Selbst aus dem Schattenreiche kehrt
Des Vaters schreckenvoll Gespenst.
Gertrude von Wyoming
Eine Stunde lang, nachdem Luise Grant von Miss Temple in der bereits erwähnten Lage verlassen worden war, harrte sie in fieberhafter Angst auf die Rückkehr ihrer Freundin. Als jedoch nach Ablauf dieser Zeit Elisabeth nicht wiedererschien, nahmen Luises Besorgnisse in einem Grade zu, der ihre aufgeregte Phantasie jede Gefahr, die der Wald bergen mochte – die wirkliche ausgenommen, – heraufbeschwören ließ. Der Himmel hatte sich allmählich umdüstert, und ungeheure Rauchwolken ergossen sich über das Tal; Luises Gedanken kehrten jedoch immer zu den wilden Tieren zurück, ohne daß sie sich etwas von der wahren Sachlage träumen ließ. Sie hatte sich am Saum der niedrigen Fichten und Kastanien an der Außenseite des Waldes und unmittelbar über dem Winkel aufgestellt, wo die Straße von der geraden Richtung nach dem Dorf abbog und sich seitwärts bergan zog. Sie konnte daher nicht nur das Tal, sondern auch den Weg unter sich überblicken. Die wenigen Vorübergehenden, deren sie ansichtig wurde, waren in ernste Gespräche vertieft und erhoben ihre Augen häufig nach dem Berg, bis sie endlich auch Leute ihre Höfe verlassen und gleichfalls in die Höhe schauen sah. Beunruhigt durch solche ungewöhnliche Bewegungen, zögerte sie, ihren Posten zu verlassen, obgleich sie sich auch zu bleiben fürchtete. Da wurde das Mädchen durch die dumpfen, knarrenden, aber vorsichtigen Tritte eines Mannes aufgeschreckt, der durch das Gebüsch herankam. Sie wollte eben fliehen, als Natty aus dem Versteck auftauchte und an ihre Seite trat. Der alte Mann lachte, während er ihr freundlich die vor Furcht bebende Hand schüttelte.
»Ich freue mich, Sie hier zu treffen, mein Kind«, begann er, »denn der Rücken des Berges steht in Flammen, und es würde gefährlich sein, jetzt hinaufzugehen, bis das Feuer darüber hinweggeleckt und das tote Holz aufgezehrt hat. Ich traf da oben einen einfältigen Mann – einen Kameraden von dem Schufte, welcher mich in all diese Ungelegenheiten gebracht hat –, der auf der Ostseite nach Erz gräbt Ich sagte ihm, die unachtsamen Wichte, die einen erfahrenen Jäger nach Einbruch der Dunkelheit in den Wäldern zu fangen gedachten, hätten ihre Holzfackeln ins Gebüsch geworfen, und es würde wie Werg aufbrennen; er solle daher den Berg verlassen. Er war jedoch so auf sein Geschäft erpicht, daß ihn keine Gewalt von der Stelle zu bringen vermochte. Wenn er nicht verbrannt ist und sich in der von ihm selbst aufgeworfenen Grube begraben hat, so muß er eine Salamandernatur haben. Ei der Tausend, was fehlt dem Kind! Sie gebärden sich ja so scheu, als ob Sie noch mehr Panther sähen! Ich wollte, es wären deren noch etliche vorhanden; ich könnte damit meine Schuld schneller abbezahlen als mit den Bibern. Aber wo ist das gute Kind eines schlimmen Vaters? Hat sie vergessen, was sie einem alten Mann versprochen?«
»Auf dem Berg! Auf dem Berg!« schrie Luise entsetzt. »Sie sucht Euch auf dem Berg!«
Natty bebte bei dieser unerwarteten Nachricht um etliche Schritt zurück.
»Herr, Gott im Himmel, sei ihr gnädig! Sie ist auf dem Visionsberg, der im gegenwärtigen Augenblicke nur ein Flammenmeer bildet. Kind, wenn Sie die Arme lieben und einen Freund zu finden hoffen, wenn er Ihnen am meisten nottut, so eilen Sie in das Dorf und machen Sie Lärm! Eine gehörige Anzahl Menschen vermag das Feuer vielleicht zu bekämpfen, und so bleibt doch noch eine Hoffnung. Fliegen Sie! Ich bitte, fliegen Sie! Sie dürfen sich nicht einmal Zeit lassen, Atem zu schöpfen.«
Lederstrumpf hatte kaum diese Einschärfung erlassen, als er im Gebüsch verschwand, und Luise sah ihn letztmals, wie er den Berg hinaneilte, und zwar mit einer Hast, wie sie nur Männern zu Gebote steht, die an derartige Anstrengungen gewöhnt sind.
