Harry Voß

Ben und Lasse - Agenten außer Rand und Band


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rümpft die Nase. „Nee, danke.“

      „Und wieso malt man so was?“, will Jonathan wissen.

      „Weil das so in der Bibel steht!“, erklärt Bea altklug.

      Frau Pohl lacht. „Nein. Das steht ganz bestimmt nicht in der Bibel. Venus und Amor sind Götter, die die Römer vor einigen Jahrtausenden verehrt haben. Wenn du willst, kannst du Herrn Hartmann später mal danach fragen. Ich kenne mich damit nicht so gut aus.“

      „Aber Herr Hohmann hat doch gesagt, hier hängen Bilder, die was mit der Bibel zu tun haben“, erinnert sich Sarah.

      „Hier sind ja auch noch mehr Bilder.“ Frau Pohl zeigt auf ein Bild an der Wand gegenüber. „Schaut mal. Dort ist auf jeden Fall etwas aus der Bibel gemalt. Seht ihr?“

      „Das ist Jesus am Kreuz!“, weiß Leonie. „Das hab ich mal als Film gesehen! Die haben da richtig Nägel in seine Hände geschlagen! Das fand ich voll eklig!“

      Auf dem Bild ist riesengroß Jesus gemalt, wie er am Kreuz hängt und stirbt. Rechts neben ihm stehen drei Männer. Links neben dem Kreuz steht noch ein Mann. Nackt. Mit rotem Umhang. Als ich näher hinschaue, erkenne ich, dass dieser linke Mann mit den Füßen auf zwei Zombies steht. Oder Drachen oder Knochenskeletten. Sieht zumindest sehr unheimlich aus. Der sterbende Jesus am Kreuz hat eine blutende Wunde am Bauch, das kenne ich schon aus anderen Bildern von der Kreuzigung. Auf diesem Gemälde ist aber etwas sehr Merkwürdiges gemalt: Aus der Wunde am Bauch von Jesus spritzt ein Blutstrahl im hohen Bogen quer durch das Bild wie aus einem Springbrunnen. Und dieser Strahl trifft genau den mittleren der drei Männer, die rechts neben dem Kreuz stehen. Aber der scheint das gar nicht zu merken. Wirklich ein sehr seltsames Bild.

      Im Kunstunterricht in der sechsten Stunde ist das reinste Chaos ausgebrochen. Alle rennen kreuz und quer durch den Raum, um sich Pinsel, Farbe, Wasser und andere Materialien für ihre Bilder zu holen. Jeder will das schönste Bild malen. Jeder will als erstes mit seinem Plastikbecher am Wasserhahn sein. Schon rutscht Mandy auf der Pfütze vor dem Waschbecken aus und fliegt mit einem lauten Platsch auf den Boden. Das Wasser in ihrem Becher verteilt sich in einem Umkreis von zwei Metern und schwappt dabei über die Schuhe von Sondra, die gerade mit vollem Becher auf ihren Platz gehen will. Sondra schreit laut auf vor Schreck und lässt ihren Becher fallen. Natürlich auf Mandy, die noch auf dem Bauch vor ihr liegt. „AAAAAH!“, quiekt Mandy, die nun nicht nur auf dem Bauch, sondern auch auf dem Kopf und dem Rücken nass ist.

      „Was ist denn hier los?“, brüllt Herr Hartmann, der bisher auf seinem Stuhl hinter dem Lehrerpult gesessen und die Tageszeitung gelesen hat.

      „Die spinnen hier alle!“, heult Mandy.

      Herr Hartmann springt von seinem Stuhl auf und stößt mit Torben zusammen, der ebenfalls gerade dabei ist, einen Wasserbecher zu seinem Platz zu tragen. Es platscht und beide haben einen riesigen Wasserfleck vor dem Bauch. „Pass doch auf!“, schimpft Herr Hartmann.

      „Ich war zuerst hier!“, beschwert sich Torben und geht mit dem verbliebenen Wasser einfach weiter, als sei nichts passiert.

      Ich sitze vor meinem Zeichenblock und kämpfe seit mehreren Minuten mit dem Papier. Egal, auf welcher Seite ich versuche, es von dem Papprand zu lösen – an einer Stelle reißt es immer ein. Mittlerweile versuche ich es schon mit dem dritten Blatt. Vorsichtig gehe ich mit dem Finger unter das oberste Blatt Papier, trenne es sorgfältig Stück für Stück von dem Rand. Endlich. Schadfrei von der einen Seite gelöst. Die andere Seite ist immer ganz einfach zu reißen. Einfach wie bei einem gewöhnlichen Block abreißen. Ich ziehe beherzt, das Blatt reißt genau in der Mitte in zwei Teile. Das gibt es einfach nicht.

      „Was machst du denn da?“, fragt mich Sofie im Vorbeigehen.

