durch deren Ritze der Wind pfiff, ohne Strom und mit nur dem Notdürftigsten ausgestattet, verbrachte ich eine der schönsten Wochen meines Lebens. Nur die Familie, der kleine Tannenbaum und die vier Schneemänner vor der Türe.
Die besten Geschenke nutzen nichts, wenn man seine Zeit nicht mit den Menschen verbringen kann, die man am meisten auf der Welt liebt, denke ich und sehe auf meine Uhr. Jeden Moment wird mein Mann mit unseren Kindern nach Hause kommen und wie jedes Jahr werden die drei behaupten, dass dieser Tannenbaum, den sie ausgesucht haben, der schönste ist, den wir je hatten. Ich lasse sie in dem Glauben, schnuppere den würzigen Tannenbaumduft und denke an das Jägerhäuschen im Wald.
Martina Schneider lebt in Köln, singt, liest und schreibt gerne. Sie hat bereits eine Weihnachtsgeschichte veröffentlicht.
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Auch Engel brauchen manchmal Hilfe
Es war einmal ein blondgelockter Rauschgoldengel. Er stand in der Mitte eines festlich geschmückten Tisches und hörte, wie das nette Ehepaar, das ihn auf dem Christkindlesmarkt gekauft hatte, das Weihnachtszimmer mit den Worten abschloss: „Schön, dass Jan noch an das Christkind und die Engelchen glaubt. Wenn er nächstes Jahr in die Schule kommt, ist dieser Zauber sicher schnell vorbei.“
Obwohl es im Zimmer dunkel war, spendeten die Flügel des Rauschgoldengels so viel schimmerndes Licht, dass er sich gut umsehen konnte. Unter dem festlich geschmückten Tannenbaum schlängelte sich eine Holzeisenbahn. Weitere Päckchen lagen in buntes Papier gehüllt zwischen den Gleisen. Mit einem verzückten Schrei sprang er vom Tisch auf den Boden. Fliegen wie die anderen Weihnachtsengel konnte er nicht, dazu waren seine Rauschgoldflügel viel zu groß und zu schwer. Er inspizierte die Lokomotive, die Güterwagons, den Miniaturbahnhof, den klitzekleinen Bahnhofsvorsteher und die Reisenden mit ihren Koffern, die kaum größer als ein Daumennagel waren. Liebend gern hätte er auch gewusst, was in den Päckchen versteckt war, doch er war ein wohlerzogener Engel: „Die Bescherung ist ja schon morgen“, bremste er seine Neugier. „Solange muss ich wohl noch warten. Aber Hunger und Durst hab ich heute schon. Vielleicht haben die Erwachsenen mir etwas Gutes übrig gelassen.“
An einem Tischbein zog er sich wieder nach oben. „Mmhm! Plätzchen, Lebkuchen! Sogar gebrannte Mandeln sind da!“ Er naschte von allem und wurde noch durstiger. So nippte er an einem roten Saft aus Bechern, die mit Bildern des Christkindlesmarktes verziert waren. „Lecker, lecker, muss ich sagen. Hier bleibe ich!“
Der kleine Engel war viel zu jung und unerfahren, um zu wissen, warum er sich plötzlich so unternehmungslustig fühlte. Obwohl die Eltern nicht mehr viel Glühwein übrig gelassen hatten, genügte es, dem kleinen Engel den ersten kleinen Schwips seines Lebens zu bescheren. Er sprang wieder vom Tisch herab, öffnete nun doch die Päckchen, guckte hinein und verschloss sie mehr schlecht als recht.
„Egal, ist ja nur bis morgen!“, entschuldigte er sich und musste einen Schluckauf niederkämpfen. Übermütig sprang er durchs Zimmer.
Klirr, klirr! Zwei Christbaumkugeln zerbrachen auf dem Parkettboden in viele glitzernde Stücke. Seine großen Flügel hatten sie vom Baum gerissen. Erschrocken hielt er inne. „Wenn rauskommt, was ich gemacht habe“, überlegte er laut, „werde ich zurück in die Schachtel verbannt und darf am Weihnachtsfest nicht teilhaben. Die Scherben müssen weg!“ Mit der breiten Seite seines rechten Flügels schob er die Scherben zusammen und knotete sie in seinen wallenden Rock. Dann kletterte er auf das Fenstersims und zog sich bis zum Fenstergriff hoch. Als er am offenen Fenster hing und die Scherben in den Garten werfen wollte, kam eine Windböe. Er verlor das Gleichgewicht und plumpste tief.
„Aua, Hilfe!“, rief der Engel. „Aua, hört mich jemand?“
Wer sollte zu nachtschlafender Zeit sein zartes Stimmchen hören? „Ich will nicht in der Kälte sterben! Ich habe mich doch so auf das Weihnachtsfest gefreut!“, jammerte der kleine Engel, und dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Er bibberte in seinem roten Kleid, durch das der Wind hindurch pfiff.
