Die Tischnachbarn von Jonathan drehen sich sofort um und schauen auf sein Gemälde. „Du kannst aber toll malen“, findet Christina.
„Kannst du mir auch so ein schönes Bild malen?“, fragt Sarah.
„Was soll das sein?“, erkundigt sich Bea.
„Das da bin ich“, Jonathan zeigt mit dem Pinsel auf eine der beiden Figuren auf seinem Blatt, „und das andere ist meine Schwester.“
Ich stehe von meinem Platz auf, gehe auch zu Jonathans Tisch und staune. Der Kerl kann wirklich gut malen! Ein Junge und ein Mädchen tanzen auf einer Blumenwiese. Die Sonne scheint und das ganze Bild sieht hell und fröhlich aus. Wenn Jonathan so weiter macht, hängen seine Bilder in fünfhundert Jahren auch in einem Museum und sind mehrere Millionen Euro wert.
„Und was hat das mit der Bibel zu tun?“, fragt Bea weiter.
Sarah beugt sich über das Blatt: „Ich dachte, deine Schwester sitzt im Rollstuhl! Oder hast du noch mehr Schwestern?“
„Nein, ich habe nur die eine Schwester. Sina. Ja, sie sitzt im Rollstuhl. Mit der Bibel hat das wohl nichts zu tun. Aber wir sollten ja auch malen, woran wir glauben. Und ich glaube, dass meine Schwester eines Tages wieder laufen kann. Oder … wenn das mit dem Himmel stimmt, wie es Herr Jung manchmal in Reli erzählt … dann glaube ich, dass Sina spätestens da wieder laufen kann und dass wir zusammen rumtoben können.“
Deborah, die inzwischen auch an Jonathans Tisch steht, sagt: „Ja, das glaube ich auch. Im Himmel ist alles Schlimme weg.“
„Du kannst voll schön malen“, lobt ihn Sarah. „Bestimmt gewinnst du den Wettbewerb.“
„Oh super“, freut sich Mandy, „dann brauche ich mich nicht mehr anzustrengen und wir bekommen trotzdem als ganze Klasse das Eis von Herrn Hohmann!“
Es klingelt. Die Kunst-Stunde ist zu Ende und ich habe noch nicht mal angefangen, etwas zu malen. Ganz toll.
„Wie ich sehe, sind noch nicht alle mit ihrem Bild fertig geworden“, stellt Herr Hartmann fest, während wir schon laut und hektisch unsere Sachen einpacken. „Da der Abgabetermin für den Malwettbewerb aber am Donnerstag ist, bitte ich euch, die Bilder zu Hause zu Ende zu malen und spätestens übermorgen abzugeben.“
Auch das noch! Hausaufgaben in Kunst! Das hatten wir noch nie!
Mandy drückt mir eine zusammengeknautschte, ausgepresste kleine Tube in die Hand: „Hier, dein Deckweiß. Wie versprochen bekommst du es wieder zurück.“
Mir klappt der Mund auf: „Die Tube ist ja leer!“
„Nein, nicht ganz. Wenn man ganz dolle drückt, kommt noch was raus.“
„Was hast du damit gemalt?“
„Eine große, weiße Wolke.“
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. „Du hast mit meinem Deckweiß eine große, weiße Wolke auf ein weißes Blatt Papier gemalt?“
„Ja klar! Eine Wolke ist doch weiß!“
„Aber das Papier ist doch auch weiß!“
„Ja, weiß ich doch!“
„Dann hättest du das Blatt doch an der Stelle einfach weiß lassen können!“
Mandy rollt mit den Augen. „Wir sollten ein Bild malen und nicht ein Bild weiß lassen! Aber keine Sorge. Das Bild ist sowieso nichts geworden. Ich habe andauernd übergemalt. Ich habe das Bild weggeworfen. Zu Hause male ich ein neues.“
Damit schwirrt sie ab. Ich fasse es nicht. Beim nächsten Mal verstecke ich meine Deckweiß-Tube in der Schultasche, dann muss ich sie nicht mehr ausleihen!
