Albert Wendt

Tok-Tok im Eulengrund


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die Einrichtung der Hütte: Tisch und Stuhl, ein schmaler Schrank, ein eisernes Bettgestell mit Strohsack und einer Decke am Fußende. Sonst standen da nur noch eine Schüssel und zwei Eimer, einer mit klarem Wasser gefüllt und ein leerer Eimer. Aha, das also war mein Bad. Sich in die Schüssel stellen und kaltes Wasser über den Kopf schütten, so sah also meine Dusche aus. Dann gab es nur noch eine Werkzeugkiste und eine Futterkiste. Mehr war da nicht. Ich betrachtet meine Essensvorräte in der Futterkiste: Haferflocken, Kartoffeln; dazu Salz, Öl, Knoblauch und Zwiebeln. Sicher war das meine Wochenration.

      Ich setzte mich an den Tisch. Ich zog die Laterne heran, legte mein Notizbuch davor und machte auf einer leeren Seite drei Kreuze. Neben die Kreuze schrieb ich: Tor, Bahnhof, Kopfstand. Mit Wellenlinien, das sollte „Pfad“ bedeuten, verband ich die Kreuze. Das war nicht viel. Trotzdem beruhigte die Zeichnung. Ich malte einen Kringel um den „Kopfstand“ und sagte mir: „Hier also bin ich.“ Dann zeichnete ich ein Strichmännchen und drei Strichweiblein. Das erste Weiblein bekam einen Stock, das zweite Rundungen und das dritte eine Blume auf den Kopf. Das Strichmännchen verzierte ich mit Dach und Kreis, das sollten Kapuze und Brot sein. Ich schlug eine neue Seite auf. Ich stellte mir drei Aufgaben und schrieb sie in Druckbuchstaben übers ganze Blatt.

      ERSTENS. ROSE NAHE SEIN!

      ZWEITENS. KINDER VERJAGEN!

      DRITTENS. GEHEIMNIS DER FRAUEN ERGRÜNDEN!

      So schuf ich erste Ordnung im Kopf.

      Der Wind schabte Zweige an der Blechwand. Ich hörte Froschquaken und seltsame dunkle Rufe. Eulen? Ja, das waren Eulenrufe. Der Ort wird nicht umsonst Eulengrund heißen. Dann hörte ich ein beunruhigendes Tapsen. Das waren eindeutig Schritte. Die Schritte kamen draußen immer näher an die Blechwand. Manchmal war es ein Trippeln, manchmal verharrten die Schritte, manchmal entfernten sie sich, manchmal kamen sie zurück. Es mussten mehrere Schleicher sein, die sich vor meinem Blechhaus bewegten. Es schien, als kämen immer neue hinzu, als würde sich da draußen eine größere Bande versammeln. Ich blies die Kerze aus und tastete mich zur Tür. Ich wartete. Die Wolken vor dem Mond waren mal locker, mal dichter. Endlich war die Nacht beinahe schwarz und ich schob mich lautlos durch die halb geöffnete Tür. Draußen drückte ich den Rücken gegen das Blech und glitt so an der Rückseite der Hütte dahin. Die Wolken gaben den Mond frei. Zum Glück beschien er die Vorderseite des Containers. Ich blieb auf der Rückseite im tiefen Schatten.

      Behutsam entfernte ich mich nun von der Blechwand. Schritt für Schritt tastete ich mich vorwärts. In weitem Bogen gelangte ich so zur Vorderseite der Blechhütte. Ich fand ein Versteck in einem dichten Gebüsch, durchzogen mit Brombeerranken und hohem Kraut. Ich drückte mit dem Rücken eine Höhle in das undurchdringliche Geflecht und hatte eine sichere Beobachtungsstelle, den Rücken gedeckt und gute Sicht auf den mondbeschienenen Platz vor der Hütte. Selbst unsichtbar, überschaute ich das Gelände wie aus dem behaglichen Dunkel einer Loge die beleuchtete Theaterbühne. Das Spiel konnte beginnen. Kommt hervor, ihr Schleicher! Nur Mut, ihr Banditen, stürmt die Hütte!

      Die Banditen kamen, doch sie stürmten nicht. Sie hüpften vergnügt umher. Es waren Wildkaninchen. Ihre kurzen Hüpfer hatte ich für Schritte gehalten. Ich schämte mich etwas, aber nur kurz. Ich bin ein Großstädter. Ich kann nun mal nicht wie ein Wilddieb lauschen. Ich betrachtete vergnügt das kleine Kaninchenfest im Mondenschein. Warum ich in meinem Versteck unbeweglich stehen blieb, wusste ich selbst nicht.

