wie Shaias Gesicht aussehen würde, wenn ich zu unserem Haus auf den Klippen zurückkehren würde. Sie würde wieder einmal mit mir schimpfen, weil ich meine Arbeit im Zirkel so ernst nahm. Wir hätten ziemlich sicher wieder einen Streit darüber, was in ihren Augen mehr Prioritäten hätte und dass sie sich das Leben an meiner Seite anders vorstellte, als den ganzen Tag mit zwei Kindern darauf zu warten, dass ich nach Hause käme.
Wie oft wir diesen Streit schon hatten … und es wurde noch schlimmer, seit mein zweiter Sohn auf der Welt war.
Ja, ich liebte meine Gemahlin und unsere beiden Kinder. Liebte sie von ganzem Herzen. Aber ich hatte auch Verpflichtungen und die konnte ich nicht einfach zur Seite schieben.
Dass ich nicht mehr allein in meinem Arbeitszimmer war, erkannte ich erst, als sich jemand räusperte. Ich sah mich um und erblickte meinen Vater, der in der Tür lehnte. Seine Locken und die azurblauen Augen hatte ich von ihm geerbt. Ich war beinahe sein Ebenbild, das war mir bewusst.
»Darf ich reinkommen?«, fragte er.
»Natürlich.« Ich nickte mit dem Kinn zu einem freien Stuhl vor meinem Schreibpult. »Kann ich etwas für dich tun?«
Er schüttelte den Kopf und sah mich lächelnd an, während er meiner Aufforderung nachkam. Ich wusste, dass seine Vaterliebe vor allem daher rührte, dass er meinen Ehrgeiz mochte. Für ihn zählte Leistung und sowohl meine Schwester als auch ich wetteiferten förmlich um seine Gunst. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.
»Du wirst bald dreißig«, sagte er, nachdem er sich gesetzt hatte. »Ich dachte, wir sollten das gebührend feiern.«
»Ich weiß nicht so recht«, murmelte ich und seufzte. »Feste bedeuten mir nicht so viel.«
Mein Vater lachte. »So kannst du reden, wenn du so alt bist wie ich«, erwiderte er und spielte mit dem schwarzen Amulett, das er stets um den Hals trug und das ihn als Zirkelleiter von Chakas auszeichnete. »Dann hast du nämlich Mühe, dir dein Alter zu merken, da du dich schon viel zu oft verjüngt hast.«
Ich wusste, dass mein Vater schon weit über hundert Jahre alt war, aber er sah dank seiner Magie aus, als wäre er gerade mal dreißig. Dass meine Schwester und ich überhaupt noch gezeugt werden konnten, war meiner Mutter zu verdanken, die sich noch nicht so oft verjüngt hatte wie er.
»Na gut«, lenkte ich ein. »Was schwebt dir denn vor?«
»Mein Bruder ist in der Stadt und er wird sich freuen, mit uns zu feiern«, erklärte mein Vater.
»Onkel Ramor ist hier?« Meine Augenbrauen hüpften nach oben. Ich mochte Vaters Bruder sehr, da er eine ruhige und freundliche Ausstrahlung besaß. Seine stille, beinahe verschlossene Art war mir schon immer sympathisch gewesen, denn auch ich neigte eher dazu, mich vor der Welt zurückzuziehen, als dazu, sie wie mein Vater oder meine Schwester mit offenen Armen zu empfangen.
»Wusste ich doch, dass du dich über diese Nachricht freust.« Mein Vater schmunzelte. »Er kam vorhin an und hat nach dir gefragt. Ich sagte ihm, dass du ziemlich sicher noch in deinem Arbeitszimmer bist, womit ich auch recht behielt.« Er erhob sich. »Ich denke, es wäre ihm eine Freude, noch kurz mit dir zu reden, bevor du nach Hause reitest.«
Rasch legte ich die Pergamente, die ich bis eben noch bearbeitet hatte, zur Seite und stand ebenfalls auf. »Ich gehe gleich zu ihm.«
»Tu das, er ist in seinen Gemächern«, rief mir mein Vater hinterher.
Auch wenn Ramor nicht mehr bei uns im Zirkel lebte, so bewohnte er immer, wenn er in der Stadt war, seine alten Zimmer. Ansonsten reiste er viel herum, um seine Heilkünste mittellosen Menschen anzubieten. Diese selbstlose Ader hatte er von meiner Großmutter geerbt, die ich nur kurz kennengelernt hatte, ehe sie an Altersschwäche starb. Sie war zwar eine mächtige Magierin gewesen, allerdings war ihr Herz gebrochen, nachdem mein Großvater von uns gegangen war, und sie hatte aufgehört, sich zu verjüngen, um endlich sterben und ihm ins Totenreich folgen zu können. Manchmal war es kein Segen, sondern vielmehr ein Fluch, sich endlos verjüngen zu können.
