C. M. Spoerri

Damaris (Band 2): Der Ring des Fürsten


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jetzt beruhigen, weil du mich ja bisher noch nie in Gefahr gebracht hast?« Ich hebe eine Augenbraue.

      Er senkt den Kopf ein wenig, sodass er mir nun näher ist, und ich bin mir erneut bewusst, dass er halb nackt neben mir sitzt. »Ich habe dir lediglich geholfen. Das mit den Draugr in den Tunneln wusste ich nicht. Ich hätte dich sonst niemals dorthin geführt. Und dass dein Greif in die Steinrochenhöhle flog und du dich in der Taverne fast selbst in Eis verwandelt hättest, geht nicht auf meine Kappe. Das habt ihr zwei ganz alleine geschafft.«

      »Trotzdem bin ich in deiner Gegenwart viel zu oft ohnmächtig«, erwidere ich. »Keine gute Voraussetzung, um diese dämliche Wettkampf-Sache in der Wüste heil zu überstehen.«

      »Du sitzt jetzt immerhin geheilt neben mir, statt im Totenreich zu wandeln«, entgegnet er.

      »Erwartest du schon wieder ein Danke?« Ich werfe ihm einen mürrischen Blick zu. »In meinen Augen genießt du das Held-Sein eeeetwas zu sehr.«

      Er lacht leise und starrt in den Himmel, sodass ich sein Profil zu sehen bekomme. Mir ist noch nie aufgefallen, wie gerade seine Nase ist. Und wie voll seine Lippen wirken. Das liegt bestimmt am neuen Haarschnitt – sicher nicht daran, dass ich mit einem Mal diese komische Anziehung zwischen uns empfinde.

      »Ich hatte gehofft, dass du mit mir in die Stadt zurückkehrst«, murmelt er.

      »Mit dir?« Ich schenke ihm einen ungläubigen Blick. »Sosehr ich mich geschmeichelt fühle, aber …«

      Er wendet mir den Kopf wieder zu und zieht die Augenbrauen zusammen. »Doch nicht meinetwegen«, knurrt er. »Sondern wegen des Ordens.«

      Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. »Hä? Aber du bist doch der, der den Orden und die Magier so hasst.«

      Adrién senkt den Blick. »Die Magier, ja. Aber der Greifenorden …« Er kratzt sich mit der Hand an der linken Schulter. Wahrscheinlich wurde er gerade von einer Mücke gestochen. »Der Greifenorden hat ein Potenzial, das man nicht unterschätzen sollte. Wenn es Cilian gelingt, Greifenreiter in ganz Altra zu verteilen, dann könnte das verhindern, dass die Magier jemals wieder zu mächtig werden und Normalsterbliche unterdrücken.«

      »Und wieso wäre es besser, wenn Greifenreiter an der Macht sind?«, will ich wissen. »Sie sind auch Magier.«

      »Das stimmt«, lenkt Adrién ein. »Aber sie sind an Greife gebunden. Zudem gibt es keinen einzigen Greifenreiter, der nach purer Macht strebt. Wir sind keine geborenen Tyrannen, sonst würde sich kein Greif mit uns verbinden. Denn diese Wesen sind edel und gerecht.«

      Ich mustere ihn nachdenklich. Was er sagt, ergibt Sinn. Wenn Greifenreiter die Magier unter Kontrolle halten, könnte es das Gleichgewicht in Altra für immer stabilisieren. Ich weiß zwar nicht genau, wie das Leben vor dem Umbruch war, da meine Schwester und ich fernab von anderen Menschen aufwuchsen, aber mir ist bekannt, dass die Magier die Nicht-Magier unterdrückt haben.

      »Ist es das, was Cilian die ganze Zeit bezwecken will?«, hake ich nach.

      »Jetzt sag nur, dass ihr nie darüber gesprochen habt«, antwortet Adrién mit ungläubigem Gesichtsausdruck. »Habt ihr euch etwa nur im Bett vergnügt, ohne euch über ernstere Themen zu unterhalten?«

      Ich verfinstere meine Miene. »Wir haben uns sehr wohl unterhalten. Und wir haben nur einmal miteinander geschlafen. Und zwar gestern, ehe …« Ich unterbreche mich selbst. »Wieso erzähle ich dir das überhaupt?! Das geht dich absolut nichts an!«

      Adrién verzieht den Mund zu einem Grinsen, das jedoch freudlos wirkt. »Da hast du so was von recht.« Er schließt kurz die Augen und richtet sie dann wieder auf mich. »Also, dann bleibt die Entscheidung, welche nur du treffen kannst: Wirst du mit mir in die Stadt zurückkehren und verhindern, dass der Greifenorden geschlossen wird? Oder wirst du die verschmähte Geliebte spielen, die gekränkt in die Berge auswandert und nie wieder einen Mann ansieht?«

