jedenfalls wirkliche oder imaginierte historische Wahrheit mit paganen und christlichen Elementen, mit höfischer Dichtung und reicher Fantasiegestaltung. Auch Märchen und Mythen lässt er sich zuordnen, bis er schließlich als reichhaltige und tiefgründige Quelle der populären Fantasy-Kultur dient.
Der König als Held unter Helden
Unbestritten muss Artus als Heldengestalt gesehen werden, die sich in ihrem höfischen Gewand einer langen Reihe von Helden und Heldinnen zuordnen lässt. Keine Kultur kommt anscheinend ohne Gottheiten und Heroen aus, deren Beziehungen untereinander sehr unterschiedlich artikuliert werden. Die homerischen Helden um Hektor und Achill sind ebenso wie der spätere Herkules der Götterwelt eng verbunden, bis hin zum Status des Halbgottes. Die inselkeltischen Helden Irlands wie der legendäre Cú Chulainn weisen hingegen größere Distanzen zum Göttlichen auf, während es in der germanischen Überlieferung bei Dietrich von Bern, Siegfried oder Beowulf nicht mehr greifbar ist respektive als hochmittelalterliche fiktive Ausschmückung auftritt. Held und Heldin sind allerdings grundsätzlich außergewöhnliche Menschen, die positiv wie negativ bewertet werden. Zu ihren bemerkenswerten und sie heraushebenden Charakteristiken gehören unter anderem Herkunft und Geburt (bei Artus dient Merlins Magie als Unterstützung seiner Zeugung), eine Jugend im Verborgenen, die in eine außerordentliche Tat mündet (das Schwert im Stein), Tapferkeit im Kampf, aber auch das tragische Ende (Zerfall der Tafelrunde und Artus’ Fall). Der amerikanische Literaturwissenschaftler Joseph Campbell (1904–1987) ging in seiner umfangreichen Untersuchung The Hero with a Thousand Faces (1949, »Der Heros in tausend Gestalten«) den weltweiten Grundzügen von Heldenfiguren nach und entwickelte daraus eine Art von »Monomythos«. Seine Erkenntnisse haben sich sogar Drehbuchschreiber und Regisseure Hollywoods zunutze gemacht: In der Star-Wars-Reihe erfüllt etwa Luke Skywalker etliche der von Campbell formulierten heroischen Eigenschaften.
Sie finden sich auch in der Artusgestalt, wobei der König Britanniens besondere Züge annimmt. Denn recht bald entwickelt er sich von der Heldenfigur zum idealen König, der mit seinem Hof den anderen aktiveren Heroen der Tafelrunde einen angemessenen Rahmen bietet. Als idealer Herrscher nimmt er zudem die Rolle eines gebändigten Helden an, der seine persönlichen und heroischen Antriebe hinter die Gesetzte seines Reiches stellen muss – so etwa, wenn er sich außerstande sieht, selbst für Ginevras Ehre und Leben zu kämpfen. Ungebändigt gibt er sich hingegen als König mit einem geradezu imperialen Machtanspruch, demzufolge er viele Länder Europas erobert. Dabei erweist sich Artus mehr als Kriegs- denn als Friedensherrscher. Aber die von ihm gleichsam dominierte wie symbolisierte Artuswelt kennt bekanntlich eine Unzahl von Helden in Rittergestalt, und je nachdem darf man auch ihre weiblichen Figuren zum Heldenpersonal zählen.
Sie alle sind in ihren literarischen Überlieferungen im Mittelalter entstanden, im Jahrtausend zwischen 500 und 1500. Im hohen Mittelalter lassen sich die populären Heldengeschichten in mehreren Gruppen bündeln, die mal höfisch, mal archaisch, mal historisch geprägt sind. So unterschied man in der dominierenden französischen Kultur zwischen der Matière de Rome (dem römischen Stoffkreis), die Helden der antiken Überlieferung in ihren Mittelpunkt stellt, insbesondere den Kampf um Troja, Aeneas und die Gründung Roms sowie die Taten Alexanders des Großen, und der Matière de France (dem französischen Stoffkreis), deren Stoff auf Karl den Großen zurückführt und seinen treuen Gefolgsmann Roland. Als drittes kommt die Matière de Bretagne hinzu, also der bretonische bzw. britische Stoffkreis um König Artus, die Ritter der Tafelrunde und den Gral. Eine barbarischere Welt scheinen die irischen Helden Cú Chulainn und Finn mac Cumaill zu repräsentieren, deren ursprüngliche Handlungsräume in den Stammesgesellschaften des vorchristlichen Irlands zu finden sind. Walisische Heroengeschichten changieren zwischen diffusen Diesseits- und Jenseitswelten, die durchaus Anklänge an die Artuswelt des europäischen Kontinents aufweisen. Germanische Heldensagen stellen im Großen und Ganzen einen eigenen Stoff dar, der in Deutschland und Skandinavien Verbreitung fand. Dort stoßen wir auf die Geschichten von den Nibelungen um markante Heroen wie Siegfried (Sigurd im Isländischen), König Gunther, Hagen und die bemerkenswerten Heldinnen Kriemhild und Brünhild, aber auch den umfangreichen Sagenstoff um Dietrich von Bern. Als Kuriosum sei das einzige germanische Heldenepos Beowulf erwähnt, in angelsächsischer Sprache um das Jahr 1000 niedergeschrieben. Die Geschichten des Helden Beowulf sind in Südschweden und auf den dänischen Inseln angesiedelt. Ihren Kern mögen jene Angeln und Sachsen nach England mitgebracht haben, die König Artus so erbittert bekämpft hat, denen aber trotz seiner Siege letztendlich die Eroberung großer Teile der Britischen Inseln gelang.
