schmähen und sich so hochmütig zu gebärden, als wären die Achaier ohne ihn verloren!«
Achilleus zuckte die Achseln. »Du hast meinen Schwur gehört. Nun tu, was du nicht lassen kannst.« Er wandte sich ab und ging fort, dorthin, wo die Zelte der Myrmidonen standen und ihre Schiffe am Ufer lagen.
Patroklos und die Myrmidonenkrieger folgten ihm sogleich.
Sorgenvoll blickte ihm Nestor nach. Es geschah selten, dass es ihm nicht gelang, zwei Gegner zu versöhnen. Aber diesmal – er sah Agamemnon an. »Lass dich warnen, Atride«, sagte er noch einmal. Aber der König schien ihn nicht zu hören. Auch er blickte Achilleus nach. Sein dunkles Gesicht war voll Hass.
Gleich darauf begann er, allerlei Befehle zu geben. Ein schnelles Schiff wurde ins Wasser gezogen, die Ruderer nahmen ihre Plätze ein, man brachte die Opfertiere auf das Deck. Odysseus erbot sich, das Schiff nach Chrysa zu führen.
Dann geleitete der König selbst das Mägdlein an Bord, genau wie er es versprochen hatte. Niemand sollte sagen, er habe sein Wort nicht gehalten!
Als der Kiel ins tiefe Wasser glitt und sich nordwärts drehte, wandte sich Agamemnon um. Einige der Fürsten waren ihm an den Strand gefolgt und auch eine große Menge Kriegsvolk.
»Ihr seht, Freunde, ich habe alles getan, um Phöbos Apollon zu versöhnen!«, sagte er so laut, dass es in weitem Umkreis zu hören war. »Und nun« – er winkte die beiden Herolde herbei, die auf seine Befehle warteten – »nun begebt ihr euch sogleich zum Zelte des Peliden und bringt mir Brisëis her.«
Die Herolde starrten ihn an. Sie konnten nicht glauben, dass er wirklich wahr machen wollte, was er Achilleus angedroht hatte.
»Habt ihr mich nicht verstanden?«, schrie der König, als er sah, wie sie zögerten. Da gingen sie.
Agamemnon hatte wohl gemerkt, dass die Fürsten einander unmutig anblickten und die Köpfe schüttelten. Auch die Gesichter der Krieger gefielen ihm nicht, diese einfältigen, verblüfften oder zornigen Gesichter! Freilich, sie wollten einfach nicht glauben, dass jemand ihrem Abgott Achilleus dies antun konnte!
Jedermann im Lager der Achaier kannte Brisëis. Sie hatten laut gejubelt, als das schöne Mädchen ihrem geliebten Helden zugesprochen wurde. Ja, Brisëis war schön, und wenn sie durch die Lagergassen ging, mussten die Krieger ihr nachsehen – ob sie wollten oder nicht. Aber keiner hätte sich unterstanden, ihr ein Scherzwort zuzurufen oder gar eine Hand nach ihr auszustrecken. Sie gehörte Achilleus und Achilleus liebte sie. Auch das wusste jedermann im Lager. Und nun wagte es der König …
Sie vermochten es nicht zu begreifen. –
Die Schritte der beiden Herolde wurden immer langsamer, je näher sie den Zelten der Myrmidonen kamen.
Und als sie Achilleus neben Patroklos vor dem Eingang sitzen sahen, blieben sie stehen.
»Beim Hades, ich würde lieber dem Höllenhund die Zunge aus dem Rachen reißen, als Achilleus diese Botschaft zu bringen!«, sagte der eine zornig.
Der andere nickte bekümmert. »Ja, ich wage ihm gar nicht ins Gesicht zu sehen und gewiss werde ich kein Wort hervorbringen! Warte noch ein wenig, ich …«
Aber Achilleus hatte sie schon bemerkt. »Kommt näher, Freunde!«, sagte er. Seine Stimme klang fremd vor Traurigkeit. »Habt keine Furcht«, fügte er hinzu, »ich weiß, es ist nicht eure Schuld, sondern Agamemnons Befehl!«
Er wandte sich zu Patroklos. »Ich bitte dich, führe du Brisëis heraus, denn ich … ich kann es nicht … du begreifst es gewiss …«
Patroklos legte ihm einen Augenblick den Arm um die Schultern, dann trat er ins Zelt.
Gleich darauf stand Brisëis vor dem Eingang. Als er sie ansah, überkam es Achilleus abermals, wie schön sie war. Aber es war nicht Schönheit allein; vielleicht war es die Anmut ihrer Bewegungen oder ihr schimmerndes Haar oder die Lieblichkeit ihres Lächelns … er wusste es nicht.
Freilich, jetzt waren ihre Augen ganz dunkel vor Trauer. Sie wusste, was geschehen sollte, und sie hatte schon von Achilleus Abschied genommen. Tränen und viele Worte geziemten sich jetzt nicht mehr für sie.