Ich eilte durch die Gänge zum Stockwerk, in welchem die Gemächer meines Onkels lagen. Dort angekommen, klopfte ich rasch an und mein Herz hüpfte, als ich seine Stimme hörte.
»Bin gleich da.«
Kurz darauf stand er vor mir: Ramor, mein Onkel und der Bruder des Zirkelleiters von Chakas. Wie immer trug er sein schwarzes Haar kurz und das Gesicht war glatt rasiert. Die Ähnlichkeit mit meinem Vater war unverkennbar, obwohl er dunkelbraune Augen und glatte Haare besaß. Und das Lächeln, das er mir schenkte, wirkte um vieles wärmer als das meines Vaters. Es war echt. Womöglich war das der Grund, wieso ich ihn so mochte.
»Cilian«, rief er aus und zog mich in eine herzliche Umarmung. »Mein Junge, du wirst immer hübscher.«
Ich lachte an seiner Schulter und schob ihn etwas von mir weg. »Das mit dem ›Jungen‹ solltest du dir langsam abgewöhnen«, erwiderte ich belustigt. »Ich werde bald dreißig.«
Ramor nickte und schenkte mir ein Schmunzeln. »Für deine Eltern und mich wirst du immer der kleine Junge bleiben, der vom Fliegen träumt und mit Tieren redet, als könnten sie ihn verstehen.«
Ich lachte ebenfalls und strich mir die Locken nach hinten. »Bisher hat noch keines geantwortet, aber vielleicht ändert sich das irgendwann.«
»Bei deiner Ausdauer mit Sicherheit.« Ramor klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. »Komm rein und lass uns über gute alte Zeiten reden. Ich habe einen Wein aus Arganta mitgebracht, den du unbedingt probieren musst.«
Nur zu gerne folgte ich seiner Aufforderung und ließ mich in einem der bequemen Sessel in seinem Zimmer nieder.
»Wie geht es deiner Familie?«, fragte mein Onkel, während er uns den Wein einschenkte. »Und den beiden Jungs?«
»Gut«, antwortete ich, konnte jedoch nicht verhindern, dass mein Lächeln etwas zu künstlich ausfiel – was ihm natürlich nicht entging.
»Ärger im Paradies?«, hakte er nach und prostete mir zu.
»Manchmal denke ich, dass ich Frauen nicht verstehe«, brummte ich, ehe ich einen Schluck trank. »Der ist wirklich vorzüglich«, lobte ich den Weingeschmack meines Onkels.
»Habe ich von einem Händler in der Nähe von Arida«, verriet er. »Falls du mal dort bist, besuch unbedingt sein Weingut ›Goldkehle‹ – er macht den Weinen aus Fayl mächtig Konkurrenz.«
»Das werde ich.«
»Und nun erzähl, was du an Frauen nicht verstehst«, forderte mich mein Onkel auf. »Vielleicht kann ich dir helfen. Oder zumindest mit einem offenen Ohr dienen.«
Mit Ramor konnte ich so frei sprechen wie sonst mit niemandem. Er war ein guter Zuhörer und hatte meist einen passenden Rat.
Daher nahm ich nun nochmals einen Schluck von dem vorzüglichen Wein und sah ihn nachdenklich an. »Mir ist bewusst, dass Shaia mich vor allem auch geheiratet hat, weil sie die Tatsache mochte, dass ich der Sohn des Zirkelleiters bin. Doch als wir dann im Zirkel lebten, gefiel es ihr nicht. Also ließ ich uns ein Haus auf den Klippen bauen. Und nun, da sie dort lebt, gefällt es ihr wiederum nicht, dass ich im Zirkel meiner Arbeit nachgehen muss. Sie wirft mir vor, dass ich zu wenig Zeit für sie habe, obwohl ich das doch alles in erster Linie für sie und unsere Kinder tue.« Ein leises Seufzen entfuhr mir. »Kann man es denn Frauen niemals recht machen?«
Mein Onkel lachte laut auf. »Klingt ganz nach einer normalen Ehe«, meinte er und prostete mir erneut zu. »Auch wenn ich da noch keine eigene Erfahrung habe, aber mein Bruder spricht oft ähnlich von deiner Mutter.«
Obwohl Ramor ein gut aussehender und einflussreicher Magier war, so hatte er in den vergangenen Jahren nur selten eine Frau an seiner Seite gehabt. Die meisten hielten sein sprunghaftes Gemüt nicht aus, das ihn immer wieder in die Ferne trieb. So war er zu einem ewigen Junggesellen geworden.
»Also ist das normal?«, hakte ich nach.
»Zumindest in unserer Familie scheint es normal zu sein«, antwortete er schmunzelnd.