3
Zu Hause quatscht mir Lasse beim Mittagessen ununterbrochen die Ohren voll, was er Tolles zu Papier gebracht hat: Er hat die Arche Noah gemalt. Mit allen Tieren, die er zeichnen kann: Elefanten, Giraffen und jede Menge Schafe. „Und ich habe den Tyrannosaurus Rex gemalt und den Stegosaurus“, erzählt er. „Die dürfen natürlich nicht fehlen. Dinos sind am coolsten.“
„Ich glaube nicht, dass Dinosaurier mit auf der Arche waren“, gebe ich zu bedenken.
„Alle Tiere waren auf der Arche“, belehrt mich Lasse. „Also auch Dinos. Dinos sind meine Lieblingstiere!“
„Aber Dinos waren doch schon längst ausgestorben, als Noah und die Tiere auf der Arche waren“, sage ich.
„Das weißt du doch gar nicht! Du warst nicht dabei! Nicht wahr, Mama?“
Mama schmunzelt und wuschelt mit einer Hand über Lasses Kopf. „Du kannst ruhig deine Dinos in die Arche malen.“ Sie schaut mich an. „Und was hast du gemalt, Ben?“ „Noch gar nichts. Ich weiß nicht, was ich malen soll. Ich finde das Thema viel zu schwer. Einfach nur eine Geschichte aus der Bibel aufzumalen, finde ich doof.“
„Was?“, platzt es aus Lasse heraus. „Du findest mein Bild doof?“
„Nein. Nicht dein Bild. Aber es geht ja nicht darum, nur eine Geschichte zu malen. Wir sollen doch malen, was wir von der Botschaft der Bibel verstanden haben. Oder was wir glauben. Und ich weiß nicht, was ich glaube.“
Lasse hebt seine Gabel in die Luft. „Frau Aust hat gesagt, wir können ruhig eine Geschichte aus der Bibel malen. Unsere Lieblingsgeschichte.“
„Ja. In der ersten Klasse geht das ja auch noch. In der fünften muss man sich schon ein bisschen mehr anstrengen.“
„Ich strenge mich an!“, protestiert Lasse wieder.
Ich rolle mit den Augen und esse weiter, ohne darauf einzugehen.
Mama stützt den Kopf auf ihre Faust und denkt nach. Dann fragt sie mich: „Was würdest du sagen, ist dir an deinem Glauben an Gott am wichtigsten?“
Puh. Habe ich darüber jemals nachgedacht? „Ich weiß auch nicht“, brumme ich vor mich hin. „Vielleicht, dass Gott immer da ist und man mit ihm reden kann?“
„Okay. Was noch?“
„Hm. Dass Gott die Welt gemacht hat?“
Lasse platzt dazwischen: „Und dass er die Dinos gemacht hat!“ Er nickt ganz schlau.
Mama überhört den Kommentar von Lasse und fragt mich weiter: „Und wie könnte man das malen?“
„Dass Gott die Welt gemacht hat?“
„Ja. Und dass er immer bei dir ist und mit du mit ihm reden kannst.“
„Keine Ahnung. Man kann Gott ja nicht malen. Soll ich denn malen, wie ich in der Kirche sitze und bete?“
„Du betest ja nicht nur in der Kirche. Du betest ja auch zu Hause. In deinem Zimmer. Oder auch in der Schule oder wo du gerade bist.“
„Ich will mich aber nicht selbst malen.“ Dann schaue ich Mama an. „Was ist denn für dich die Botschaft der Bibel?“
„Das Wichtigste ist für mich auch, dass Gott mich gemacht hat und dass er mich lieb hat. Jesus ist für meinen Glauben auch ganz wichtig. Jesus hat uns gezeigt und erklärt, wie Gott ist. Jesus hat gesagt, dass Gott der Freund von jedem Menschen sein will. Und indem Jesus am Kreuz gestorben ist, ist es überhaupt möglich geworden, dass wir Freunde von Gott werden können. Und als Jesus wieder auferstanden ist, hat er gezeigt, dass auch wir einmal wie er nach unserem Tod weiterleben können. Bei Gott im Himmel. Bei Jesus. Das ist für mich die wichtigste Botschaft in der Bibel.“
Ich muss an das Bild von Jonathan denken. „Stimmt es, dass dann die, die jetzt im Rollstuhl sitzen, wieder laufen können?“
„Ja. So steht es in der Bibel. Im neuen Himmel, den Gott schaffen wird, wird es kein Leid mehr geben. Gott wird alle Tränen abwischen.“
Tränen abwischen. Das klingt gut. Mir ist manchmal