Führer standen auf dem vordersten Schiff beisammen und berieten über den Weg, den sie nehmen wollten. Odysseus lehnte finster und schweigsam neben dem Steuer. Er war unzufrieden mit sich selbst. Warum war er nur davongefahren und hatte Agamemnon zurückgelassen, der doch sein Freund war? Sie hatten gemeinsam gekämpft und alle Mühsal ertragen; sie hätten auch gemeinsam heimkehren sollen! Außerdem gefiel ihm die Wasserstraße nicht, die seine Gefährten wählten. Sie war zwar kürzer, aber gefährlicher und es schien Odysseus sehr ungewiss, ob Poseidon, der Beherrscher der Meere, sie freundlich geleiten oder erbarmungslos in den von Fischen wimmelnden Schlünden versinken lassen würde.
So kam es, dass abermals Zwist unter den Fürsten ausbrach, noch ehe die Schiffe Tenedos umfahren hatten, die kleine Insel vor der troischen Küste. Und zuletzt kehrte Odysseus mit seinen Schiffen und den Kriegern, die ihm ergeben waren, wieder um und fuhr zurück nach Troja.
Aber es sollte auch ihm und Agamemnon keine gemeinsame Heimkehr beschieden sein.
Als ihre reich beladene Flotte zum zweiten Mal von Troja ausfuhr, gingen die Wogen stürmisch, die Wolken hingen tief und schwer und graue Dämmerung hüllte die Schiffe ein, als wäre es nicht Morgen, sondern Abend.
Kaum waren sie auf dem offenen Meer, da überfiel sie ein Wirbelsturm, warf sie hin und her, das eine dahin, das andere dorthin, sodass die Achaier einander aus den Augen verloren.
Wie gewaltige schwarze Schatten sah Odysseus seine eigenen Schiffe im Nebel auf und nieder schwanken, während der Sturm sie immer weiter mit sich riss, sie wussten nicht, wohin.
Endlich wurde es stiller, die Wolken verzogen sich und sie kamen aus dem Nebel heraus. Zwar rollten die Wogen noch immer wild und sprangen mit weißen Kämmen an den Bordwänden herauf. Aber man konnte wieder sehen, und als Odysseus sich umschaute, zeigte es sich, dass kein einziges seiner Schiffe verloren gegangen war. Von den andern Achaiern aber war keine Spur mehr zu erblicken.
Odysseus tat einen tiefen Atemzug. Nun, die Götter hatten ihn und die Seinigen gerettet und er würde ihnen, sobald er irgendwo Land fände, ein feierliches Opfer bringen. Gewiss hatten auch Agamemnons Schiffe den Sturm glücklich überstanden und jeder musste eben allein seines Weges heimwärts ziehen, da es die Unsterblichen nun einmal so entschieden hatten.
Während Odysseus dies dachte, starrte er nach vorne in den Nebel, der immer dünner wurde. Jetzt tauchte, schon ganz nahe, ein flacher Strand auf. Bald knirschten die Kiele auf dem sandigen Grund und die Achaier sprangen bewaffnet ans Land. Vor ihnen lagen die Mauern einer kleinen festen Stadt. Odysseus erschrak. Diese Stadt kannte er! Nein, die Götter hatten es doch nicht gut mit ihnen gemeint: Denn es war Ismaros, die Stadt der Kikonen, und die Kikonen waren Bundesgenossen der Troer! Das bedeutete nicht Heimkehr, sondern Kampf.
Es schien, als sollten sie noch einmal Glück haben. Die Kikonen erwarteten keinen Angriff und hatten zu dieser Zeit nur wenige Krieger in der Stadt. So dauerte die Schlacht nicht lange. Bald war die kleine Schar zersprengt, wer nicht tot oder verwundet war, floh in das Innere des Landes. Die Achaier frohlockten, nahmen an Beute, was sie fanden, und dachten nicht daran, etwa sogleich wieder zu Schiffe zu gehen und davonzusegeln.
Odysseus aber gefiel etwas an diesem leichten Siege nicht.
»Wir wollen schleunigst fort von hier!«, sagte er warnend zu den Gefährten. »Mir ahnt, dass bald etwas geschehen wird!«
Sie lachten jedoch nur, schleppten gewaltige Krüge voll süßen schweren Weines aus den Vorratskammern der Häuser herbei, schlachteten Ziegen und Rinder, die auf den Weiden vor den Mauern gingen, und schmausten und tranken die ganze Nacht hindurch.
Am Morgen aber kam das Verhängnis über sie.
Die versprengten Kikonen hatten unterdessen aus dem Innern des Landes ihre Stammesbrüder herbeigerufen.