Plötzlich stand ein kleiner Junge im Schlafanzug vor ihm und rieb sich die verschlafenen Augen. „Wer bist denn du? Was machst du hier draußen? Und warum schreist du so?“
Der Rauschgoldengel drehte sich zu dem Jungen um. „Aua!“, rief er wieder. „Ich glaube, ich habe mir den Flügel gebrochen.“
Der Junge rieb sich nochmals die Augen. „Kommst du aus unserem Wohnzimmer?“, fragte er, als er das offene Fenster sah.
„Ja, ich bin ganz neu bei euch. Wer bist du und wie heißt die Lokomotive auf deinem Schlafanzug?“
„Wir heißen Jan und Thomas. Ich bin schon fünf Jahre alt.“ Dabei hielt er dem Engel seine linke Hand mit allen ausgestreckten Fingern vor die Nase. „Zeig mir mal, wo du verletzt bist.“
Der Engelsflügel hing nur noch an einem kleinen losen Ende am Körper und war eingerissen und geknickt.
„Weißt du, ich glaube, wir müssen ammutieren“, stellte Jan überzeugend fest.
„Was?“, schrie der Engel auf, denn das Wort klang gar nicht gut. „Was müssen wir?“
„Ammutieren. Das sagen die Ärzte im Fernsehen immer, wenn sie ein Bein oder einen Arm abschneiden.“
Vor Schreck fiel der Engel in Ohnmacht. Jan führte seine erste Amputation erfolgreich durch, obwohl er das Wort noch nicht einmal richtig aussprechen konnte. Dann hob er seinen nun einflügeligen Patienten auf, kletterte von außen über das Fensterbrett in das Wohnzimmer und stellte ihn auf den Tisch. Er stieß einen kleinen Schrei aus, als er die Eisenbahn sah, kniff aber die Augen gleich wieder zu:
„Nein, ich habe nichts gesehen!“, verteidigte er sich, kletterte auf dem gleichen Weg wieder zurück in den Garten und tapste mit kalten Füßen in sein kuscheliges Bett.
Er schlief lange am nächsten Morgen und bekam nicht mit, wie die Eltern sich gegenseitig Vorwürfe machten, am Vorabend das Fenster nicht richtig geschlossen zu haben. „Wir werden an Weihnachten sicher nicht streiten!“, beschlossen sie dann aber einmütig.
Als es draußen dämmerig wurde, öffneten sie die Wohnzimmertür und freuten sich mit Jan an dem glänzenden Weihnachtsbaum und dem heimeligen Geruch der brennenden Kerzen.
„Fröhliche Weihnachten!“, wünschten sie sich gegenseitig, umarmten sich und stimmten „Stille Nacht, Heilige Nacht“ an.
Jan musste immerzu auf die schöne Eisenbahn starren und bewegte nur stumm die Lippen. Stattdessen krächzte der wieder zum Leben erwachte, schwer erkältete Rauschgoldengel kräftig mit.
„Na, du klingst ja gar nicht gut“, sagte die Mutter besorgt zu Jan.
Der Engel zwinkerte Jan zu und legte seinen Finger an die Lippen.
„Ach ja“, antwortete Jan und hüstelte ein paar Mal, „kann schon sein.“
„Ich hole gleich die Medizin“, sagte seine Mutter und eilte in die Küche.
Der Vater war in einen dicken Bildband vertieft, sodass Jan dem Engel zuraunen konnte: „Ich singe nie! Singen ist total doof! Aber wegen dir muss ich jetzt die bitteren Tropfen schlucken.“
In den folgenden Jahren zeigte der Rauschgoldengel Jan seine Freundschaft, indem er mit schönster Stimme bei den Weihnachtsliedern mitsang und Jan nur so tun musste, als ob er sang. Das nächtliche Abenteuer blieb tatsächlich ihrer beider Geheimnis.
Viele Jahre später, als Jan gerade seinen Umzug vom Elternhaus in eine eigene Wohnung vorbereitete, hörte er ein zartes Stimmchen rufen: „Hilfe! Nein! Schnell! Zu Hilfe!“ Jan erkannte die Stimme sofort wieder. Er eilte ins Wohnzimmer. Dort sortierte seine Verlobte die Habseligkeiten, die sie in die neue Wohnung mitnehmen wollten, von den Sachen, die zurückblieben.
„Der ist doch schon so alt und schäbig, der muss weg!“, sagte sie, als Jan den Engel wieder aus dem Mülleimer zog.
„Du armer Kleiner, jetzt ist auch noch dein zweiter Flügel kaputt. Tut’s sehr weh?“
„Mit