Magda Trott

Pucki


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hat er mich vielleicht auch nicht mehr lieb.«

      Wieder sprang der Hund an dem Kinde empor, stellte eine Pfote auf das geöffnete Kästchen und riss es Pucki aus den Händen. Die schwarzen Bohnen kollerten im Zimmer umher.

      »Oh weh, oh weh, meine Bohnen kollern nun in der Stube herum!«

      In diesem Augenblick rief Frau Sandler nach Pucki. »Ich komme gleich«, antwortete sie, »ich habe nur schnell noch etwas zu tun!«

      »Pucki!« tönte es zurück. »Wenn die Mutter ruft, hast du sofort zu kommen.«

      Da eilte das Kind hinaus, Währenddessen spielte Harras im Zimmer mit den Bohnen. Als er entdeckte, dass sich eine Bohne ganz leicht zerbeißen ließ und sogar gar nicht schlecht schmeckte, verspeiste er eine nach der anderen. Unverdrossen kroch er unter die Betten der Kinder, um neue schwarze Bohnen zu suchen. Wie das in seinem Maul krachte und knackte! So verschwanden Puckis »schlimme Taten«.

      Zehn Minuten später kehrte Pucki wieder ins Zimmer zurück, um die Bohnen ins Himmelskästchen zurückzulegen. Harras schaute seine kleine Herrin mit listigen Augen an. Zwischen den Zähnen hatte er noch einige Bohnen.

      »Was machste denn da, Harras?«

      Der Hund kroch schon wieder im Zimmer umher, und Pucki sah, wie er wieder eine schwarze Bohne aufnahm und zerkaute.

      Für Augenblicke stand Pucki sprachlos vor dem treuen Hund, dann brach ein helles Jauchzen über ihre Lippen.

      »Mutti, Mutti!« Sie eilte hinüber zur Küche.

      »Was ist denn geschehen, Pucki?«

      »Mutti – Minna!« Pucki konnte vor Glück kaum reden. »Der gute Harras hat meine ›schlimmen Taten‹ gefressen!«

      »Was hat der Harras gefressen?«

      »Meine schlimmen Taten! Gerade habe ich daran gedacht, was der große Claus wohl sagen wird, wenn er Weihnachten die vielen schwarzen Bohnen in dem Himmelskästchen zählen wird. Da kommt der liebe, liebe Harras und frißt meine schlimmen Taten alle auf. – Mutti, der Harras ist mein allerbester Freund!«

      Minna lachte. »Na, Pucki, es wird ja nicht lange dauern, da sind wieder schwarze Bohnen im Himmelskästchen.«

      Da eilte Pucki zurück ins Kinderzimmer. Sie kniete neben Harras nieder und umarmte ihn stürmisch. »Ach, du gutes Tier, morgen bekommst du auch meinen ganzen Zucker. Für dich trinke ich den Kaffee ganz bitter, weil du so furchtbar lieb warst.«

      Als Pucki die Blicke durchs Zimmer schweifen ließ, sah sie am Stuhlbein noch eine schwarze Bohne liegen.

      »Guck mal, Harras!«

      Der Hund erhob sich und fraß auch die letzte »schlimme Tat« seiner kleinen Herrin auf.

      9. Kapitel: Mutterliebe

      Der Platz neben Hedi Sandler blieb heute leer – Thusnelda Reichert war nicht zur Schule gekommen.

      »Weiß einer von euch, ob Thusnelda krank ist?« fragte die Lehrerin.

      Niemand konnte die Frage beantworten.

      »Ich weiß, wo sie wohnt«, sagte Pucki, »ich gehe zu ihr und frage sie.«

      »Aber Hedi du kannst doch nicht aus dem Unterricht fortlaufen. Vielleicht kommt Thusnelda noch.«

      Die Stunden vergingen, die Klassenkameradin kam nicht. Pucki musste immer auf den leeren Platz sehen. Die Freundin fehlte ihr. Ob Thusnelda vielleicht auch die Masern hatte? Gestern sah sie aber noch so frisch und vergnügt aus.

      Das Försterskind nahm sich vor, sogleich nach Schulschluss in die Nebenstraße zu laufen, in der Thusnelda wohnte. Es konnte den Schluss des Unterrichts kaum erwarten. Heute trödelte es nicht auf dem Schulhof. Es verließ als eines der ersten das Schulgebäude, um zu Thusnelda zu eilen.

      Pucki war schon oft in der dürftigen Hinterwohnung gewesen, die Thusneldas Mutter mit ihren fünf Kindern bewohnte. Sie wusste auch, dass Frau Reichert tagsüber selten daheim war, weil sie in fremden Häusern Wäsche wusch. Die Flurtür war nur angelehnt, Pucki schlüpfte in den dunklen Gang. Thusnelda, die die Schritte hörte, kam ihr entgegen.

