Arnulf Krause

König Artus


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20 Kilometer von König Artus’ angeblichem Geburtsort Tintagel entfernt lag: Die einheimischen Briten (Britones) hätten sich der Behauptung eines Mannes mit einem lahmen Arm angeschlossen, wonach König Artus noch am Leben sei. Dies hätten die anwesenden Franzosen (Franci), nämlich Kanoniker aus Laon, bezweifelt. Diese Auseinandersetzung mag dem regionalen Volksglauben Cornwalls geschuldet gewesen sein. Einige Jahrzehnte später ging man von historischen Fakten aus, was im Fund des angeblichen Grabes von Artus und Ginevra einen Niederschlag fand – und das in Glastonbury in Somerset, das für Artus und seine Welt bis heute von größter Bedeutung ist. Dort soll man auch ein Bleikreuz mit einer rätselhaften Inschrift gefunden haben: Hic iacet sepultus inclitus rex Arturius in insula Avalonia, »Hier liegt der berühmte König Artus auf der Insel Avalon begraben« (Wolf 2009, 36).

      Ob diese lateinische Inschrift auf irgendeine Art und Weise mit jener Steinplatte korrespondiert, die in Tintagel gefunden wurde, dem 6. Jahrhundert zugeschrieben wird und möglicherweise den Namen des Königs überliefert (vgl. Kap. 8)? Wenigstens führt uns diese in jene Zeit der britischen Geschichte, die später unter den Inselkelten als Heroic Age gesehen wurde, nämlich das 5. und 6. Jahrhundert. Für die Geschichtsschreibung gilt diese Epoche bis heute als die der Dark Ages (»Die dunklen Jahrhunderte«, auch als sogenanntes Dark Age). Die Bezeichnung verdankt sich der Armut an schriftlichen Quellen, was die Verortung eines Königs Artus in dieser Zeit umso schwieriger macht und Spekulationen und mehr oder weniger gewagten Theorien zu einem historischen Vorbild Tür und Tor öffnet.

      Die vorliegende Monografie schließt sich der vorherrschenden Meinung an, der sagenhafte König Artus sei (in einem Kern zumindest) auf eine historische Person der Dark Ages zurückzuführen und – womöglich noch wichtiger – auf grundlegende Verhältnisse und vielleicht sogar einzelne Ereignisse des 5. und 6. Jahrhunderts. Für den einzelnen Leser gilt es abzuwägen, was interessanter, was faszinierender ist: die fiktive Gestalt einer Sagenfigur mit mythischen, märchenhaften und geradezu okkulten Attributen oder ihr vermutetes fernes reales Vorbild, das mit diffusen Konturen die Herausforderungen seiner Zeit zu bestehen versuchte.

      Eine Anmerkung zum Namensgebrauch: Das Buch verwendet die im Deutschen und Französischen übliche Form Artus, während es im Englischen Arthur heißt. Diese Variante taucht in Zitaten und in entsprechendem Kontext auf. Gemeint ist aber immer der famosus rex Arthurus, »der berühmte König Arthur«, wie ihn Hermann von Laon lateinisch um 1140 und hier frei zitiert nennt: ARTUS.

       Artus als Buchdruck – Thomas Malory und William Caxton

      Wenn sich Artus-Verfilmungen auf Thomas Malory beziehen, entspricht dies nicht ganz der historischen Wahrheit. Denn ohne den ersten englischen Buchdrucker William Caxton (ca. 1420–1491) wäre Malorys Werk kaum bekannt. Erst 1934 entdeckte man die bislang einzige erhaltene Handschrift, Caxtons Druck von 1485 sorgte hingegen für große Verbreitung und begründete damit seinen bis heute anhaltenden Ruhm. Auch für den üblich gewordenen französischen Titel Le Morte Darthur (»Der Tod Arthurs«) zeichnet er verantwortlich – der Titel bezieht sich auf das Ende des Buches, wird aber seinem Umfang nicht gerecht, der letztlich die »Summe des gesamten Artuswissens« (Wolf 2009, 87) darstellt. Malory hatte für das Werk eine passende Bezeichnung vorgesehen: The hoole book of Kyng Arthur and of his noble knyghtes of the Rounde Table (im ungewohnten Schriftenglisch des 15. Jahrhunderts, »Das ganze Buch von König Arthur und seinen edlen Rittern der Tafelrunde«). Caxtons Entscheidung zugunsten einer kurzen und prägnanten Griffigkeit dürfte allerdings zum Erfolg der Artusgeschichte beigetragen haben.

