Йозеф Рот

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke


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fiel ihm ein, daß er sich nicht oft genug rasieren ließ. An zwei Tagen in der Woche, Freitag und Dienstag, pflegte er die Lehrlingsschule der Barbiere aufzusuchen, wo die Lehrlinge schmerzhaft, aber umsonst die Bärte kratzten. Diese Lehrlingsschule sowie die Übung, sich nur zweimal wöchentlich rasieren zu lassen, erschienen Andreas unwürdig eines Mannes, der gesonnen war, dauernden und erfolgreichen Eindruck auf eine schmucke Witwe zu machen. Und jener siegreiche Leichtsinn, dem wir selig unterliegen, wenn wir einer Eroberung sicher sind, ergriff auch Andreas Pum gewaltsam und ward stärker als seine sonst so wachsame Besonnenheit. Andreas begab sich in eine Barbierstube, die sich nicht mit Unrecht Frisiersalon nannte, und begegnete, obwohl sein Leierkasten ein wenig Verwunderung hätte erregen müssen, dennoch derselben herzlichen und warmen Höflichkeit, die allen Eintretenden aus den Friseurläden wie eine milde Frühlingsluft entgegenströmt.

      Er sah sich im Spiegel, das Gesicht weißbestäubt von Puder, seinen Scheitel glänzend von Öl, und den vornehmen Duft, der von ihm selbst ausging, atmete er mit stolzem Behagen. Der Entschluß, die Lehrlingsschule überhaupt nicht mehr, dafür aber diverse Friseurläden um so häufiger zu besuchen, wuchs in ihm unerschütterlich. Er straffte die Kopfhaut, die Stirn, rief die zwei kleinen imponierenden Falten an der Nasenwurzel hervor und brachte so den Adlerblick zustande, den er immer in den entscheidenden Augenblicken seiner militärischen Laufbahn angelegt hatte. Dann gelang es ihm, mit einer solch vornehmen Bewegung den Leierkasten umzuhängen, daß er fast einem Rechnungsfeldwebel glich, der seinen Säbel umschnallt.

      Bedenken verschiedener Natur und Wichtigkeit überfielen ihn erst auf der Straße, in der Nähe des Hauses Nummer 37, wie eine lästige Fliegenschar. Er kam sich wie ein hartherziger Egoist vor, ein kalter Mensch und ein eitler obendrein, der ohne Rücksicht auf den schmerzvollen Tag der Witwe Blumich, vielleicht den schmerzvollsten ihres jungen Lebens, geckenhafte Toilette gemacht hatte. Was würde sie denken, wenn er so vor ihr erschiene, nachdem sie ihn gestern in seinem gewöhnlichen Zustand gesehen hatte? Würde sie nicht mit Recht beleidigt, getroffen, ja schmerzlich bewegt sein? Es war vielleicht überhaupt nicht günstig, heute die Witwe Blumich zu besuchen. Man müßte sich ein wenig auch vor dem toten Mann schämen, der noch nicht in der Erde lag. Andreas hätte eigentlich sehr viel Grund zu warten, der Witwe Zeit zu lassen, bis sie mit ihrem ersten Mann vollkommen ins reine kommen würde. Außerdem hatte sie ihn ja selbst nicht etwa für heute, sondern erst für morgen bestellt, ja man konnte sagen: gebeten.

      An diesem Tage hatte Andreas Pum so viel Glück wie noch nie, seitdem er mit der Drehorgel in die Höfe wanderte. Sei es, weil die ungewöhnlich heiße Stunde alle Leute zwang, ihre Fenster weit offen zu halten, und sie den Klang einer Musik zum erwarteten Anlaß nahmen, Luft zu schöpfen und sich über die Brüstungen zu lehnen, sei es, weil ihnen der frischrasierte, saubere und mit einem glänzenden Kreuz gezierte Andreas ganz besonders sympathisch erschien – wir wissen nicht, wieso es kam, daß es rings um Andreas Geld regnete und daß er Mühe hatte, sich zu bücken, so oft mußte er es tun. Es war kein Zweifel mehr: das Glück war zugleich mit der Witwe Blumich in sein Leben getreten. Und lächelnd, mild und gütig, wie die Strahlen der untergehenden Sonne, die noch auf den Giebeln der Häuser ruhte, kehrte Andreas heim, lange noch vor Anbruch der Dämmerung, einen herzlichen Gruß für Willi auf den Lippen und mit einem gesegneten Appetit, der oft eine angenehme Begleiterscheinung einer gesunden Zufriedenheit zu sein pflegt.

