stand Pauline, Luisas Pferdefreundin, da und schaute schüchtern zu Luisa hoch. „Ich muss dir etwas sagen“, flüsterte sie.
Luisa wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht und versuchte normal auszusehen. Ihre Eltern sonderten sich feinfühlig ab.
„Luisa, es tut mir so leid, dein Pech mit Condor.“
„Leid? Wenn man so blöd reitet wie ich?“, erwiderte Luisa patzig.
„Nein, nein, das stimmt nicht.“ Pauline machte eine Pause und fuhr sich verlegen durch die Haare. „Dein Pferd“, druckste sie, „war doch bei Carola Park zur Ausbildung? Nicht wahr?“
„Ja, und?“
„Und du weißt doch, dass ich bei ihr arbeite?“
„Ja.“
„Sie, sie“, stotterte Pauline, „sie war zu Condor sehr böse.“
Luisa riss die Augen auf. „Was?“ Hektisch sprang sie von Condor herunter. In der Magengegend spürte sie einen stechenden Schmerz. „Pauline, bitte sag mir, was los ist.“
„Luisa“, sagte Pauline noch etwas leiser, „was ich dir jetzt erzähle, muss unter uns bleiben, sonst wird Carola überall herumtratschen, dass ich lüge und dann bin ich meinen Job los.“
Luisa nickte und Pauline berichtete in allen Einzelheiten von Carolas Machenschaften.
„Aber das ist ja ganz furchtbar“, brauste Luisa auf. „Warum erzählst du mir das erst jetzt?“
„Ich habe mich nicht getraut!“
„Ja“, hauchte Luisa. Alles in ihr hatte sich zusammengezogen, ihre Brust schmerzte und sie bekam kaum noch Luft. Benommen und mit schlotternden Beinen stieg sie auf Condor. Ohne ein Wort an Pauline und ihre Eltern ritt sie davon in den angrenzenden Wald, erst ein paar Meter im Schritt, dann im zügigen Galopp. Sie ließ sich einfach von Condor tragen, vertraute seiner Wegführung. Erst als sie eine Waldlichtung erreichte, parierte sie ihn zum Schritt durch und blieb nach ein paar Metern stehen.
„Ach Condor“, weinte sie, „was hat diese Hexe mit dir gemacht? Und ich bin schuld. Ich allein. Wäre ich besser geritten, dann wärst du nie woanders hingekommen. Ich dachte, dass sie dich ausbilden wird und ich dich dann viel besser reiten kann. Aber sie hat dir nur Angst gemacht. Wie kann ich das wiedergutmachen? Könntest du nur mit mir reden.“ Condor senkte den Kopf und zupfte ein paar Grashalme ab. Luisa schaute in die Ferne. Undeutlich nahm sie ein zeterndes Vogelpärchen wahr. Ihr Bauch rebellierte erneut und ihr wurde ein bisschen übel.
Nach einer Weile richtete sich Condor wieder auf. Luisa strich seufzend über seinen Hals und wischte sich mit dem Ärmel der Reitjacke die Tränen weg. „Komm mein Guter, wir reiten zurück. Mama und Papa müssen alles erfahren.“
„Da bist du ja“, rief ihre Mutter vorwurfsvoll. „Du bist ohne Helm in den Wald geritten und warst so lange weg. Ich habe mir Sorgen gemacht.“
Statt einer Antwort stieß Luisa hervor: „Mama, diese schreckliche Carola Park. Wir hätten ihr Condor nie geben dürfen.“
„Wieso?“, fragte ihr Vater.
„Pauline hat mir grausige Sachen erzählt. Sie arbeitet in dem Stall von Carola und hat alles gesehen.“
„Was gesehen?“
„Carola wollte Condor zwingen, über einen Wassergraben zu springen. Und“, Luisa schluckte, „sie hat ihn dabei richtig verprügelt. Zuerst mit einer Gerte, dann mit einer Peitsche und zum Schluss“, Luisa konnte nur noch krächzen, „hat sie es sogar mit einer Eisenstange versucht.“ Wieder brach sie in Tränen aus.
