Rose Bloom

Rage


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immer wieder, bis er die Augen vollständig geöffnet hatte. Das Weiße darin war rot geädert, aber seine blaue Iris strahlte wie eh und je. Er musterte mein Gesicht lähmende Sekunden, und die Angst in mir wuchs, dass er mich vielleicht gar nicht erkannte. Was machte ich, wenn er nicht mehr wusste, wer ich war? Tränen liefen mir die Wangen hinunter, aber meine Hand ruhte immer noch an seinem Gesicht. Ich würde ihn nie wieder loslassen.

      Plötzlich zuckten seine Finger. Er keuchte einige Male, als liefe er einen Marathon. Endlich, nach viel zu langer Zeit, öffnete er die Augen komplett und sah mich klar an. Mich. Im gleichen Moment öffnete sich der Knoten in meiner Brust, und ich konnte endlich wieder atmen. Ich schnappte laut nach Luft, als er sich einige Male räusperte.

      »Wieso weinst du, Bambi?«, krächzte er.

      Meine Schluchzer wurden immer lauter. »Weil ich dachte, du wärst fort.« Es wunderte mich, dass er meine bebende Stimme überhaupt verstand.

      Verwirrt löste er den Blick von mir und sah nach links zu Sam. Der hob die Hand und lächelte erleichtert, aber weiterhin angespannt. »Guten Morgen, Dornröschen«, witzelte er flach, und ich setzte mich vorsichtig auf den Bettrand, griff nach Shawns Fingern und drückte sie fest. Sein Blick glitt erneut zu mir, und im gleichen Moment, in dem ich dachte, er wollte etwas sagen, sackten seine Augenlider wieder nach unten, und sein Körper erschlaffte. Verzweifelt sah ich Sam an. Er wirkte genauso hilflos wie ich.

      »Ich hole einen Arzt«, sagte er und verschwand mit Gini, die am Türrahmen gestanden hatte, aus dem Zimmer.

      »Shawn?«, flüsterte ich, doch ich erhielt keine Reaktion. Er war wieder fort. Aber wenigstens hatte er es einmal zurückgeschafft! Dann war es nur eine Frage der Zeit, wann es ihm ein zweites Mal und dann für immer gelang.

      Seufzend legte ich den Kopf auf seiner Schulter ab und zählte die gleichmäßigen Atemzüge, die er machte.

      Shawn wachte noch drei ganze Male kurz auf, versuchte, die Situation zu verarbeiten, und schlief wieder vor Erschöpfung ein. Jedes Mal war er länger wach und vor allem ansprechbarer, doch wirklich verstehen, was ihm passiert war, konnte er nicht. Trotzdem schöpften wir immer größere Hoffnung, dass er sich weiter erholte und bald ganz wach blieb.

      Am nächsten Morgen waren Sam und ich erneut so früh wie möglich zu ihm gefahren und hofften, sein Bewusstsein heute ganz zurückholen zu können. Am liebsten wäre ich die gesamte Nacht bei ihm geblieben, aber die Krankenhausvorschriften hatten es mir untersagt. Als Shawn endlich die Augen öffnete, atmeten wir erleichtert aus. »Hab ich gestern zu lange gefeiert, oder warum brummt mir so der Schädel?«, fragte Shawn, und ich schüttelte lächelnd den Kopf. Auch wenn wir ihm bereits zwei Mal gesagt hatten, dass er sich im Krankenhaus befand, hatten wir den Eindruck gehabt, dass er diesen Umstand noch nicht verarbeiten konnte. Deshalb hatten wir ihm auch nicht genau erzählt, was mit ihm los war. Doch nun wirkte er endlich viel klarer.

      »Du hast vier Tage geschlafen, Baby. Du warst im Koma, mit Verdacht auf Hirnblutung.« Das letzte Wort kam mir kaum über die Lippen, doch es war Zeit, ihn in die Realität zurückzuholen.

      Er sah mich erneut an, und ich hatte schon Angst, meine Worte hätten ihn wieder mal nicht erreicht. Seine Stimme war immer noch rau, als er sagte: »Ich mag es, wenn du mich Baby nennst.«

      »Du hast mir gefehlt«, flüsterte ich. Er fasste nach meinen Händen. Sein Griff war kraftlos, aber immerhin konnte er die Arme wieder in meine Richtung heben.

      Sam räusperte sich und legte seinen Arm um Ginis Schulter. »Wir lassen euch allein.«

      Als die beiden aus dem Zimmer verschwunden waren, zog mich Shawn zu sich. »Komm her«, raunte er, und ich krabbelte zu ihm aufs Bett. Er rutschte ein Stück zur Seite und atmete zischend die Luft ein. Ich hielt inne. »Es geht schon«, sagte er.