      Noch ahnte Andreas nichts von seinem Nebenbuhler, der in Anbetracht seines Berufes ein gefährlicher genannt werden konnte. Es war der im Hause Nummer 37 wohnende, jugendliche, schlanke und vom Scheitel bis zur Sohle verführerische Unterinspektor der Polizei, Vinzenz Topp, ein Frauenliebling jener Gegenden, in denen er Dienst hatte, ein Mann, der seine berufliche Würde mit einer gefälligen Sanftmut wohl zu verbinden wußte, leutselig gegen Passanten und Untergebene und gegen Vorgesetzte von einer sympathischen Korrektheit, der doch gleichwohl ein wenig stramme Demut beigemengt war. Auch in die Adjustierung wußte Vinzenz eine persönliche Note einzuschmuggeln, so daß er nicht nur schmucker als seine Kameraden erschien, sondern auch vorschriftsmäßiger. Er war menschlich im Dienst, soldatisch im privaten Umgang. Frau Blumich hatte während der langen Krankheit ihres Mannes mit einem durch Entbehrung doppelt geschärften Sinn die Vorzüge ihres Nachbarn in ihrer ganzen verwirrenden Fülle entdeckt und die Annehmlichkeiten eines kurzen Wortwechsels, eines gelächelten Grußes nicht selten genossen. Sie war sich jedoch darüber klar, daß der Unterinspektor wohl eine kurze Zerstreuung für entbehrende Frauen sein konnte, aber niemals ein getreuer und zuverlässiger Gatte. Dazu kam der Nachtdienst dreimal in der Woche. Frau Blumich fürchtete sich allein, mit ihrem fünfjährigen Mädchen in ihren zwei kleinen, aber im Dunkel der Nacht fast unermeßlich scheinenden Zimmern. Und obwohl sie sich im allgemeinen schon die Fähigkeit zutraute, zur Abwechslung neigende Männer zu zähmen und festzuhalten, so glaubte sie doch, gegenüber dem jugendlichen Übermut des Herrn Vinzenz Topp versagen zu müssen. Freilich war weder ihr Instinkt so zielsicher noch ihr Verstand so scharf, daß sie gewußt hätte, wie sehr gerade der übermütig scheinende Unterinspektor sich nach der gesicherten Existenz eines mit einer Witwe Verheirateten sehnte. Denn Vinzenz Topp war im Grunde mit seinem Leben unzufrieden. Er glitt allmählich in die Jahre, in denen es lästig wird, Gedanken, Tage und sogar Geld den ewig wechselnden Objekten der Liebe zu widmen. Das Herz sehnt sich nach den beruhigenden Regeln der sittlichen Ehe. Wir wollen nicht mehr immer sozusagen unterwegs sein, um unser berechtigtes Verlangen nach der warmen Nähe der Frau stillen zu können. Unser Beruf allein schon macht uns heimatlos. Wir bedürfen eines traulichen Daheims, von dem aus gelegentliche Ausflüge nicht ausgeschlossen sind und schweigend verziehen werden. Wir bedürfen einer eigenen, jetzt überhaupt nicht zu erreichenden Zweizimmerwohnung, möbliert, und einer ansehnlichen Familienzulage für Frau und Kind. Und schließlich der Ernennung zum Inspektor, die von einer Verheiratung zwar nicht abhängig war, aber durch einen Hinweis auf die gesteigerten Bedürfnisse bei einem günstig gestimmten Vorgesetzten beschleunigt werden konnte.

      Von all dem ahnte, wie gesagt, Frau Blumich – sie hieß übrigens Katharina – gar nichts. Sie war gewohnt, Eindruck auf Männer zu machen, und sie fand nichts Besonderes daran, daß auch Vinzenz Topp ihr einen jener unternehmungslustigen und dennoch ehrfürchtigen Blicke zugesandt hatte, den alle Frauen zu schätzen wissen. Sie sammelte eine Menge solcher Blicke alle Tage im Hause und auf der Straße, im Park und im Laden. Das hatte nichts zu bedeuten. Von den Männern ist einer leichtsinniger als der andere, alle wollen ohne Verantwortung genießen, jeder will haben, keiner will zahlen, wie das Sprichwort lautet. Katharina Blumich war eine nüchterne Frau. Auch den ersten Mann hatte sie sorgfältig erwählt. Daß er später lungenkrank wurde, weil er Borstenarbeiter war, war Gottes Wille. Gegen das Schicksal kann man nichts unternehmen, aber den Verstand muß man trotzdem sprechen lassen. Dieser plädierte für einen Mann gesetzten Alters, mit einem körperlichen Mangel womöglich, der das eheliche Glück dennoch nicht verhindern konnte; die Vernunft gebot einen Vogel mit bereits gestutztem Gefieder, der leicht zu halten war und keiner aufregenden Disziplin mehr bedurfte. Dabei spielte der Stand keine Rolle oder nur eine geringe, insofern, als es Frau Blumich praktischer erschien, ein Wesen aus tieferer Sphäre zu sich emporzuziehen, als selbst emporgezogen zu werden. Dieses hätte sie zur Dankbarkeit verpflichtet und sie ihrer Autorität beraubt. In jedem Haushalt aber ist die Autorität der Frau das wichtigste.

      Aus diesem Grunde verzichtete Frau Katharina Blumich auf den Unterinspektor Vinzenz Topp. Mochte er eine andere unglücklich machen. Mochte er sein Leben lang überhaupt nur mit losen Frauenzimmern umgehn. Als eine ständige Bedrohung des rechtmäßig angetrauten Gatten und als ein Anlaß zu dessen Eifersucht war er ja stets nachbarlich zur Hand und gut zu gebrauchen. Man muß alles ausnützen, aber man darf sich nicht wegwerfen.

      Der Tag, an dem Andreas Pum seinen offiziellen Antrittsbesuch im Hof des Hauses 37 machte, war trübe und bleiern, trotz seiner spätsommerlichen Schwüle eine Vorahnung des Herbstes und von einem starken Feuchtigkeitsgehalt, der Andreas Schmerzen im fehlenden Bein verursachte. An diesen Tagen war er ohnehin schutzbedürftig, kindlich, verlassen, wehmutsvoll, sehnsüchtig. Kaum hatte er im Hof als ein schweigend ausgemachtes Erkennungszeichen die »Lorelei« intoniert, als Frau Blumich erschien, ihn bat, abzubrechen und in ihrer Wohnung sein Spiel fortzusetzen. Es war ein trauriges, ein melancholisches Lied und tat der Trauer keinen Abbruch.