„So ist das?“ Herr Falkenberg verzog seinen Mund zu einem schmalen Strich. Seine Hände ballte er zu Fäusten, sodass die Knöchel weiß hervortraten. „Jetzt weiß ich auch, warum unser Condor seit einiger Zeit nicht mehr über blaue Stangen springen will. Alles, was blau ist, könnte ein Wassergraben sein und der ist für ihn gefährlich und schmerzvoll.“
Fassungslos ließ Luisas Mutter ihre Schultern hängen. Sie setzte sich auf die schmutzige Laderampe des Pferdehängers und stützte ihre Arme auf den angewinkelten Beinen ab. „Ich kann das alles nicht glauben. Wir haben einen großen Fehler gemacht. Diese Park hat unseren Condor ruiniert und wir haben es nicht gemerkt.“ Wut kochte in ihr hoch. Sie sprang auf, klopfte sich den Pferdemist von ihrer Jeans und schritt unruhig umher. „Verklagen müsste man die Frau! Condor ist jung, stammt aus einer guten Zucht, hat sehr viel Sprungkraft. Und jetzt?“ Nach einer Pause sagte sie gefasst: „Condor darf keinen Sprung mehr sehen. Nur so kann er vergessen, was ihm diese Park angetan hat.“
„Keinen Sprung mehr sehen?“, wiederholte Luisa. „Aber Mama, das geht nicht! Er ist doch ein Springpferd. Und ich wollte mit ihm auf die großen Jugendturniere fahren.“ Fast lautlos fügte sie hinzu: „Er kann doch nichts dafür.“
Luisas Mutter nickte stumm. Ihr Vater strich sich bedächtig über seine Bartstoppeln, lüftete seine Schirmmütze und setzte sie wieder auf. Dann tätschelte er Condors Hals und legte seine Hand auf der Mähne ab. „Luisa, wir müssen jetzt an Condor denken und an das, was für ihn gut ist.“ Er zögerte. „Condor ist schick. Er könnte auch im Dressurviereck Punkte sammeln. Da gibt es keine gefährlichen blauen Hindernisse. Was meinst du, könnte der Schimmel einem Dressur-Mädchen Freude schenken? Vielleicht finden wir jemanden in unserem Stall, der Condor ausbildet. Oder“, und in seinem Gesicht zuckte es ein wenig, „oder wir verkaufen ihn.“
„Nein, Papa, nein, niemals!“, schrie Luisa verzweifelt auf. „Du darfst ihn nicht verkaufen. Bitte Papa. Ich habe ihn doch so lieb. Er ist doch mein Condor!“
„Ist schon gut Luisa“, versuchte er seine Tochter zu beruhigen, „aber wir müssen darüber reden, wie es weitergehen soll.“
„Gar nicht, es geht gar nicht weiter“, entgegnete Luisa heftig. Sie beugte sich vornüber und umarmte Condors Hals, als wollte sie ihn für immer festhalten. Leise kullerten Tränen aus ihren Augen und versickerten in seiner schwarzen Mähne.
Luisas Mutter tat der Anblick ihrer Tochter unendlich weh. Sie wendete sich ab und schaute nach unten. Ihre Hände stemmte sie in die Hüften, mit der Kante ihrer grauen Turnschuhe ritzte sie kleine Furchen in den weichen Waldboden und schob sie wieder zu. Langsam drehte sie sich um. Sie hatte einen Entschluss gefasst.
„Luisa, wir werden nach einem anderen Springpferd für dich Ausschau halten!“
„Was? Ich will kein anderes Pferd, ich will nur Condor.“
„Luisa, ich habe Angst um dich. Condor ist panisch. Er steigt und dabei ist schnell etwas passiert. Ich will und kann die gefährlichen Ritte mit ihm nicht mit ansehen. Wir werden uns umhören, ein paar Telefonate führen. Vielleicht haben wir Glück und finden ein gutes Jugendpferd.“
„Ach, die gibt es doch gar nicht. Ich will kein anderes Pferd haben. Wäre ich besser geritten, hätten wir Condor nicht zu der Park gebracht. Also liegt alles nur an mir. Ich habe alles falsch gemacht!“
„Das glaube ich nicht“, wehrte ihr Vater nachdrücklich ab. „Diese Frau hat Condors Vertrauen zerstört!“
Das waren eindeutige Worte. Alle hatten ein mulmiges Gefühl im Bauch. Luisa, die noch immer auf Condor saß, stieg zittrig von ihm herunter, nahm die Trense ab und zog ihm das Halfter an. Sie klopfte zärtlich seinen Hals und strich ihm über den Kopf. Er hatte so ein wunderbares, weiches Fell und duftete so gut. Sie würde ihn niemals hergeben. Dann würde sie nie wieder den braunen Punkt auf seiner Nase sehen. Und die drei Haare auf seiner Stirn waren so goldig. Die sollten eigentlich sein Pony sein. Aber der war bei ihm etwas dürftig ausgefallen.
Luisa nahm den Sattel herunter, legte Condor die Transportgamaschen an und führte ihn in den Pferdehänger. Dann hielt sie ihm einen Eimer Wasser vor die Nase, aus dem er gierig trank. Im Futtertrog warteten bereits Äpfel und Karotten, die er anschließend schmatzend vertilgte. Luisas Vater sah sich um. Alles war eingepackt,