das Herz in seiner Brust. Was hatte das Ganze nur zu bedeuten?
„Irgendwo dort ist das Mädchen, dem das Geschenk gehört“, erklärte der Elf. „Es heißt auch Kai, genauso wie du. Deswegen ist uns diese Verwechslung passiert. Wenn ihr euch findet, könnt ihr die Geschenke tauschen.“
Das ließ sich Kai nicht zweimal sagen. Hastig sprang er von seinem Bett, umfasste den Hals des Ponys mit beiden Armen und folgte seinem Besucher auf den Weihnachtsbasar. Ein Kribbeln überlief seinen Körper, als er das Portal durchschritt.
Danach schallte ihm eine wahre Geräuschwelle entgegen. Hunderte Kinder aus aller Welt standen hier beisammen, unterhielten sich und lachten gemeinsam. Mit großen Augen spähte er hinter dem Stofftier hervor, beobachtete das Geschehen neugierig.
Selten hatte er außerhalb eines Spielzeuggeschäfts so viele Spielzeuge auf einmal gesehen. Von geschnitzten Holztieren über funkelnden Plastikschmuck bis hin zu Spielkonsolen war wirklich alles da. Zwischen den Kindern huschten zahllose Weihnachtselfen umher, verhinderten, dass Streit ausbrach, und übersetzten Gespräche, wenn die Basargäste einander nicht verstanden.
Plötzlich spürte er, wie jemand am Hemd seines Pyjamas zog. Überrascht drehte er sich um und blickte in die dunklen fragenden Augen eines etwa sechsjährigen Mädchens. Schwarze Locken hingen ihm ins Gesicht. Auf seinem gelben Schlafanzug tanzten rosa Einhörner mit grünen Waldfeen.
„Ich bin Kai“, sagte das Mädchen. Anklagend zeigte es auf das Stofftier in seinen Armen. „Und du hast mein Pony.“
„Ich bin auch Kai“, gab er zurück. „Wo hast du mein Geschenk?“
Das Mädchen deutete auf ein rotes ferngesteuertes Auto, das in einiger Entfernung auf dem Boden lag. Ruckartig wurde das pinke Ungetüm aus seinen Fingern gerissen. Mit tapsigen Schritten rannte das andere Kind davon.
„Gerne geschehen!“, rief er ihr hinterher, erhielt jedoch keine Antwort. „Dann eben nicht.“
Mit einem Schulterzucken sammelte er sein hübsches, rotes Auto ein und mischte sich unter die anderen Kinder. Bestimmt durfte er noch eine Weile hier bleiben. Die Weihnachtselfen würden ihm schon Bescheid sagen, wenn er nach Hause zurück musste.
Lily Beier (geb. 1989) schreibt bereits seit vielen Jahren Geschichten. Besonders kreativ wird sie nachts, deswegen kommt ihr die Arbeit als Krankenschwester im Nachtdienst sehr gelegen. Mehr aus Interesse als aus Ehrgeiz studiert sie Germanistik und Geschichte in Bochum. Im Moment schreibt sie vor allem Kurzgeschichten.
*
Was macht Marie zu Weihnachten?
„Wer bist du?“, fragte Marie den Unbekannten ganz aufgebracht. Er sah ziemlich merkwürdig aus, ein brauner Bär, der nicht höher als bis zu ihren Knien reichte, mit einer großen roten Schleife um den Hals gebunden und einer großen Kristallkugel in der Hand, die hellrosa leuchtete.
„Mein Name ist Sorgenlos und ich bin hier, um dir zu helfen.“
Die kleine Marie staunte: „Warum denn?“
„Weil du ungeduldig bist, denn ich habe gesehen, wie du dich aufgeregt hast, weil du noch keine Geschenke bekommen hast.“
Tatsächlich war dem so. Heute war Heiligabend, doch die Geschenke durfte sie erst dann bekommen, wenn ihre Großeltern und ihre Tanten und Onkel bei ihnen angekommen waren. „Aber ich möchte jetzt schon meine tollen Geschenke!“, jammerte Marie uneinsichtig.
Der Bär seufzte darauf nur. „Damit du siehst, wie viel das Christkind an diesem Tag zu tun hat, werde ich dich jetzt mit zu ihm nehmen!“
Noch bevor Marie etwas sagen konnte, erstrahlte die Kugel ganz hell und verschlang die beiden im Nu. Nur Sekunden später stand sie schon auf einer der großen Wolken, die den Nachthimmel bedeckten. Wenn man an Weihnachten und die Heimat vom Christkind dachte, verband man es sofort mit einer großen Stadt, umgeben von zahllosen Süßigkeiten – und erst das große Schloss, in dem es wohnen sollte! Doch nichts lag ferner als die Annahme, dass das Christkind eitel und von glitzernden Dingen umgeben sei. Das Gegenteil war der Fall, was Marie gleich erkannte, denn Bescheidenheit war seine Tugend.
