doch recht jung geheiratet haben. Doch weiter fragen wollte er nicht. So bemerkte er nur: »Wenn man jahrelang raus war, mag es auch nicht so einfach sein, wieder anzuknüpfen. Überall gibt es Veränderungen, Neues, mit dem man sich erst auseinandersetzen muß. Aber ein Hobby sollten Sie sich zumindest suchen, Frau Rodenbach.«
Jetzt sah sie auf, und sie lächelte schwach. »Was ich tat, war aus einem Hobby entstanden, und es hat mit Fortschritt und Veränderungen nichts zu tun. Kinder haben zu allen Zeiten gern Geschichten gehört, und das wird hoffentlich auch so bleiben.«
Interessiert blitzte es in seinen Augen auf, und nun mußte sie ihm doch Näheres darüber erzählen. Mit einem gespannten Lächeln hörte Mathias ihr zu. »Jetzt fällt mir doch ein, daß mein kleiner Neffe das immer hören wollte«, sagte er lebhaft. »Seine Mutter durfte ihn dabei nicht stören. Ja. Geschichten von Julia, das war für ihn ein Begriff. Er beklagte das ordentlich, daß da nichts mehr kommt. Schreiben Sie wieder, Frau Rodenbach. Das muß doch eine wunderschöne Beschäftigung sein.«
»War es für mich auch, ja«, gab sie zu. »Aber jetzt quäle ich mich nur damit herum und bringe nichts mehr zustande.«
»Das kann ich mir aber gar nicht vorstellen«, hielt Mathias ihr eifrig entgegen. »Wenn man die Phantasie und die Begabung hat, kann der Quell nicht ganz versiegen. Sie dürfen das nicht aufgeben.«
Mit einem eigenartigen Blick sah sie ihn an. »Ich hätte geglaubt, daß Sie das eher komisch fänden«, äußerte sie. »Mein Ex-Mann hat sich jedenfalls gern lustig darüber gemacht.«
»Das ist verkehrt. Es muß doch einen Ausgleich geben zu unserer nüchternen Welt. Dazu gehört alles Schöpferische, Geschriebenes, Vertontes. Ich, zum Beispiel, bin ein großer Musikfreund und lasse nach Möglichkeit kein Konzert aus.«
»Waren Sie auch neulich bei
den Philharmonikern, wo sie Tschaikowsky spielten?« fragte Julia.
»Ja, Sie auch?« fragte er überrascht zurück.
Stumm schüttelte sie den Kopf. »Ich mache mir zu Hause Musik«, sagte sie.
»Ich habe noch viele Schallplatten.«
»Das ist nicht dasselbe!«
»Nein.« Aber sie wußte schon lange nicht mehr, wie ein festlicher Konzertabend war. Alexander hatte kein Interesse daran gehabt. Höchstens zu einer Opernpremiere war er mit ihr gegangen, wenn man gesehen werden mußte.
Absichtslos sah sie zum Nebentisch hinüber, wo jetzt ein gutgekleidetes älteres Ehepaar aufstand. Sie hatten einen schönen, edlen Hund bei sich, den man bisher gar nicht bemerkt hatte, so brav hatte er zu ihren Füßen gelegen. Was für treue Augen der hatte!
»Vielleicht«, sagte Julia plötzlich, »schaffe ich mir noch einen Hund an. In den Tierheimen soll es ja viele heimatlose geben.«
Die junge Bedienung trat an den Tisch. »Darf es noch etwas sein?« Sie ließ den Blick zwischen dem Paar hin- und hergehen.
Die Gäste dankten. Mathias beglich die Rechnung, und sie brachen auf. Von irgendwoher schlug es halb elf, als sie sich vor ihrer Haustür verabschiedeten. »Ich hoffe, Sie haben es nicht bereut, daß ich Sie noch aus dem Haus gelotst habe«, sagte Mathias.
»Nein, keinesfalls. Im Gegenteil. Gute Nacht, Herr Walden.«
Er hielt ihre Hand noch fest. »Darf ich meinem kleinen Neffen sagen, daß bald wieder etwas von JULIA gesendet wird?« fragte er mit einem Lächeln.
»Das ist nicht sicher. Aber ich werde es versuchen.«
»Versprochen?«
»Versprochen.« Leicht gab Julia sein Lächeln zurück.