      Die ausgelassene Stimmung der Wildkaninchen ist doch recht flüchtig und ihre Tänze sind kurz. Sie erstarrten plötzlich in ihren Bewegungen, spitzten – und das wortwörtlich – ihre Ohren, und wie mit dem Besen von der Bühne gefegt, so waren sie plötzlich verschwunden. Jetzt wird wohl eine Eule auf die Bühne fliegen, oder ein Fuchs hat seinen Auftritt, dachte ich. Doch kein Kaninchenjäger kam aus dem Dunkel. Aus dem Dunkel kam ein kleiner Mensch. Genauer gesagt, es kam der Schatten eines kleinen Menschen. Und der Schatten kam auch nicht so einfach daher, der Schatten tanzte aus dem Dunkel hin zu der schiefen Blechhütte. Das war ein kleiner Mann in einem eng anliegenden schwarzen Trikot mit einer schwarzen Skimaske. Er hatte einen breiten Gürtel um, an den eine Werkzeugtasche geschnallt war. Solche Taschen haben Handwerker, die in großer Höhe arbeiten. Nah an der Hütte änderte der Schatten seine artistisch schnellen und eleganten Tanzschritte und näherte sich langsam auf Zehenspitzen einem der faustgroßen Gucklöcher. Er hielt inne und drehte sich um. Sein Blick tastete gründlich die Umgebung der Hütte ab. Als er in meine Richtung blickte, war mir, als verweilten seine Augen etwas. Ich drückte mich rückwärts tiefer in die schwarze, stachlige Höhle. Der kleine Kerl wandte sich wieder der runden Öffnung im Blech zu. Er spähte lange in das Innere der Hütte. Dann drückte er sein Ohr an die Hüttenwand. Ein Fauchen in der Nähe und ein Jammerton, Geräusche einer erfolgreichen Kaninchenjagd, schreckten den kleinen Kerl auf und er verschwand in katzenhaften Sprüngen. Das geschah in wenigen Sekunden. Diese Erscheinung war so unwirklich, so schwerelos, so katzenhaft geschmeidig, dass ich vor mich hin flüsterte: „Ein Kobold.“

      Mein Gehirn trübte ein Gespensternebel.

      „Es gibt keine Kobolde!“, sagte ich mir, als riefe ich mich zur Ordnung. „Die Werkzeugtasche war nicht aus einem Märchen, die war aus einem Baumarkt. Kobolde gehen nicht in Baumärkte und kaufen dort Werkzeugtaschen.“

      Ich verließ mein Versteck. Ich ging offen über den freien Platz zurück in mein Bauarbeiterhotel „Zum Kopfstand“. Ich ließ die Tür halb geöffnet. Ich zündete die Kerze in der Laterne an. In mein Notizbuch zeichnete ich neben das Kreuz „Kopfstand“ ein tanzendes Strichmännchen. Darunter schrieb ich „Kobold“. Ich schloss mein Notizbuch und öffnete die Futterkiste. Ich fand einen Topf und einen Spirituskocher und kochte mir Pellkartoffeln. Ich hatte eine heiße Kartoffel im Mund, da knarrte die Tür.

      „Rose kommt zurück“, dachte ich froh. Ich schluckte die heiße Kartoffel, denn man kann nicht mit einer heißen Kartoffel im Mund selig „Rosalinde!“ hauchen. Ich hauchte nicht „Rosalinde“, ich sagte:

      „Oh weh, bist du hässlich.“

      Es war also nicht Rosalinde, die sich durch den Türspalt zwängte. Es war eine magere Hündin. Das Tier blieb halb in der Tür und starrte auf meine Kartoffeln.

      „Komm rein“, sagte ich und fügte schnell hinzu, „aber nicht zu nah.“

      Das Tier kam herein, kam viel zu nah, saß gespannt vor dem Tisch und saugte sich voll Kartoffelduft. Ich sah einen kahlen Fleck auf dem Hunderücken. Die kahle Stelle war genauso groß und genauso kreisrund wie meine kahle Stelle auf dem Kopf.

      „Räude“, stellte ich fest, „wirst wohl Babarina heißen.“ Ich zerteilte die Kartoffeln, damit sie schneller abkühlten. „Warte. Ich muss erst pusten. – Jetzt geht’s.“

      Ich warf ihr die Stücke zu. Sie schnappte die Viertel aus der Luft und schlang sie ohne Bewegung der Kiefer hinunter. Es tropfte aus den Lefzen. Als die Hündin die gute Hälfte meines Abendbrots verschlungen hatte und ich mich nun auch am Mahl beteiligen wollte, kam das erste Geräusch aus dem Tier. Das war ein bettelnder Fiepton.

      „Da, nimm, das Letzte, mehr gibt’s nicht. – Nein, das Brot wird nicht angerührt. Ich weiß, es duftet. Und nun verschwinde! Zieh ab! Zieh Leine! Verzieh dich! Schieß in den Wind! Ab durch die Mitte! Geh deiner Wege. Du hast deine Probleme, ich habe meine. – Nein, da kannst du Augen machen, wie du willst. Ich falle darauf nicht rein. Ein rührender Ausdruck in den Augen kostet keine Mühe und schon habt ihr dummen Hunde Unterkunft und drei Mahlzeiten täglich. Nicht mit mir. Du ziehst hier nicht ein. Punkt. Basta. Tok! Tok!“

      Ich machte ein strenges Gesicht, hob den Arm und zeigte auf die Türspalte.

      „Ich habe meine Pflicht als Gastgeber erfüllt und nun geht jeder wieder seiner eigenen Wege. War mir ein Vergnügen, komm gut nach Hause.“

      Das hässliche Tier musste früher einmal in guten Verhältnissen gelebt haben. Es ließ den Kopf sinken und trottete mit eingeklemmtem Schwanz zur Tür. Es knarrte ein wenig, denn der Hundebauch war nun doch einige Millimeter breiter.

      Ich aß zu Ende, räumte auf, betrachtete besorgt meine Essensvorräte. Das runde Brot des heiligen Mannes blieb unberührt, obwohl