hilft. Und der hat im Fall von Sina eine Ausnahme gemacht.
Herr Jung schaut in die Klasse: „Tja. Was meint ihr? Wie sollen wir damit umgehen? Sollen wir Herrn Hohmann und Frau Aust erklären, wie das Bild von Sina entstanden ist? Oder sollen wir uns einfach so über den Sieg von Sina freuen, der eigentlich der Sieg von Jonathan ist?“
„Mir tut Sina leid“, sagt Mimi. „Ich finde, sie soll den Preis behalten.“
„Nein!“, protestiert plötzlich Jonathan und springt von seinem Stuhl auf. „Das ist richtig doof! Wenn Sina eins hasst, dann ist es, wenn jemand sagt, dass sie ihm leid tut! Sie braucht oft genug Hilfe, das stimmt. Aber sie will nicht, dass man ihr aus Mitleid hilft. Und erst recht nicht, dass man ihr etwas Böses nachsieht. Wenn ihr alle meint, dass das nicht richtig war, dann gehe ich heute Nachmittag oder morgen mit Sina zu Herrn Hohmann und sage, dass wir geschummelt haben.“
„Aber du hast ihr doch auch aus Mitleid geholfen“, hakt Mimi nach. „Das hast du doch gerade erzählt.“
„Nein, nicht aus Mitleid.“ Jonathan schaut in der Klasse hin und her, als suchte er dort nach den richtigen Worten. „Wenn ein großer Bruder seiner jüngeren Schwester hilft, weil die nicht so gut zurechtkommt … egal, ob sie im Rollstuhl sitzt oder nicht … dann ist das doch kein Mitleid. Dann tut er es doch aus … aus …“ Er überlegt, er ringt nach Worten.
„… aus Liebe“, beendet Deborah seinen Satz.
Jonathan schaut zu Boden und wird ein bisschen rot. „Genau. Aber das klingt so kindisch.“
„Das ist nicht kindisch“, widerspricht Deborah. „So ist das doch bei mir und meinen jüngeren Geschwistern auch. Denen helfe ich, weil ich sie lieb habe. Und meine großen Geschwister helfen mir, weil sie mich lieb haben. Und Gott hilft uns, weil er uns lieb hat. Nicht weil er uns bemitleidet.“ Sie schaut Herrn Jung an. „Oder?“
„Klar“, stimmt er zu. „Das sehe ich genauso. Aber was heißt das für uns als Klasse und für den Gewinn von Sina oder Jonathan? Sollen wir es auf sich beruhen lassen?“
Tobias lehnt sich mit dem Stuhl zurück. „Wir können ja alle zusammen zum Eisessen zu Herrn Hohmann gehen!“
„Au ja!“, rufen einige und jubeln schon los.
„Na, ob die alle in sein Wohnzimmer passen?“, lacht Herr Jung.
Tobias sitzt wieder gerade auf seinem Stuhl: „Klar! Sina und Jonathan haben das Bild zusammen gemalt, das hat Jonathan vorhin erzählt. Also haben sie zusammen gewonnen. Die hundert Euro darf sie von mir aus behalten. Aber so ein Eisessen wäre schon cool!“
Wieder rufen einige durch die Klasse, dass sie diese Idee gut finden.
„Was haltet ihr von folgendem Vorschlag“, sagt Herr Jung, „ich spreche am Wochenende mit Frau Aust. Dann laden wir sie am Montag mit ihrer Klasse zu uns in die Deutsch-Stunde ein und feiern zusammen. Die Erstklässler zeigen uns ihre Bilder, wir zeigen ihnen unsere Bilder. Jonathan und Sina können allen erklären, wie ihr gemeinsames Bild entstanden ist. Und dabei essen wir alle zusammen Eis, das Frau Aust und ich besorgen.“
Alle in der Klasse reißen die Arme nach oben und jubeln, als wäre Deutschland Weltmeister geworden. Herr Jung hat einfach die besten Ideen.
6
Am Montag in der zweiten Stunde kommen tatsächlich die Erstklässler in unsere Klasse. Bea und Jonathan haben dafür gesorgt, dass genügend Stühle im Raum sind. Alle können Platz nehmen. Vorne auf dem Lehrerpult stehen mehrere Packungen Eis. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.