      »Es geht überhaupt nicht! Du sollst dich ausruhen, dein Körper ist immer noch geschwächt.«

      »Deshalb brauche ich dich. Hab ich dir nicht gesagt, dass ich es ausnutzen werde und du dich um mich kümmern musst?« Unfassbar sah ich auf das kleine Grübchen, das ich so sehr vermisst hatte, und war überglücklich, dass er sich noch an diese Worte, die er mir vor dem Kampf gesagt hatte, erinnerte. Er umschlang meine Taille und zog mich an sich. Vorsichtig legte ich den Kopf auf seiner Schulter ab, und seine Hand spielte leicht mit meinen Haaren. Ich genoss die Wärme seines Körpers, weil sich mein eigener eiskalt anfühlte. Großer Gott, wieder mal realisierte ich, was für eine Angst ich um ihn gehabt hatte. Ich legte meinen Arm um seinen Bauch und drückte mich noch enger an ihn. Kein Lüftchen hätte mehr zwischen uns gepasst.

      »War ich wirklich vier Tage weg?«, fragte er leise, und ich nickte stumm. »Scheiße …«

      Ich schreckte hoch und sah ihn an. »Du musst furchtbaren Durst haben!« Schnell griff ich nach dem Wasserglas auf seinem Nachttisch und hielt es ihm hin. Mit einem Zug leerte er es. Ich stellte es zurück, und die Tür ging auf. Der Arzt, gefolgt von Sam, Gini und einer Schwester, kam herein. Ich wollte von Shawns Bett rutschen, aber er hielt mich fest. »Du bleibst da, wo du bist«, brummte er leise zu mir, und ich ergab mich meinem Schicksal. Eigentlich wollte ich überhaupt nie wieder weg von ihm.

      »Mister Dawson, welche Freude, Sie endlich richtig wach zu sehen.« Der Arzt trat vor das Bett, checkte die Geräte, testete Shawns Puls und Reflexe und leuchtete mit einer kleinen Lampe in seine Augen. Gestern war Shawn so schnell wieder eingeschlafen, nachdem er wach geworden war, dass dem Arzt keine Zeit blieb, ihn wirklich zu untersuchen.

      »Haben Sie Schmerzen?«

      »Nein.«

      Sam und ich seufzten gleichzeitig. »Du musst ehrlich sein, wenn das funktionieren soll!«, tadelte ich ihn, und er verdrehte die Augen.

      »Okay, Kopfschmerzen.«

      »Dagegen bekommen Sie Tabletten. Sie sind noch mal haarscharf an einer Hirnblutung vorbeigekommen, allerdings haben Sie trotzdem eine Gehirnerschütterung und noch eine geringe Hirnschwellung.«

      »Nur das?«

      »Das wird häufig unterschätzt. Sie sollten sie komplett auskurieren, wenn Sie vermeiden wollen, mit Ende dreißig an Demenz zu leiden. Sonst haben Sie keine Beschwerden? Fallen Ihnen noch alle Namen ein, können Sie Arme und Beine heben?«

      Shawn nickte.

      »Gut! Sogar ausgezeichnet!«, sagte Dr. Hills. Sein zufriedener Gesichtsausdruck beschwichtigte auch mich. »Dann ruhen Sie sich noch ein wenig aus. Wenn etwas ist, einfach den Klingelknopf drücken.«

      »Wann kann ich hier raus, Doc?«, fragte Shawn, und alle im Raum sahen den Arzt aufmerksam an.

      »Sie sollten sich noch etwas Ruhe gönnen. Sie sind gerade eben erst richtig aufgewacht.«

      »Aber …«, setzte Shawn an.

      Ich legte meine Hand auf seinen Bauch. »Bitte«, flehte ich, und Shawn nickte kaum merklich.

      »Danke, Doc«, meinte er dann, und Dr. Hills verließ das Zimmer in Begleitung der Schwester.

      Sam trat näher und legte seine Hand auf Shawns Schulter. »Ich bin froh, dass du wieder da bist«, sagte er, und man konnte beiden ansehen, dass sie um ihre Beherrschung kämpften. Es war ergreifend zu sehen, wie diese starken Männer ohne viele Worte miteinander kommunizierten, und man konnte spüren, wie viel ihnen ihre Freundschaft bedeutete. Shawns Lider wurden immer schwerer, und er zog mich wieder an sich.

      »Du solltest dich tatsächlich ausruhen«, sagte Sam. Ich lächelte erleichtert Gini an, und sie nickte mir zu. »Wir gehen. Wenn irgendetwas sein sollte, ruft einfach an.«

      »Danke, Sam«, sagte ich und beobachtete, wie Sam und Gini nach draußen gingen. Behutsam legte ich den Kopf zurück auf Shawns Schulter und spürte, wie sich sein fester Griff ein wenig lockerte. Seine Atmung wurde immer ruhiger, und ich strich durch seine Haare, während er genüsslich brummte. Natürlich sollte er sich ausruhen, doch ich hatte immer noch eine wahnsinnige Angst, dass er dieses Mal tatsächlich nicht