»Das ist schön. Gute Nacht, Frau Rodenbach.«
*
Am nächsten Abend also führte er seine Freundin Kerstin aus. Diesmal trug sie einen knöchellangen schwarzen Rock zu einer schmalgeschnittenen Jacke. »Lang genug?« hatte sie etwas spitz gefragt und auf den Saum über ihren Füßen gedeutet.
Während sie speisten, von Kellnern bedient, die sich vornehmer gaben als ihre Gäste, berichtete Kerstin von der gestern stattgefundenen Party. Die er ja leider versäumt hatte, weil er zu müde gewesen war!
Es klang anzüglich. Sie schien überhaupt heute nicht gerade strahlender Laune zu sein, wie Mathias bei sich feststellte.
»Jochen war auch da«, erwähnte sie beiläufig. »Er gibt nicht auf.«
»Soso.« Mathias tat ihr nicht den Gefallen, sich eifersüchtig zu zeigen, wie sie es wohl erwartete.
»Dir macht das überhaupt nichts aus, nicht?« fragte sie, den Kopf zurückwerfend, daß die überlangen Ohrringe ins Baumeln gerieten.
Mathias legte sein Besteck nieder.
»Kerstin, irgendwie bist du heute aggressiv. Warum eigentlich? Du bist doch sonst gern hier.«
»Bin ich ja auch.«
Kerstin senkte die Blicke auf ihren Teller. Selbst die Teller waren hier was Besonderes mit ihrem feinzeselierten Rand.
Zu blöde, daß sie Jochen erwähnt hatte. Den würden sie hier nicht einmal hereinlassen, in den Klamotten, die er immer trug.
»Entschuldige bitte«, sagte sie kleinlaut.
Oh, sie wollte ihn doch nicht verlieren! Mathias Walden war ein Mann von Format. Sie hatte alle Verführungskünste spielen lassen müssen, bevor er sie überhaupt bemerkt hatte.
»Schon gut«, lenkte er ein und griff wieder nach Messer und Gabel.
Kerstins Lider zuckten. Sie rückte an ihrem Glas. »Ist sie denn hübscher als ich, mit der du gestern abend im ›Schwan‹ warst?« fragte sie endlich.
Verblüfft hob Mathias den Kopf. »Woher weißt du denn das schon wieder?«
»Meine Freundin Hilla serviert dort an manchen Abenden. Sie macht das neben ihrem Studium. Sie hat uns schon zusammen gesehen.«
»Und da hatte sie nichts Eiligeres zu tun, als dir zu erzählen, daß ich da mit einer Dame war?« Es war ein Hauch von Ironie in seinen Worten.
»Du hättest es doch nicht getan«, erwiderte Kerstin und sah ihn anklagend an.
Gelassen erwiderte Mathias ihren Blick.
»Ich muß dir wohl nicht über jeden meiner Schritte Rechenschaft ablegen«, sagte er ruhig und ganz freundlich.
Das reizte sie. Schon ging ihr Temperament wieder mit ihr durch.
»Nein, aber mir sagst du, du brauchst deine Ruhe und ließest mich allein auf die doofe Party gehen.«
»Ich denke, die war so toll«, warf Mathias erheitert ein.
»Und dann gehst du mit einer anderen aus. Das finde ich nicht fair, Mathias!« Sie funkelte ihn an.
»Nicht so laut, Kerstin. Du wirst mir doch hier nicht eine Szene machen wollen! Iß weiter, laß es nicht kalt werden.«
»Aber wer war das denn, kannst du es mir nicht sagen? Bist du in sie verliebt?«
»Was für ein Unsinn!« Langsam wurde Mathias ungeduldig. »Diese Dame ist eine Zufallsbekanntschaft. Daß wir uns gestern abend noch einmal kurz getroffen haben, um etwas zu besprechen, war nicht geplant. Bist du nun zufrieden?«
Kerstin beugte sich wieder über ihren Teller. »Im Gegensatz zu dir bin ich eben eifersüchtig«, sagte sie, sehr viel leiser als vorher.
»Das steht dir aber gar nicht, Kerstin. Was ich an dir so mag, ist gerade deine Frische und Unkompliziertheit.«
Er sagte ›mag‹, nicht: ›was ich an dir liebe‹. Kerstin registrierte es wohl. Es war bei ihren vorhergehenden Beziehungen auch nicht besonders von Liebe die Rede gewesen. Für die Jungen war das eher ein altmodisches, abgenutztes Wort. Man hatte seinen Spaß miteinander, war verliebt und dachte doch nicht an morgen.