Bürste und Hufkratzer in die Hände gedrückt. Während Neele sich sofort an die Arbeit machte, stand Luisa einen Moment lang wie angewurzelt vor dem Fuchs. Er war so unglaublich schön. Sein Fell hatte einen goldenen Glanz, ganz anders als bei anderen Füchsen. Und der hübsche kleine Kopf mit den riesigen schwarzen Augen und die zierlichen Hufe. Er sah aus wie ein Vollblüter! Ihr Vater riss sie aus den Gedanken.
„Herr Langen, wie alt ist das Pferd? Wo kommt es her und welche Prüfungen ist es schon gegangen?“
„Das Pferd ist erst vor wenigen Tagen aus Russland hierher gekommen“, berichtete der Reitstallbesitzer. „Es ist ein Budjonny. So heißt die russische Rasse. Es ist sechs Jahre alt, hat hier seine deutschen Papiere bekommen und ist auch hier geimpft worden. Bei uns ist das Pferd noch auf keinem Turnier gewesen.“
„Noch auf keinem Turnier gewesen?“, wiederholte Frau Falkenberg ungläubig. Schon ging ihre gute Laune auf Talfahrt. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Die weite Anfahrt für ein Pferd, das nichts konnte? Sollten sie wieder bei null beginnen? Aber er war doch schon sechs Jahre alt. „Sie wissen gar nichts von ihm?“ Luisas Mutter ereiferte sich und ihre Stimme wurde ein wenig schrill. „Herr Langen, wir haben zu Hause ein junges Springpferd, auf das wir alle Hoffnungen gesetzt hatten. Zunächst schien es auch gar nicht so schlecht. Dann merkten wir immer mehr, dass ihm einfach der Mut fehlt.“
„Ja, und Condor, also mein Pferd“, bekräftigte Luisa, „springt über keinen Wassergraben und hat Angst vor blauen Hindernissen.“
„Da kann ich dich beruhigen“, erwiderte Herr Langen freundlich. „Der Fuchs hat in Russland eine konsequente Ausbildung genossen und hier hat er sich auch nicht dumm angestellt. Mein Sohn Tim wird ihn nächstes Wochenende zum ersten Mal bei einem Hallenturnier vorstellen. Dort ist viel zu sehen. Es hängen eine Menge Spiegel an der Wand. Die Zuschauertribüne ist ganz nah am Parcours und die Gastronomie ist auch noch in der Halle. Wenn er dort gut springt, gibt es nirgendwo Probleme.“
„Welche Prüfung wird der Russe dort gehen?“, hakte Herr Falkenberg nach.
„Ein Springen der Klasse L“, antwortete Herr Langen. „Es wird gut ausgebaut sein. Das heißt, dass die Sprünge garantiert ein Meter zwanzig hoch sind.“
Luisa war beeindruckt. So hoch konnte er springen? Ob sie das mit dem Fuchs auch schaffen würde? Sie wurde immer aufgeregter. Wie sich das wohl anfühlen würde?
Ganz in Gedanken putzte sie permanent die gleiche Stelle an seinem Kopf und Neele stupste sie an. „Hallo, kratzt du mal die Hufe aus?“
Luisa riss sich zusammen. Kurz darauf war der Fuchs fertig. Tim brachte den Sattel und die Trense. „Ich werde euch den Fuchs zuerst vorreiten, damit ihr ihn unter dem Sattel ansehen könnt. Danach kannst du ihn reiten, Luisa.“
Alle marschierten zur Reithalle. Dort standen bereits ein paar Sprünge, die das Pferd später bewältigen sollte. Nach ein paar Schrittrunden zum Warmwerden fing Tim an zu traben und galoppierte den Russen.
Nach einer Weile rief Herr Langen seinem Sohn zu: „Tim, zeigst du den Falkenbergs seinen schönen Trab?“
An der langen Seite setzte Tim zum starken Trab an.
„Toll“, bestätigte Frau Falkenberg, „wie der die Beine schmeißt. Wenn er genauso gut springt, wie er sich bewegt, dann müssen wir uns wohl einig werden.“
„Was heißt das, Mama? Was heißt einig werden?“, flüsterte Neele.
„Na, vielleicht werden wir ihn kaufen“, flüsterte ihre Mutter zurück.
„Ob der uns über den Tisch hauen will?“, fragte Neele jetzt noch leiser.
Ihre Mutter lachte: „Das heißt über den Tisch ziehen. Auf mich macht die Familie Langen einen sehr ehrlichen Eindruck. Was meinst du?“
„Ich weiß nicht.“ Neele zuckte mit den Schultern.
Es war ein frischer Apriltag und durch das lange Stehen in der Reithalle froren ihnen die Füße allmählich ein.