Zurück zu den Wurzeln: Die dunklen Jahrhunderte
Ob heroische Gestalten auf mythologische Vorstellungen oder Schemata der Märchen zurückgeführt werden können, ist umstritten. Größere Sicherheit herrscht hinsichtlich ihrer historischen Wurzeln. Bereits antiken Helden unterstellte man eine mehr oder weniger reale Verknüpfung mit der Geschichte, so im archaischen Griechenland. Für Alexander den Großen (reg. 336–323 v. Chr.) erübrigt sich die Frage, ist er doch einwandfrei als historische Person bezeugt, die als Ausgang fabelhaften Gestaltens wirkte. Den irischen Sagen kann man nicht mehr als die Vorlage früher Stammeskriege auf der grünen Insel unterstellen, für das Wissen authentischer Personen fehlt schlichtweg die Überlieferung. Das Beowulf-Epos der Angelsachsen wird in seinen historischen Ursprüngen recht glaubwürdig mithilfe anderer Überlieferungen in die Zeit um 500 n. Chr. datiert. Selbstredend gilt das nicht für den Riesen- und Drachenkampf des Helden, der später um den geschichtlichen Kern fabuliert wurde. Erheblich glaubwürdiger wirkt hingegen die in Rolandsliedern gefeierte Heldengestalt aus dem Umfeld Karls des Großen, die als dessen Paladin Roland bezeugt ist, der 778 im Kampf fiel. Für manche germanischen Helden konnten historische Vorbilder gefunden werden, so im Burgundenkönig Gunther des Nibelungenliedes ein realer burgundischer König Gundaharius († 436) oder in Brünhild die fränkische Königin Brunichildis († 613). Insbesondere für Dietrich von Bern ist als Vorbild zweifelsfrei der ostgotische Herrscher Theoderich der Große (reg. 493–526) festzumachen. Ob der Drachenkämpfer Siegfried hingegen historische Wurzeln hat, ist mehr als umstritten. Für die Erforschung der Heldensagen ist nicht nur die Identifizierung mit realen historischen Personen ein Problem, sondern auch, wie sich um eine solche Gestalt neben der Aufnahme in historiografischen Chroniken eine Sage gebildet hat. Jedenfalls greifen Heldensagen das Geschehen einer Epoche auf, das für die jeweilige Gesellschaft von herausragender Bedeutung war oder später doch zumindest so angesehen wurde. Eine solche Zeit wird als Heroic Age bezeichnet, als heroisches Zeitalter, dem die Nachfahren eine große Bedeutung beimaßen. Für die Griechen war das die archaische Ära um den Trojanischen Krieg (dessen historische Authentizität umstritten ist). Die Isländer sahen die Zeit nach der Besiedlung ihrer Insel als ihre erinnerungswürdige Geschichte an (10. Jahrhundert) und schrieben 200 Jahre später darüber Isländersagas. Für die germanische Heldensage gilt die sogenannte Völkerwanderungszeit (375–568) als heroische Epoche, was sich in Migrationsbewegungen und Reichsbildungen ausdrückt, deren Geschehen personalisiert und damit an Taten und der Tragik des Einzelnen festgemacht wird.
Wie lässt sich die Gestalt des Königs Artus in diesem Zusammenhang fassen? Historischer Kontext und Realitätsbezug dieser literarischen Figur wurden schon in der mittelalterlichen Überlieferung angesprochen und diskutiert. Denn für Britannien und seine Monarchie hatte sie außer der sagenhaft-fabelhaften eine exponierte politische Bedeutung. Diese findet sich bereits in Geoffrey of Monmouths Historia regum Britanniae (»Geschichte der Könige Britanniens«, ca. 1136), mit der der »Hype« um König Artus begann. Prominente Förderer fand dieses Geschichtswerk in der normannischen Oberschicht, die ihre Herrschaft gegen das angelsächsische England damit legalisieren und weiter etablieren wollte (vgl. Kap. 4). Der britische Artus diente dabei als exemplarischer Held im Kampf gegen die eingewanderten Angelsachsen. Die Sagenthematik des wiederkehrenden Artus und die Historisierung des Königs gingen bereits im 12. Jahrhundert Hand in Hand: So erzählt etwa der Benediktiner Hermann von Laon († 1147, auch Hermann von Tournai) in seiner Sammlung von Marienwundern De miraculis Sanctae Mariae Laudunensis