      »Zu deiner Information: Ich wohne in den Bergen. Das ist mein Zuhause dort. Ich kann also nicht dorthin ›auswandern‹«, fahre ich ihn an. »Und ich hänge nun mal an meinem Leben!«

      Er zuckt mit den Schultern. »Es werden auch andere Magierlehrlinge in den Wettkampf geschickt.«

      »Und das soll mich jetzt überzeugen, weil …?«

      »Weil du mit dem Rumflennen aufhören und endlich mal Rückgrat zeigen sollst. Zudem wäre ich ziemlich enttäuscht von dir, wenn du das Leid anderer in Kauf nimmst, nur weil ein Kerl zu dumm ist, zu sehen, was er an dir hat.« Adriéns finstere Miene wird noch düsterer. »Denn dann wärst du selbstsüchtig und herzlos – was dich von den Magiern nicht mehr unterscheiden würde.«

      Ich starre ihn einen Moment lang perplex an, ehe ich den Blick senke und auf meine Finger sehe. »Ich muss eine Nacht darüber schlafen«, murmle ich.

      »Du hast Glück, es ist Nacht – viel Erfolg.« Damit erhebt er sich und geht zu seinem Greif, um im Rucksack zu wühlen. Als er ein weiteres Hemd herauszieht und sich kurzerhand überstreift, fällt mir die Kinnlade runter.

      »Sag bloß, du hast das die ganze Zeit dort drin gehabt«, stoße ich entgeistert aus.

      Er legt den Kopf schief. »Bloß, du hast das die ganze Zeit dort drin gehabt«, echot er meine Worte und grinst. »Aber wenn ich es eher angezogen hätte, hätte ich nicht gesehen, wie du dich windest, nur um mich nicht anzustarren. Den Spaß war es mir wert. Und jetzt gute Nacht, Ris, ich bin müde vom Dich-Retten und Dich-Heilen.«

      Noch während ich ihn sprachlos ansehe, holt er eine zweite Decke aus seinem Gepäck und breitet sie aus, ehe er sich darauflegt und mir den Rücken zudreht.

      Dieser Kerl ist einfach die Höhe! Und ich werde mit Sicherheit nicht mit ihm zurück in den Zirkel fliegen! Das kann er sich so was von abschminken!

      »War doch gar nicht so schwer, die richtige Entscheidung zu treffen, oder?«, ruft mir Adrién von Silbersturm aus zu, während er neben mir in Richtung Norden fliegt.

      Ich brumme und starre nach vorn.

      Die halbe Nacht habe ich kein Auge zugetan und mich von einer Seite zur anderen gewälzt. Die Entscheidung, zurück in den Zirkel zu gehen, fiel mir absolut nicht leicht.

      Einerseits treibt mich alles von Chakas weg. Nein, nicht von Chakas. Cilian ist es, den ich nicht mehr sehen will. Ich kann nicht länger in seiner Nähe sein und wissen, dass ich nur die zweite Wahl in seinem Leben bin. Ein kleiner Zeitvertreib, den er sich gegönnt hat. Es macht mich unglaublich wütend, dass er so leichtfertig mit dem, was wir hatten, umgegangen ist.

      Ja, ich bin gekränkt. Und ja, ich bin enttäuscht.

      Dennoch nagt an mir das schlechte Gewissen. Hat es sich im ersten Moment gut angefühlt, ihm und seinem blöden Greifenorden den Rücken zu kehren und Letzterem damit den Todesstoß zu versetzen, so bin ich mir nun, nach dem Gespräch mit Adrién, nicht mehr sicher, ob das wirklich der richtige Weg ist. Denn wenn ich Chakas verlasse, bin ich keinen Deut besser als Cilian. Dann stelle ich ebenfalls mein Wohl über das anderer. Und bin vielleicht sogar mitverantwortlich dafür, wenn irgendwann wieder Normalsterbliche von Magiern unterdrückt werden.

      Zudem war es noch nie meine Art, vor einer Herausforderung einzuknicken und davonzurennen. So bin ich nicht. War ich nie – und werde ich auch nicht wegen Cilian sein. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als über meinen Schatten zu springen und mit Adrién zusammen zurückzufliegen.

      Als ich ihm heute Morgen die Entscheidung verkündet habe, hat er mich mit seinen unergründlichen grauen Augen gemustert und dann stumm genickt, ehe er die Sachen packte und sich auf Silbersturm schwang.

      Schon hatte ich geglaubt, dass er den Triumph nicht auskosten würde – aber sein Spruch von eben belehrt mich eines Besseren. Doch wenn er denkt, dass ich ihm die Genugtuung gebe, dann hat er sich geschnitten.

      Nach zwei Stunden erkenne ich die Landzunge mit der schneeweißen Stadt und beiße mir auf die Unterlippe, um keinen Fluch auszustoßen.