Wo ich noch was Schlimmes erfahre und zum See fliehe
Wo ich innen taub bin und Papa in die Arme laufe
Wo Papa nicht mit in die Kirche will, aber mir von der fremden Frau erzählt
Wo wir eine Schwester ganz verwirren und sie uns
Wo ich wenig mit meinen Freunden mache, aber viel mit Papa
Wo ich viel abgenommen habe und Papa auch
Wo ich stolz bin, Papas Tochter zu sein und mich auf meine Zukunft freue
Wo ich sauer bin, dass Papa keine Hilfe annimmt, aber nicht kapiere, dass er mir welche anbietet
Wo Julian ein neues Spielzeug entdeckt und ich wegen Papas Enkel weinen muss
Wo ich mit Mama in die Schweiz fahre und mir alles überhaupt nicht vorstellen kann
Wo ich nicht in die Schule muss und meine Eltern schon wieder so geheimnisvoll tun
Wo ich keine Kinder will und Anita übers Sterben spricht
Wie ich erst in Trance bin und dann doch das Richtige tue
Wo ich von einem Haus am Meer träume und wo Papa Anlauf nimmt
Wo Julian Papa seine StarWarsKarten schenkt und Anita eine unheimliche Idee hat
Wo Papa nochmal mit mir redet, aber anders, als ich dachte
Epilog Herbst
Prolog am See
Es war Herbst geworden. Ich saß mit Fredi auf einer Bank am See. Fredi trug das Silberkettchen mit dem Anhänger nicht mehr. Er und Anita hatten sich im Sommer getrennt.
Wir schauten auf das Wasser.
„Hast du schon mal von Sigmund Freud gehört?“, fragte Fredi nach einer Weile.
„Ist das der Psycho-Onkel?“, fragte ich.
„Genau.“
„Was ist mit dem?“, fragte ich.
„Wusstest du, dass seine Tochter damals zugestimmt hat, dass man ihn umbringt?“
„Echt?“
„Ich hätte nie zugestimmt“, sagte Fredi.
„Ich weiß nicht“, sagte ich leise und atmete tief durch.
1. Kapitel
Wo mein Zahnarzt sagt, dass ich ein Psycho sei und ich entdecke, dass mein Vater ein Geheimnis hat
Ich glaube, alles fing an diesem Januarnachmittag an, als mir unser Zahnarzt eröffnete, dass ich ein Psycho sei und eine Knirscherschiene bräuchte.
„Sie wollen also sagen, dass ich ein Psycho bin?“ Herausfordernd blickte ich Dr. Kühnle in die Augen.
„Nein, nein“, er lachte und schob sich auf seinem Untersuchungshocker ein Stück vom Behandlungsstuhl weg, „nein, Tilda. Das habe ich nicht gesagt.“
Er verschränkte die Arme vor seinem Bauch und sah mich ernst an: „Du hast immer wieder diese Verspannungen in der Kiefermuskulatur, du hast Kopfschmerzen und deine Mutter sagt, dass du nachts mit den Zähnen knirschst.“
Er wandte sich an die Zahnarzthelferin: „Gabriele, bringen Sie mir doch bitte mal das Zahnmodell.“
Gabriele verschwand. Irgendwohin.
„Deine Beschwerden könnten ein Hinweis auf seelische Spannungen sein. Weißt du, vielleicht verarbeitest du nachts mit den Zähnen, was du tagsüber nicht lösen kannst. Hast du Probleme in der Schule?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Oder mit deinen Eltern oder mit deinem Freund?“ Ich schwieg. War ich hier beim Zahnarzt oder beim Seelenklempner?
„Nun ja“, fuhr er fort, „geht mich ja auch nichts an, aber ...“
Genau, dachte ich, es geht dich nichts an. Außerdem gab es keinen Freund, jedenfalls zurzeit nicht.
„Wir sollten die Sache von zwei Seiten angehen“, fuhr Dr. Kühnle fort. „Ich würde dir zu autogenem Training raten und zusätzlich zu einer Knirscherschiene. Das autogene Training hilft dir innerlich zur Ruhe zu kommen und die Knirscherschiene ... geben Sie mal her!“
Gabriele reichte ihm ein Gebissmodell, das so groß war, dass es nur von einem Pferd stammen konnte.
„Die Knirscherschiene schützt deine Zähne. Denn bei der nächtlichen Knirscherei können Zähne über die Jahre hinweg richtig abgeschliffen werden.“
Er führte mit dem Pferdegebiss Kaubewegungen vor. Es machte ein hässliches Geräusch. Dann steckte er