»Mögen die Götter dich beschützen!«, sagte sie nur leise. Dann ging sie, ohne sich noch einmal umzusehen, und die Herolde folgten ihr schweigend.
Als sie zwischen den Zelten verschwunden war, ging auch Achilleus fort.
Patroklos, der ihn so gut kannte wie niemand sonst, wusste, dass er allein bleiben wollte. –
Achilleus schritt hinab zum Meer und setzte sich auf einen Felsen am Ufer. Schmerz und Zorn überkamen ihn mit schrecklicher Gewalt und wollten ihm fast die Besinnung rauben.
»Mutter«, sagte er verzweifelt, »warum hast du mich geboren? Ein kurzes, aber ruhmvolles Leben haben die Götter mir verheißen: aber nun hat Agamemnon Kummer und Schande über mich gebracht.«
Drunten in der Tiefe hörte die Meernymphe Thetis die Klage ihres Sohnes. Sie stieg sogleich herauf, setzte sich neben ihn und ihre Hand strich sanft über seine Wange.
»Was quält dich, mein Kind?«, fragte sie mitleidig. »Sage es mir, vielleicht kann ich dir helfen!«
»Du weißt es doch, Mutter!«, antwortete Achilleus. »Den Unsterblichen bleibt ja nichts verborgen. Als wir Theben erobert hatten, führte das Heer mit der reichen Beute auch die schönsten Frauen mit sich fort. Unter ihnen befand sich Brisëis, die dem Thebanerfürsten Mynes zur Gattin bestimmt war. Aber ich erschlug ihn im Kampfe und die Achaier sprachen mir das Mägdlein als Ehrengabe zu. Nun hat Agamemnon sie mir genommen.« Er stockte, weil wieder der schreckliche Zorn in ihm aufstieg, der ihm die Kehle zuschnürte. »Ich hätte Agamemnon erschlagen, Mutter!«, stieß er hervor. »Doch Pallas Athene verbot es mir. So kann ich selber die Schmach nicht tilgen. Aber Zeus Kronion vermag es, wenn es sein Wille ist. Verstehe mich recht, Mutter! Ich fordere nicht als Rache den Untergang der Achaier: Ich will nur, dass Agamemnon mir meine Ehre und Brisëis zurückgibt. Und das wird er nur dann tun, wenn er sieht, dass ohne meine Hilfe die Achaier verloren sind. Ich habe geschworen, nicht mehr zu kämpfen. Wenn aber Zeus den Troern so lange Sieg verleiht, bis für unser Heer das Ende nahe bevorsteht, dann wird der Atride mich bitten müssen, ihm beizustehen, und dann wird meine Ehre wiederhergestellt sein. Ich weiß, du hast einmal Zeus Kronion vor großer Schmach bewahrt: Wenn du ihn anflehst, wird er sich nicht weigern, mir Genugtuung zu verschaffen!«
Ein leises Lächeln huschte über das Gesicht der Nymphe. »Es ist wahr«, sagte sie, »damals, als die anderen Götter sich gegen Zeus empörten und Hera sich heimlich mit Pallas Athene und Poseidon verschwor, ihn zu fesseln und ihn so ohnmächtig dem Gespött der Unsterblichen preiszugeben, da war ich die Einzige, die auf seiner Seite stand. Ich rief Briareus, den hundertarmigen Riesen, aus der Unterwelt heraus und er setzte sich neben Zeus Kronion. Da erschraken selbst die Götter und verzogen sich eilig aus seiner Nähe. Aber du hast recht, vielleicht kann uns das nützen. Ich will es gern versuchen, nur müssen wir ein wenig Geduld haben, denn Zeus ist mit allen anderen Göttern zu den Aithiopen gereist, die den Unsterblichen ein großes Gastmahl bereitet haben. Es soll zwölf Tage dauern. Danach wird der Vater der Götter und Menschen wohlgelaunt zurückkehren: denn reiche Opfer pflegen ihn stets zu erfreuen. Dann ist die Zeit für uns günstig. Indessen halte du dich vom Kampfe fern und nimm auch nicht teil am Rate der Männer. Das wird Agamemnon in Sorge versetzen und er wird nachzudenken beginnen, ob er recht getan hat. Lebe wohl, mein Sohn, in zwölf Tagen sehen wir uns wieder.« Sie glitt ins Wasser und tauchte hinab in die grüne Dämmerung, wo in der Tiefe der Palast ihres Vaters, des greisen Meergotts Nereus, stand. –
Die Tage schlichen für Achilleus mit unerträglicher Langsamkeit dahin.
Manchmal stand er lange auf dem Deck seines Schiffes und sah finsteren Gesichtes zu, wie die anderen kämpften, wie die Troer ihre schnellen Ausfälle machten, wie Hektor auf seinem Wagen mit den schwarzen Hengsten auf die Reihen der Achaier zujagte und seine mörderischen Lanzen schleuderte.
Dann biss er die Zähne zusammen. Nein, er würde keinen Finger rühren, sosehr es ihn auch nach Kampf gelüstete!
Zuweilen