Als Lasse mich sieht, rennt er sofort auf mich zu und blökt: „Das ist cool, dass wir bei euch sind, was? Wer ist denn eigentlich der Bruder von Sina?“
„Jonathan“, sage ich und zeige auf den Jungen, der heute zufällig neben mir sitzt.
„Du bist das?“, fragt Lasse begeistert.
Jonathan nickt. „Ja, warum?“
„Danke für das Eis!“, strahlt Lasse. „Malst du mir auch so ein schönes Bild wie das für Sina?“
Jonathan grinst: „Ja, kann ich machen.“
„Kommst du heute Nachmittag zu uns nach Hause?“
„Ich denke, ihr seid bei Herrn Hohmann zum Eisessen.“
„Ach ja, richtig!“ Lasse klatscht sich an die Stirn und lacht laut los. „Dann komm doch trotzdem. Du kannst vorher mit dem Lego Star Wars von meinem Bruder spielen, und wenn ich nach Hause komme, malst du mir ein Bild!“
Jonathan reißt die Augen auf und schaut mich an: „Cool, du hast Lego Star Wars?“
„Ja.“
„Sollen wir heute zusammen Lego Star Wars spielen?“
„Ja, von mir aus.“ Ich habe viel zu selten Leute aus der Klasse zu Besuch. Das wäre heute eine gute Gelegenheit. Aber dass Lasse meint, er kann darüber bestimmen, wer mit meinem Lego spielen darf, passt mir eigentlich nicht.
„Super!“, freut sich Lasse und sucht sich einen freien Platz im Klassenraum.
Herr Jung begrüßt unsere Gäste und erzählt, was wir am Freitag hier besprochen haben und warum wir finden, dass eigentlich ein bisschen auch Jonathan gewonnen hat. Frau Aust fügt hinzu, Sina habe ihr heute Morgen gesagt, sie wolle die hundert Euro gar nicht für sich behalten, sondern für die Klassenkasse spenden. „Und zwar fünfzig Euro für eure Klasse und fünfzig Euro für unsere Klasse“, sagt sie fröhlich.
Alle klatschen begeistert.
Auch Herr Jung freut sich: „Da können wir uns ja noch in Ruhe überlegen, was wir uns von diesem Geld kaufen wollen.“
Lasse streckt seinen Finger in die Luft und zappelt auf seinem Stuhl.
Herr Jung nimmt ihn dran: „Hast du schon eine Idee?“
„Nein“, antwortet Lasse. „Ich wollte fragen, ob ich mal zur Toilette gehen darf!“
Alle lachen laut.
„Hat das auch Zeit bis zur Pause?“, schmunzelt Herr Jung. „Heute Morgen vor Unterrichtsbeginn hat Herr Hohmann uns Lehrer noch mal extra darauf hingewiesen, wir sollen darauf achten, dass während der Schulstunden niemand durch die Flure rennt. Der Sicherheitsdienst muss jedes Mal nachschauen, wenn einer durch die Ausstellungshalle läuft, wer das ist und was er dort will. Es reicht ihnen, dass in den Pausen dort so ein großes Gedränge ist. Darum hat er uns ausdrücklich gesagt, dass alle in den Klassen bleiben sollen.“
„Na gut“, sagt Lasse. „Dann mache ich in die Hose.“
Herr Jung lacht. „Na, wenn es gar nicht anders geht, dann musst du eben mal schnell zur Toilette flitzen.“
Lasse springt von seinem Stuhl auf. „Okay! Und wissen Sie, Herr Lehrer, ich kann so heimlich durch den Flur schleichen, dass mich niemand erwischt. Nicht die Wachleute und nicht der Herr Dings.“
„Herr Hohmann“, berichtigt ihn Herr Jung.
Lasse legt kurz seinen Finger auf den Mund: „Wie noch mal?“
„Hohmann.“
„So heißt der Rektor?“
„Ja.“
„Bei dem wir heute Nachmittag Eis essen?“
„Ja.“
Lasse kichert. „Ein lustiger Name. Bestimmt heißt er so, weil er vor lauter Arbeit immer ‚Oh Mann!‘ sagen muss!“
Herr Jung lächelt. „Das kann sein. Er heißt aber nicht Ohmann, sondern Hohmann. Vielleicht sagt er ja beim Arbeiten immer ‚Hoh Mann!‘“
Lasse lacht laut. „Sie sind lustig! ‚Hoh Mann!‘ sagt doch keiner!“
„Alles klar“, drängt Herr