Lisbeth Pahnke

Britta und die Pferde


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sich mit ungemindertem Appetit über den Hafer her. Aber Siboney. Rundlich war sie nie gewesen. Im Gegenteil. Ich kannte kein knochigeres Fohlen als Siboney. Aber sie gehörte mir. Ich liebte sie. Ich hoffte immer … Und nun stand sie da mit hängendem Kopf. Sie sah erbärmlich aus. Der Husten erschütterte ihren abgemagerten Körper. Nahrung verweigerte sie. Ich durfte die Entscheidung nicht länger hinausschieben …

      Wir waren gleich zu Hause. Zu Hause auf der Reitschule. Billy überquerte gerade einen kleinen Graben.

      „Hilfe, mein Sattel!“ schrie Cilla plötzlich. Ich wandte mich blitzschnell um und sah gerade noch, wie sie mit dem Kopf voran im Graben landete. Sessan drehte sich mit dem Sattel, der ihm um die Ohren schlackerte, aufgeregt im Kreis. Das passierte leider nicht zum erstenmal … Sessans Sattelgurt konnte man so fest wie möglich schnallen, und nach einer Weile war er auf unerklärliche Weise wieder locker. „Ist das gemütlich im Schnee“, lachte Cilla und kletterte als Schneemann aus dem Graben.

      „Kannst du den Sattel selber wieder in Ordnung bringen?“ fragte ich.

      „Klar“, erwiderte Cilla seelenruhig wie immer.

      „Pia“, rief ich erschrocken. Lillebror streckte die Vorderbeine in die Luft und ließ sich genüßlich in den Schnee fallen. Pia lachte aus vollem Hals. Es sah ulkig aus, aber mir war heute nicht zum Lachen zumute. Ich schüttelte den Kopf und sagte: „Ihr mit euren Streichen habt mir gerade noch gefehlt. Falls du Lillebror höflich bittest, sich zu erheben, können wir vielleicht weiterreiten.“

      „Bist du heute komisch“, kicherte Lillan.

      Pia kletterte immer noch lachend auf ihr Pony, und wir schritten über die Wiesen heimwärts. Man konnte die Reitschule jetzt sehen: den Stall, das Wohngebäude, das uns als Klubhaus diente, und das kleine Häuschen, in dem ich wohnte.

      Auf einer der Koppeln galoppierte Lord Peter mit wehender Mähne und begrüßte uns wiehernd. Auf dem Übungsplatz ritt Hasse Organdie in kurzem Galopp. Vor dem Stall standen wie immer viele Neugierige herum. Es waren immer dieselben. Kicki schleppte einen Sack Sägespäne, und Thomas bastelte an seinem Auto herum.

      All das spielte sich vor meinen Augen ab. Aber ich sah es nicht. Jeder war mit irgend etwas beschäftigt – genau wie immer. Aber zum erstenmal, seit ich vor ungefähr fünf Monaten als Reitlehrerin nach Dalen gekommen war, schien es mich nichts anzugehen, schien ich nicht dazuzugehören. Wie einsam ist man doch, wenn niemand die Sorgen kennt, die einen erdrücken.

      Ich ritt auf den Hof. Ich hatte einen Entschluß gefaßt. Einen sehr schweren Entschluß.

      Was soll aus Siboney werden?

      Wir hielten vor der Stalltür und stiegen von unseren Ponys. Automatisch schnallte ich die Steigbügel hoch und brachte Billy zu seinem Platz.

      Der Stall besaß nur vier Boxen, ansonsten Verschläge. Aber er war sehr originell und gemütlich. Wir hatten in dem ehemaligen Kuhstall alles selber gemacht.

      Sonst kam ich gern in den Stall und redete lange mit den Pferden. Aber heute sattelte ich Billy so schnell wie möglich ab, überprüfte routinemäßig seine Hufe und wusch mit einem Schwamm die Sattellage aus. Billy versuchte nach mir zu schnappen, aber ich merkte es kaum. Er sah sehr lustig aus: außer einem braunen Kopf mit einer weißen Blesse und einem großen braunen Fleck auf der einen Seite war er schneeweiß.