„Ist dir kalt?“, erkundigte sich Frau Falkenberg bei ihrer Tochter.
Luisa winkte ab. „Nein“, erklärte sie unwirsch. Sie hatte nur Augen für den Fuchs und fieberte danach, ihn selbst reiten zu können. Tim Langen sprang mit ihm jetzt über ein niedriges Kreuz, einen kleinen Steilsprung und einen Oxer, also einen Hochweitsprung. Der Fuchs war willig. Er hatte Freude am Springen. Das schien sicher.
„Jetzt bist du an der Reihe, Luisa. Willst du ihn ausprobieren?“, fragte Tim freundlich.
„Mmh.“ Luisa schluckte und nickte.
Sie war kaum fähig, etwas zu sagen, so aufgeregt war sie. Ihr Gesicht glühte und bevor sie aufstieg, zog sie sich schnell die Jacke aus. Die Steigbügel wurden etwas kürzer geschnallt und schon saß sie im Sattel. Nach ein paar Schrittrunden fing sie an zu traben. Tim Langen gab ihr ein paar Tipps und nach einiger Zeit schaffte es Luisa, den Fuchs an den Zügel zu reiten. Schließlich galoppierte sie mit ihm durch die Halle.
Nach einer Weile fragte Tim: „Wie fühlst du dich auf ihm?“
„Gut“, war die knappe Antwort.
„Ich will ihn auch mal reiten“, maunzte Neele.
„Ja, später“, bremste ihre Mutter. „Wir suchen ein Pferd für Luisa. Du hast zu Hause den Topsi.“
Luisas Vater marschierte in die Mitte der Reithalle und sah seine Tochter an: „Hast du ein sicheres Gefühl auf dem Pferd? Meinst du, du kannst ein paar Sprünge mit ihm wagen?“
„Ja“, war wieder die sparsame Antwort. Luisa war hoch konzentriert. Sie wollte bloß keinen Fehler machen. Die vielen Fragen waren ihr zu viel.
„Also dann können wir loslegen“, meinte Tim. „Komm mal zu mir. Siehst du das Kreuz dort? Das reitest du von hier aus an und springst darüber. Das machst du noch einmal und dann springst du das Kreuz zweimal von der anderen Seite.“
Luisa fing an zu galoppieren.
„Nimm die Zügel kürzer“, rief Tim. „Ja, so ist es gut. Und halte deine Schenkel ruhig am Pferd. Versuche, weniger mit den Unterschenkeln zu klopfen. Ja, so ist es besser. Nicht so einfach bei ihm, nicht wahr?“
„Mmh.“ Mehr brachte Luisa nicht heraus. Doch den Fuchs störten die klopfenden Unterschenkel nicht. Er ließ sich nicht irritieren, zog an und setzte sicher und elegant über das Kreuz. Luisa wiederholte die Übung und parierte ihn durch. Sie strahlte. Endlich! Dann wurde Luisa jedoch wieder ernst. Über ein Kreuz springen, das konnte auch ihr Schimmel.
„Kann ich mit dem Fuchs auch höhere Hindernisse anreiten?“, fragte Luisa.
„Ja, natürlich, aber du sollst dich zuerst einmal in seinen Bewegungsablauf einfühlen. Jetzt reitest du über den kleinen Steilsprung und später über den Oxer. Bei dem Oxer muss sich das Pferd mehr strecken. Hier springt er nicht nur nach oben, wie bei dem Steilsprung, sondern auch weit. Anschließend werde ich die Hindernisse höher machen.“
Luisa absolvierte den kleinen Parcours reibungslos. Loch um Loch legte Tim die Stangen höher und schließlich waren sie bei einem guten Meter angelangt. Gelang es Luisa nicht, die Sprünge ganz passend anzureiten, streckte sich der Fuchs ein wenig oder legte noch einen zusätzlichen kleinen Galoppsprung ein.
„Das klappt ja fabelhaft“, kommentierte Tim den Ritt.
Wieder strahlte Luisa. Und wieder schlug ihr Herz schneller. Mit dem Fuchs ging alles so leicht. Sie fühlte sich schon so sicher auf ihm. Und er guckte so aufmerksam und immer waren die Ohren neugierig nach vorne gerichtet. Es war einfach himmlisch. Doch dann keimten plötzlich Zweifel in ihr. „Was passiert, wenn ich den Sprung einmal nicht richtig treffe? Oder ich ihn in den Sprung hineinsetze. Wird er dann überhaupt noch springen?“ Ihr Herz zog sich zusammen und sie bekam eine trockene Kehle. Sofort musste sie an Carola Park denken. Dieser Person würde sie nie wieder ein Pferd überlassen.