Angie mit Erstaunen bemerkt hatte, daß Noras Anwesenheit Hubs wirklich zum Arbeiten anhielt, mischte sie sich nicht ein.
Frieda war eben so langsam, wie Thomas Hassberger es bei allen Lüttdorfer Menschen festgestellt hatte. Vielleicht war es ganz gut, daß Nora die Haushälterin etwas antrieb.
Außerdem ging es Wolfi von Tag zu Tag besser, und auch Xenia schmollte nicht mehr. Nora hatte mit ihr einige Puppenkleider genäht, und sie hielt das kleine Mädchen dazu an, ihr Zimmer einzurichten und Frieda zur Hand zu gehen, wenn es nötig war.
Angie hatte keinen Grund zur Klage, aber irgend etwas an der Situation verursachte ihr Unbehagen. Als Dr. Thomas Hassberger zwei Tage später wieder hereinschaute, bat sie ihn, sie mit in die Stadt zu nehmen.
Er grinste. »Wollen Sie wirklich mit mir fahren, Frau Winkler?«
»Ja, ich habe etwas zu besorgen. Außerdem möchte ich in Ruhe mit Ihnen sprechen.«
Er warf ihr einen belustigten Blick zu, aber es lag Wärme darin. Als sie neben ihm saß und der Wagen langsam den Hügel hinauffuhr, sah er sie wieder so nett an.
»Was halten Sie von Fräulein Anderson?« fragte Angie unumwunden.
Er lachte kurz auf. »Sie ist eine Schönheit.«
»Das sehe ich auch«, erwiderte Angie patzig. Dachte er, sie wollte ihn als Richter bei einer Schönheitskonkurrenz einsetzen? Ihr lag doch nur daran zu ergründen, warum Noras Anwesenheit ihr dieses merkwürdige Gefühl vermittelte. So, als hätte sie sich eine Rivalin ins Haus geholt. Dabei gönnte sie ihrem Sohn diesen kleinen Ferienflirt. Hubs arbeitete tatsächlich wieder. Gestern abend hatte er ihr ein Referat über Logarithmen gehalten. Noch bis Mitternacht hatten ihr Zahlen im Kopf herumgeschwirrt, und sie hatte sich selbst gestehen müssen, daß sie keinen Schimmer von Mathematik hatte.
»Ihr Sohn ist ein netter Bursche«, sagte der Arzt und hielt am Straßenrand, um sich ihr ganz zuwenden zu können. »Mißfällt es Ihnen, daß er mit dieser Schwedin flirtet? Oder geht Ihnen der Flirt zu weit?«
Angie spürte, daß sie rot wurde. »Zu weit? Nein. Das ist es nicht. Diese Nora Anderson macht einen sehr erfahrenen Eindruck.«
»Zu erfahren, nicht?«
Angie nickte lebhaft. »Ja, genau das ist es. Ich weiß nicht, sie reißt einfach alles an sich. Eigentlich komme ich mir neuerdings überflüssig vor. Die Kinder lieben sie, mein Sohn liebt sie, nur Frieda…«
Thomas Hassberger sah sie schweigend an. Um seine Lippen lag ein nachdenkliches Lächeln. Er betrachtete ihr Gesicht dabei ganz ernsthaft, als müßte er darauf Spuren der Bitterkeit entdecken und sie sofort fortwischen.
»Sie fühlen sich überflüssig, Frau Winkler? Das ist doch wunderbar! Dann haben Sie vielleicht etwas mehr Zeit für mich. Oder stört Sie diese Frage – Angie?«
Angies Herz begann, heftig zu hämmern. Sein Gesicht war ihr so nah, und es gefiel ihr immer besser. Was war nur geschehen? Sie war doch kein Teenager mehr. Außerdem sollte er sich bloß nicht einbilden, sie wäre in ihn verliebt.
»Wenn ich Zeit erübrige, dann nur zum Malen«, antwortete sie kühl.
Thomas nickte. »Etwas anderes habe ich auch gar nicht erwartet. Aber Sie wollen mein Haus doch malen! Neulich haben Sie es noch vorgehabt. Ich freue mich darauf, Sie bewirten zu können. Dort unten im Haus müssen Sie immer so forsch sein. Ich glaube, Sie sind ganz anders.«
»Wie denn?« Jetzt lächelte sie.
Er wandte den Kopf zur Seite und sah nach vorn durch die Windschutzscheibe. Sein Profil war markant, das Kinn energisch. Und wieder lächelte er versonnen.
Angie fragte sich, was sie lieber hatte. Wenn er sie direkt ansah oder wenn sie ihn von der Seite betrachten konnte. Als sie sich diese Frage stellte, mußte sie sich auch schon eine Antwort geben. Sie hatte sich in ihn verliebt. Und das in ihrem Alter!
»Weich, nachdenklich, zärtlich.«
»Ach, Unsinn!«
»Warum wollen Sie es nicht hören, Angie? Sie müssen doch selbst erkannt haben, daß Ihnen einiges im Haus Ihres Bruders über den Kopf wächst. Sie sprechen von Nora Anderson, aber das ist es nicht. Sie fühlen sich von Ihrem Bruder ausgenutzt. Er ist fortgefahren und kehrt nicht zurück. Und nun sitzen Sie dort mit einem Haufen Arbeit und sollten eigentlich jeden dieser herrlichen Sommertage genießen. An meiner Seite, wohlgemerkt.«
»Sehen Sie mich bitte nicht so an«, bat Angie, denn er hatte sich ihr wieder zugewandt, und sein Blick ruhte auf ihr, so daß sie fast das Atmen vergaß. Durfte sie ihre Gefühle zeigen? Ausgerechnet jetzt, wo sie dort unten gebraucht wurde und sie Hilfe benötigte oder Unterstützung, aber in keinem Fall ein Durcheinander im Kopf oder – was noch schlimmer war – im Herzen?
»Wäre es Ihnen lieber, ich würde Nora Anderson so ansehen?« fragte er amüsiert.
»Nein, danke!« brach es aus ihr heraus. Da griff Thomas nach ihrer Hand. Er hob sie an seine Lippen und drückte einen Kuß darauf. Die Berührung seiner Lippen elektrisierte sie. Sofort entzog sie ihm ihre Hand.
»Warum wollen Sie nicht glücklich sein, Angie? Oder soll ich Tante Angie sagen?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Gut, dann also Angie. Würden Sie mich auch beim Vornamen nennen können, Angie?«
Sie nickte. Da nahm er wieder ihre Hand, und sie überließ sie ihm. Entweder fehlte ihr die Kraft, sich zu wehren, oder sie war ihm bereits verfallen. Aber nein! Sie war einfach fix und fertig mit den Nerven! Und das alles lag an Nora Anderson! In einem solchen Zustand konnte jeder Mann eine Frau verführen. Auch so eine erwachsene und selbstbewußte Frau wie sie. Das alles hatte gar nichts zu bedeuten.