Nun schwärmten sie von allen Seiten heran, zahllos wie im Frühling Blüten und Blätter sprießen. Auf Streitwagen und zu Fuß rückten sie an und alsbald schwirrten ihre Lanzen um die weinumnebelten Köpfe der Achaier. Eine wütende Feldschlacht entbrannte am Gestade vor Ismaros. Die Achaier wehrten sich tapfer gegen die Übermacht. Aber gegen Abend, zu der Stunde, da der Pflüger die Stiere abspannt, mussten sie den Kampf aufgeben.
Sie flohen auf die Schiffe. Als sie sich umblickten, fehlten auf jedem Schiff sechs Männer. Sie lagen still am Strand, von den Kikonen erschlagen.
So fuhren die anderen mit traurigen Herzen von dannen. Ehe sie jedoch die Ruder ins Wasser tauchten, riefen sie dreimal die Namen der toten Gefährten hinüber ans Ufer.
Abermals zogen die Schiffe über das Meer. Aber noch immer zürnten die Götter. Zeus sandte einen furchtbaren Nordsturm. Heulend fuhr er daher, schwarze Wolken auftürmend. Nacht schien von allen Seiten hereinzubrechen und verschlang Himmel und Meer. Steuerlos rasten die Schiffe durch das entsetzliche Dunkel. Die Mastbäume bogen sich tief, da und dort hing schon ein Segel zerfetzt herab, die übrigen zogen die Männer eilends ein.
Dann begannen sie mühselig zu rudern. Immerzu schlugen die Ruder das Wasser, immerzu. Und irgendwo und irgendwann, nach einer endlosen Zeit, fanden die Kiele Grund und liefen auf einen Strand.
Die Männer gingen an Land: Es war ihnen gleich, wo sie sich befanden, so todmüde waren sie. Sie streckten sich auf der Erde aus und schliefen im selben Augenblick.
Zwei Tage und zwei Nächte lagen sie an dem fremden Gestade, mutlos und entkräftet.
Als aber am dritten Tage die Morgenröte am Himmel emporstieg, kam auch die Hoffnung wieder. Sie richteten die Masten auf und spannten die Segel; ein sanfter Wind trug die Schiffe aufs Meer hinaus und sie gehorchten willig dem Steuer. Die Männer begannen bald, von fröhlicher Heimkehr zu reden und die erlittene Unbill zu vergessen.
Allmählich wurde auch Odysseus wieder zuversichtlicher: Einmal musste wohl alle Not ein Ende nehmen.
Aber je näher sie Ithaka kamen, desto mehr sann er darüber nach, was wohl dort alles geschehen sein mochte, während er in der Fremde war und keine Kunde aus der Heimat ihn erreichte.
Er dachte an Penelope. Sie hatte zehn Jahre auf ihn warten müssen, die schöne, kluge Penelope. Und ihr kleiner Sohn, den er kaum gesehen hatte, war indessen groß geworden. Vielleicht übte er sich schon mit seinen Kameraden in Lauf und Sprung und im Diskuswerfen mit der leichten Scheibe, die eben Knaben zu werfen vermochten.
Odysseus lächelte. Ja, es würde gut sein heimzukehren.
In diesem Augenblick lief ein Zittern durch das Schiff, als hemme eine furchtbare Gewalt seinen Lauf. Dann schien es stillzustehen. Die Segel, die sich so fröhlich im Winde gebläht hatten, sanken klatschend zusammen.
Zugleich begann sich das Schiff langsam zur Seite zu drehen. Odysseus sah, wie der Steuermann, feuerrot im Gesicht, über dem Ruder hing und es mit allen Kräften zu halten versuchte: Es half nichts. Irgendetwas anderes war stärker.
Odysseus biss die Zähne zusammen. Er wusste, was es war.
Sie befanden sich in der Nähe des Vorgebirges Maleia, wo immer die schrecklichsten Stürme ihr Unwesen trieben. Unter Wasser aber flossen dort gewaltige Ströme, und wenn sie ein Schiff erfassten, rissen sie es unwiderstehlich hinaus aufs offene Meer.
Nein, nun sah es abermals nicht so aus, als wäre ihnen eine fröhliche Heimkehr beschieden!
Überall auf den Schiffen liefen die Männer durcheinander. Da und dort begannen sie zu rudern, um aus der entsetzlichen Strömung zu entrinnen. Aber auch das war vergebens.
Plötzlich war ein Sausen und Heulen in der Luft, dann warf sich der Nordwind in die Segel, dass es laut knallte.
Jetzt begannen die Schiffe vorwärtszurasen wie wild gewordene Pferde. Aber sie fuhren nicht nach Norden, wo das Festland und Ithaka lagen. Strömung und Sturm rissen sie südwärts, vorüber an Kythera, vorüber auch an den kleinen Inseln, die einmal, viel später, zur Linken auftauchten und wieder verschwanden, so sehnsüchtig sie auch hinüberstarrten.
Dann war nichts mehr da als öde einsame Wasserwüste, Tag um Tag, Nacht um Nacht. Zwar hatte sie die Strömung losgelassen und manchmal schlief