Vor ihren Augen stand das Christkind in einem normalen Zimmer und war höchstpersönlich damit beschäftigt, die Liste mit den Kindern der ganzen Welt durchzugehen.
„Hallo, Marie, ich habe dich bereits erwartet.“ Der Engel guckte sie freundlich an, eine ähnliche Kristallkugel haltend wie der Bär. „Es freut mich, dass du hier bist. Du bist heute Abend aber ziemlich ungeduldig gewesen, nicht wahr?“
Marie war es auf einmal unangenehm, dass sie nicht warten konnte, aber sie wollte doch schon so gerne die tollen Geschenke haben!
„Nun, wie du siehst habe ich viel zu tun und kann nicht überall gleichzeitig sein, das verstehst du doch?“
Marie war ihr Benehmen plötzlich so peinlich, dass sie beschämt zu Boden sah.
„Weißt du, wie ich das mit den Geschenken mache?“ Neugierig blickte das Mädchen nun hoch. Mit einem kurzen „Ich zeige es dir!“ hob er vorsichtig die Kristallkugel in seiner Hand auf Maries Augenhöhe. Viele traurige Gesichter, voll Kummer und Sorgen, guckten ihr entgegen. „Diese Kinder, die du hier siehst, haben es sehr schwer in ihrem Leben, sie haben keine Eltern und auch kein eigenes Zuhause, sie leben in Heimen oder gar auf der Straße.“
Marie war den Tränen nahe, denn so hatte sie es noch nie gesehen, dass es anderen Menschen schlimmer ging als ihr.
„Diese kleinen Seelchen bekommen die Geschenke zuerst. Es ist wichtig, ihnen unsere Liebe zu zeigen“
Der Blick war sanft, als er Marie anschaute. „Ich bin mir sicher, dass du nicht mit Absicht so ungeduldig bist, trotzdem musst du eines verstehen: Jeder hat es verdient, etwas Besonderes zu Weihnachten zu bekommen, egal ob reich oder arm, ob groß oder klein.“ Tränen kullerten Maries Wangen hinunter.
„Tut mir leid!“ Sie sah ein, dass es sehr unfair von ihr gewesen war – sie war wichtig und sonst keiner. Das Kind war freudig überrascht, als das Christkind es liebevoll umarmte.
„Schön, dass du es jetzt verstehst, aber es ist spät geworden. Du musst nach Hause.“
Da kam dem Mädchen plötzlich eine grandiose Idee! „Ich möchte dir bitte helfen!“ Die Kleine wollte ihr Fehlverhalten wiedergutmachen. Die anderen Kinder auf der Welt sollten ein genauso schönes Weihnachten haben wie sie.
Nach kurzem Überlegen willigte das Christkind ein. „Gut, dann lege jetzt bitte deine Hand auf die Kristallkugel und schließe dabei ganz fest die Augen.“
Ohne groß darüber nachzudenken, tat es Marie und gleich darauf durchströmte sie eine wohlige Wärme, die sie nie zuvor verspürt hatte. Glück und Freiheit beherrschten sie stärker als zu Beginn ihrer großartigen Reise zum Christkind.
Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie leichtfüßig schwebte, doch in Wahrheit dauerte es keine zwei Sekunden. Sie spürte wieder festen Boden unter sich. Langsam und vorsichtig öffnete sie ihre Augen.
Das Zimmer hatte sich schlagartig verändert. Es stand kein Christkind mehr neben ihr, sondern ein bescheiden geschmückter Christbaum – wenn man das kleine, dürre und kahle Etwas denn einen Baum nennen konnte. Neugierig blickte sie umher und entdeckte, dass sie ein kleines Geschenk in den Händen hielt.
„So macht das Christkind das!“, staunte sie und schlich auf leisen Pfoten zum Baum, doch der Boden knarrte so laut, dass sie kurz innehielt und nach Geräuschen von den Hausbewohnern lauschte. Als jedoch nach gut einer Minute nichts Verdächtiges zu hören war, fuhr sie mit ihrem Auftrag fort. Sie kam nicht weit, da hörte sie jemanden hinter sich nach Luft schnappen.
„Wer bist du?“
Erschrocken fuhr Marie herum und sah in das verblüffte Gesicht eines kleinen Jungen. Er war kaum jünger als sie selbst.
„Ich