      „Nichts“, stöhne ich. „Ich versuche einfach, ein Blatt aus diesem blöden Zeichenblock zu trennen, aber es reißt immer ein.“

      „Ist doch ganz einfach“, sagt Sofie, nimmt das oberste Blatt aus meinem Zeichenblock, zieht links, zieht rechts – und das Blatt ist ohne einen Riss aus dem Block gelöst. „Wie hast du das gemacht?“, frage ich erstaunt. „Ist doch ganz einfach“, wiederholt sie und geht weiter. Ich schüttle den Kopf. Sofie hat magische Hände. Anders kann ich mir das nicht erklären.

      „Kannst du mir ein Blatt ausleihen?“, fragt mich Mandy, die klatschnass vor meinem Tisch steht. Aus ihren Haaren fallen Tropfen auf mein frisches, neues Blatt ohne Riss.

      „Da liegen welche“, sage ich und bedecke mit meinen Armen das Blatt, um es vor Mandys Tropfen zu schützen. Mit meinem Kopf zeige ich auf den leeren Stuhl neben mir mit den verunglückten Blättern. „Die sind allerdings eingerissen.“

      „Das ist mir egal“, sagt Mandy und nimmt eins der Blätter. „Bei mir reißen die normalerweise noch mehr ein.“

      Das beruhigt mich etwas. Ich nehme einen Pinsel und überlege, was ich malen soll. „Was habe ich von der Botschaft der Bibel verstanden?“, war das Thema. Oder: „Was ist mein persönlicher Glaube?“

      Ich gehe sonntags in den Kindergottesdienst. Dort beten wir, reden über Gott und hören Geschichten aus der Bibel. Was davon habe ich verstanden? Hm. Gott hat die Welt gemacht. Das habe ich verstanden. Jesus war ein guter Mensch, der andere gesund gemacht hat. Das weiß ich auch noch. Aber ist das die Botschaft der Bibel? Was genau ist überhaupt die Botschaft der Bibel? Dass Gott alle Menschen liebt? Dass wir an ihn glauben sollen? Tja. So genau habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Oder was ist mein persönlicher Glaube? Die Frage kapiere ich nicht. Was soll denn mein persönlicher Glaube sein?

      Felix, der neben mir sitzt, malt schon fleißig ein Rennauto. Er malt nicht mit Wasserfarben, sondern mit Filzstiften. Dürfen wir das? Und was, bitte, hat ein Rennauto mit der Bibel zu tun?

      Neben Felix sitzt Marvin. Er hat mit blauer Wasserfarbe eine fette Wolke auf sein Blatt gepinselt. Darauf malt er eine Frau, einen Mann und drei Kinder, die fröhlich auf der Wolke tanzen. „Wie wär’s“, sagt Marvin zu Felix, ohne von seinem Blatt aufzuschauen, „wir klauen das wertvolle Bild und verkaufen es für eine Million Euro.“

      „Au ja“, grinst Felix. „Und von dem Geld kaufe ich mir einen Ferrari!“

      „Und ich mir ein Luftgewehr.“ Marvin grinst und malt weiter. Marvin ist mir ein bisschen unheimlich. Er wohnt in der Straße mit den hohen Häusern, wo es ständig Prügeleien gibt und wo immer wieder die Polizei kommen muss. Ihn kann ich mir wirklich gut mit einem Luftgewehr vorstellen. Wenn ich groß bin und als Polizist arbeite, sollte er aufpassen, dass er nicht als Verbrecher arbeitet. Sonst fange ich ihn und sperre ihn ein.

      „Bist du bescheuert?“, höre ich Anna plötzlich in der letzten Reihe laut schimpfen. „Wieso legst du dein Pausenbrot auf mein Blatt?“

      „Soll ich es etwa auf mein Blatt legen?“, blafft Torben, der neben ihr sitzt, zurück. „Das gibt doch Fettflecken!“

      „Ach ja! Und jetzt habe ich Fettflecken auf meinem Blatt!“

      „Ach Quatsch! Man sieht doch gar nichts!“

      Herr Hartmann schaut von seiner Zeitung hoch: „Torben, pack dein Pausenbrot weg!“

      „Ich hab aber Hunger!“, verteidigt er sich.

      Herr Hartmann schüttelt den Kopf und vertieft sich wieder in seine Zeitung.

      Schon wieder steht Mandy vor meinem Tisch: „Kannst du mir Deckweiß leihen?“

      Sie meint die Tube mit der dicken weißen Farbe, die eigentlich in jedem Farbkasten liegt.

      „Warum hast du selbst keins?“, frage ich zurück.

      „Schon leer.“

      „Und warum fragst du dann ausgerechnet mich?“

      „Weil ich gesehen habe, dass dein Deckweiß noch aussieht wie neu.“

      „Das ist auch neu.“

      „Kann