»Hab’ ich Sie gefunden?« rief der alte Mann, als er sich durch den Rauch Bahn gebrochen. »Gott sei gelobt, daß ich Sie gefunden habe! Doch folgen Sie mir; jetzt ist keine Zeit zum Schwatzen.«
»Aber mein Kleid!« entgegnete Elisabeth. »Ich darf mich darin der Flamme nicht weiter nähern.«
»Ich dachte wohl an diese luftigen Dinger«, rief Natty, indem er die Falten einer hirschledernen Decke löste, die er um den Arm geschlungen trug, und das Mädchen auf eine Weise darin einhüllte, daß ihr ganzer Körper geschützt war. »Jetzt folgen Sie mir, unser aller Leben steht auf dem Spiel!«
»Aber John! Was soll aus John werden?« rief Edwards. »Können wir den alten Krieger dem sicheren Tode preisgeben?«
Die Augen Nattys folgten der Richtung von Edwards Finger und erblickten den Indianer, der noch immer wie früher dasaß, obwohl sich bereits die Erde unter seinen Füßen im Feuer verzehrte. Der Jäger näherte sich unverzüglich der Stelle und sagte in der Sprache der Delawaren:
»Auf und fort, Chingachgook! Willst du hier bleiben und verbrennen wie ein Mingo am Pfahl? Die Mährischen Brüder haben dich hoffentlich etwas Besseres gelehrt. Gott steh mir bei, das Pulver ist zwischen seinen Beinen losgegangen und hat die Haut seines Rückens geröstet. Willst du kommen, frage ich? Willst du folgen?«
»Warum sollte Mohegan gehen?« erwiderte der Indianer düster. »Er hat die Tage eines Adlers gelebt, und sein Auge wird trübe. Er sieht in das Tal, er sieht auf das Wasser, er sieht in die Jagdgründe, – aber er sieht keinen Delawaren. Jeder hat eine weiße Haut. Meine Väter rufen aus dem fernen Lande: ›Komm!‹ Meine Weiber, meine jungen Krieger, mein Stamm, – alles ruft: ›Komm!‹ Der Große Geist sagt: ›Komm!‹ Laßt Mohegan sterben.«
»Aber du vergißt deinen Freund«, rief Edwards.
»Es ist nutzlos, zu einem Indianer zu sprechen, wenn er den Tod vor Augen hat, Junge«, unterbrach ihn Natty, indem er die Streifen der Decke ergriff und mit wunderbarer Gewandtheit den leidenden Häuptling auf seinen eigenen Rücken band. Dann wandte er sich um, und mit einer Kraft, die nicht allein seinen Jahren, sondern auch seiner Bürde Trotz zu bieten schien, ging er in derselben Richtung, aus welcher er gekommen war, voran. Kaum hatten sie die Terrasse verlassen, als einer der abgestorbenen Bäume, der schon seit einer Minute gewankt, auf die Stelle, wo sie eben gestanden hatten, stürzte und die Luft mit seinen Funken erfüllte.
Ein solches Ereignis war dazu angetan, die Schritte der Entweichenden zu beschleunigen, die jetzt Lederstrumpf mit einer Hast, wie sie der Augenblick erforderte, folgten.
»Tretet auf den weichen Grund«, rief er, als sie von dem Gewölk so umhüllt waren, daß ihnen der Gesichtssinn nur wenig half, »und haltet euch in dem weißen Rauch! Schling dies Fell fest um sie, Junge; sie ist ein Schatz, wie so leicht nicht wieder einer gefunden wird.«
Der Anweisung des Jägers gehorsam, folgten die beiden seinen Tritten, und obgleich der enge Pfad, der die Windungen der Quelle andeutete, durch brennende Stämme und fallende Zweige führte, so fanden sie doch glücklich einen Ausweg. Nur ein durch lange Gewohnheit mit den Wäldern vertrauter Mann konnte diese Richtung durch einen Rauch auffinden, in dem kaum zu atmen und fast nichts zu sehen war. Nattys Erfahrung brachte sie jedoch zu einer Öffnung in dem Felsen, wo sie mit geringer Mühe zu einer andern Terrasse gelangten und in einer leidlich reinen Atmosphäre wieder auftauchten.
Edwards und Elisabeths Empfindungen, als sie diesen Ort erreichten, kann man sich vielleicht vorstellen, aber nicht so leicht beschreiben. Niemand schien jedoch entzückter als ihr Führer, der – immer noch mit Mohegan auf dem Rücken – sich umwandte und mit seinem eigentümlichen Lachen sprach:
»Ich wußte, daß es des Franzosen Pulver war, Mädchen; denn es ging alles mit einemmal los, während das grobe Korn wohl eine Minute lang sprüht. Die Irokesen hatten nicht das beste Pulver, als ich unter Sir William gegen die Kanadastämme zu Felde zog. Hab’ ich Euch die Geschichte schon erzählt, Junge? – Ich meine das Scharmützel mit – –«
»Um Gottes willen, erzählt mir jetzt nichts, Natty, bis wir ganz in Sicherheit sind. Wo gehen wir zunächst hin?«
»Ei, wohin sonst, als auf die Felsenplattform über der Höhle; Ihr werdet dort sicher genug sein. Oder wenn Ihr allenfalls Lust habt, so können wir auch hineingehen.«