      »Oh«, sagte Pucki erstaunt, »du bist gar nicht krank und kommst nicht in die Schule?« Erst jetzt bemerkte die Kleine das verweinte Gesicht der Freundin. »Bist du vielleicht doch krank?« fragte Pucki mitleidig und streichelte Thusneldas Hand.

      »Die Mutter – die Mutter«, rief Thusnelda, in Tränen ausbrechend. »Heute nacht ist sie plötzlich krank geworden. Wir wissen nicht, was ihr fehlt. Sie liegt da, und bald wird sie sterben.«

      Puckis Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn eine Mutter starb, das war das Schrecklichste, was es auf der Erde gab.

      »Warum muss sie denn sterben?« fragte sie angstvoll.

      »Weil die Käthe und die Emma das Fest mitmachen wollten. Nun hat die Mutter noch in der Nacht für sie genäht, und dann ist sie umgefallen. So hat Frau Huber gesagt.«

      Dass Frau Huber die Nachbarin war, wusste Pucki. Dass die um zwei Jahre älteren Schwestern Thusneldas bei einer Aufführung in der Schule mitwirken sollten, war ihr auch bekannt. Warum aber deswegen eine Mutter sterben sollte, begriff sie nicht. Eine unerklärliche Angst erfasste sie.

      »So sag doch, warum deine Mutter sterben muss?«

      Aber Thusnelda lief davon, hinein ins Krankenzimmer. Pucki zögerte ein Weilchen, dann steckte auch sie den Kopf durch den Türspalt. Im Bett lag die fleißige Frau Reichert mit geschlossenen Augen. Sie sah weiß aus. Am Tisch stand Frau Huber und kochte irgend etwas auf dem Spirituskocher.

      Aus der Küche tönte jetzt wieder leises Weinen. Pucki ging sofort hinein. Dort saß die Älteste der Reichertschen Kinder, die dreizehnjährige Marie. Pucki setzte sich schweigend zu ihr und wartete betrübt, ob Marie nicht etwas sagen würde. Als sie aber schwieg, sagte Pucki leise:

      »Warum muss deine Mutter sterben?«

      »Frau Huber sagt, sie hätte zu viel gearbeitet. Den ganzen Tag hat sie Wäsche gewaschen, abends kam sie sehr müde nach Hause. Wir haben gedacht, sie legt sich ins Bett und schläft, weil sie so zeitig wieder fortgeht. Aber sie hat sich nicht ins Bett gelegt, sie hat für Käthe und Emma die neuen Kleider genäht, weil beide für die Aufführung weiße Kleider haben mussten. Da hat sie noch in der Nacht fleißig gearbeitet und nicht geschlafen.«

      »Weil sie der Käthe und der Emma Kleider machen wollte – –?«

      »Ja, meine Schwestern wollten doch so gern das Schulfest mitmachen. Sie haben in der Schule gesagt, sie könnten nur in weißen Kleidern kommen. Mutter hat doch aber kein Geld, um neue Kleider zu kaufen. Da hat sie eben selbst die Kleider genäht und nicht geschlafen. – Heute nacht höre ich auf einmal, wie etwas fällt. Ich war so erschrocken, und als ich in die Stube komme, liegt die Mutter steif auf dem Boden. Das weiße Kleid hielt sie noch in den Händen.«

      »Weißt du was, Marie, ich nehme meiner Mutter die weißen Kleider mit, damit sie sie fertig näht. Oh, das macht sie. Meine Mutti hat schon viel für andere genäht. Dann kann deine Mutter schlafen.«

      »Sie macht die Augen nicht mehr auf und sagt auch nichts.«

      »Habt ihr schon den Onkel Doktor gerufen?«

      »Frau Huber meint, es wird schon wieder besser werden.«

      Pucki war jedoch anderer Meinung. Wenn im Forsthaus jemand krank war, wurde sofort der Onkel Doktor gerufen, und der half. Sie wusste genau, wo der Onkel Doktor wohnte. Da wollte sie sogleich einmal hinlaufen und ihn zu der kranken Frau Reichert schicken, damit Thusneldas Mutti nicht zu sterben brauchte.

      Kaum war dieser Gedanke in dem Kinderköpfchen entstanden, als Pucki auch schon fortlief, um den guten Onkel Doktor zu holen. Der Arzt war daheim und versprach sogleich mitzukommen.

      »Mach sie doch wieder gesund«, bat Pucki, »es