      In seiner Vorrede zum Buch spricht Caxton die Problematik der historischen Wahrheit an und wiederholt etwa als Argument, »es habe ein solcher Arthur niemals gelebt, und alle Bücher über ihn seien nur erdichtet und bloße Erfindungen, weil einige Chroniken nicht über ihn berichteten noch irgendetwas über ihn und seine Ritter erwähnten« (Sir Thomas Malory 1977, 10). Doch dies lässt er nicht gelten und führt Gegenbeweise an, so das erwähnte Grabmal im Kloster Glastonbury, die Runde Tafel von Winchester, Gawains Schädel in der Burg von Dover, ebenso Lanzelots Schwert und andere Dinge. Zudem hätte man von Artus Spuren in Wales gefunden, »in der Stadt Camelot, die großen Steine und wunderbare Metallarbeiten, die unter dem Erdboden liegen, und königliche Gewölbe, die mehrere jetzt Lebende gesehen haben« (ebd., 11). In der Westminsterabtei in London fände sich am Schrein des heiligen Edward der Abdruck eines Siegels in rotem Wachs, von Kristall umschlossen, das unzweifelhaft dem Herrscher Artus zuzuschreiben sei, nenne und bezeichne ihn doch die Inschrift mit »Patricius Arthurus, Britannie, Gallie, Germanie, Dacie, Imperator« (ebd., 11) und damit als Kaiser und Beherrscher eines Großteils Europas. Die Beweiskraft derartiger mittelalterlicher Befunde und Requisiten mag für uns nicht schlagkräftig sein – die Epoche gilt immerhin als Glanzzeit der Urkundenfälschung –, für Caxton stand die historische Existenz des Artus außer Zweifel; denn es »[…] kann kein Mensch vernünftigerweise leugnen, daß es einen König dieses Landes namens Arthur gegeben hat« (ebd., 11).

      Bevor wir uns weiter mit Caxtons Druck beschäftigen, sei ein Blick auf dessen Vorlage und ihren Verfasser geworfen und damit auf jene Handschrift, »die Sir Thomas Malory aus gewissen französischen Büchern zusammengestellt und ins Englische übertragen hat« (ebd., 12). Von diesem belesenen englischen Adligen ist im Grunde recht wenig bekannt, zumal die Quellen des 15. Jahrhunderts sechs Männer dieses Namens überliefern. Die Forschung hat sich mittlerweile für jenen Thomas Malory als glaubwürdigsten Verfasser des Morte Darthur entschieden, der aus dem mittelenglischen Warwickshire stammte, ein Gefolgsmann des Earl of Warwick war und etwa von 1410 bis 1471 lebte. Seine Vita scheint bewegt gewesen zu sein: Als Adliger pflegte er ein höfisch-ritterliches Leben, das von der Jagd und Turnieren geprägt wurde, von dem er aber auch offensichtlich mehrere Jahre in Haft verbrachte. Nicht zuletzt in diesen Gefängnisjahren widmete er sich seinem Artusroman. Dafür griff der anscheinend passabel französisch sprechende Edelmann auf jene Werke zurück, die Caxton in seiner Vorrede erwähnt und die wir noch kennenlernen werden (vgl. Kap. 4). So entstand im Laufe der Jahre eine lose Folge von Prosatexten, die er zu acht Romanzen gliederte und wohl um 1470 kurz vor seinem Tod abschloss. Die Ereignisse um den glorreichen, aber letztlich tragisch endenden König Artus mit dem Zerfall seines Camelot-Reiches dürften ihm wie ein Spiegelbild der eigenen Zeit erschienen sein.

      Denn mit dem Ende des Hundertjährigen Krieges mit Frankreich (1337–1453) verlor England fast sämtliche Besitzungen auf dem Kontinent. Der praktisch regierungsunfähige König Heinrich VI. (reg. 1422–1461, 1470/71) konnte den politischen Zerfall nicht aufhalten, weswegen der lokale Adel an Macht gewann. Daraus entwickelten sich die über drei Jahrzehnte währenden »Rosenkriege« (Wars of the Roses, 1455–1485) zwischen den beiden den Thron beanspruchenden Häusern Lancaster (mit dem Feldzeichen einer roten Rose) und York (Feldzeichen einer weißen Rose). Der englische Adel griff abwechselnd zwischen beiden Kriegsparteien in die Kämpfe ein, die von äußerster Härte geprägt wurden und in denen Massaker, Hinrichtungen und Morde üblich waren. Am Ende war ein Großteil des Adels vernichtet – einen sinnfälligen Ausdruck fanden die blutigen Auseinandersetzungen in der Schlacht von Bosworth, in der König Richard III. (reg. 1483–1485) den Tod fand (seit William Shakespeares Drama The Tragedy of King Richard the Third (1597) ist er als angebliches Scheusal bekannt) und das Haus Tudor mit Heinrich VII. (reg. 1485–1509) die neue Dynastie stellte.

      Fast zeitgleich erschien Caxtons Artusbuch, das demzufolge das Publikum nicht nur historisch und sagenhaft, sondern in der Grundstimmung sogar aktuell gelesen haben dürfte. Der mittlerweile verstorbene Thomas Malory hatte die Entwicklung der Geschichte mit dem Verfall der ritterlichen Tugenden und der Auflösung der Tafelrunde verbunden und damit eine Stimmung des Zweifels und schließlich der Hoffnungslosigkeit erzeugt. Misstrauen und Verrat riefen die Kämpfe unter den Artusrittern hervor und schufen ein Abbild der zeitgenössischen Rosenkriege. Andererseits bot Malory eine flüssig geschriebene und gut lesbare Prosa, die aus zahlreichen Abenteuergeschichten in einer sowohl höfischen wie auch geheimnisvollen und