      „Kommst du in die Sattelkammer, wenn du fertig bist?“ fragte mich Kicki, während sie Lord Peter in seine Box führte. „Wir wollen über das Luciafest reden.“

      „Kann ich, ja“, antwortete ich ohne große Begeisterung. Ach ja, das traditionelle Vorweihnachtsfest kam immer näher. Und ich hatte gar keine Lust für den Trubel, den Festumzug mit Lichterkranz und Schellengeläut.

      In der Sattelkammer roch es nach Pferden und Leder. Heute duftete es zusätzlich verlockend nach warmem Kakao, den eines der Mädchen in einer Thermosflasche mitgebracht hatte. Kicki und ich platzten mitten in eine lebhafte Diskussion hinein.

      „Natürlich muß sie reiten“, behauptete Martin, der Besitzer von Billy. „Lucia hoch zu Pferd. Etwas anderes kommt gar nicht in Frage.“

      „Ich finde, sie sollte im Schlitten sitzen“, mischte sich Cilla vorsichtig ein. „Dann können einige von uns als Heinzelmännchen mitfahren und Fackeln tragen.“

      „Nein, sie soll reiten“, widersprach Martin energisch. „Ich überlasse ihr sogar Billy …“

      „Dann scheide ich als Lucia aus“, rief Agneta. „Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich mich auf deinen verrückten Billy setze? Wenn ich Lucia werde, reite ich nur Kurre.“

      Darüber mußten alle furchtbar lachen und Thomas sagte: „Als ob das weniger verrückt wäre. Wir wollen doch keine Lucia haben, die auf einem Pferd sitzt, das mit ihr durchgeht. Das Vernünftigste ist wirklich, Lucia fährt mit dem Schlitten. Zwei reiten mit Fackeln voran und …“

      „Wer?“ riefen alle gleichzeitig.

      Kicki und ich fragten: „Und wer zieht den Schlitten?“

      „Welche Ponys dürfen denn überhaupt dabeisein?“ wollte Cilla wissen.

      „Wir nehmen doch keine Ponys für den Luciazug“, antwortete Thomas entrüstet. Aber sein Gesicht sah so verschmitzt aus, daß wir nicht wußten, ob er das ernst meinte.

      „Was? Überhaupt keine Ponys?“ Cilla war beleidigt. „Das ist wohl das Dümmste, was ich je gehört habe. Ein Luciazug nur mit vier Pferden!“

      Ich muß zugeben, daß mich die Sache jetzt doch interessierte.

      „Silber und Billy sollten nebeneinander hinter dem Schlitten laufen“, schlug ich vor. „Anschließend Lillebror und Sessan. Als letzter Scheck. Jemand sollte, als Heinzelmännchen verkleidet, ihn führen und eine Fackel in der Hand halten …“

      „Ich will das Heinzelmännchen sein“, meldete sich Lillan.

      „Du bist doch viel zu klein, um Scheck zu führen“, wandte ihre älteste Schwester Mia sofort überlegen ein. „Ich brauche dich wohl nicht daran zu erinnern, was passierte, als du im Sommer Lillebror von der Weide holen solltest und …“

      „Das war doch Lillebror, und das war im Sommer, und der Sommer ist schon furchtbar lange vorbei. Jetzt bin ich viel größer.“

      „Du bist aber immer noch nicht groß genug“, behauptete ihre große Schwester.

      „Das bin ich doch“, rief Lillan wütend. „Vielleicht erinnerst du dich mal, wer beim Sprungwettbewerb am besten war.“

      „Hier geht es nicht um einen Sprungwettbewerb, sondern um einen Luciazug, du Dummerchen.“ Mia war ziemlich sauer.

      An dieses Springturnier wollte sie nicht gern erinnert werden. Alle zogen sie damit auf. Als ob sie etwas dafür konnte, daß Lillebror ausgerechnet an diesem wichtigen Tag nur zu Streichen aufgelegt war und so lange an ihrem Hosenbein zerrte, bis sie auf den Boden plumpste. Lillan und Scheck dagegen waren ohne einen einzigen Fehler über den Parcours gekommen.

      „In welcher Reihenfolge sollen wir reiten?“ wollte Kicki wissen.

      „Wieso wir?“ neckte Thomas sie. „Worauf gedenkst du denn zu reiten?“

      „Auf Rauhbein natürlich. Wie immer.“

      Thomas schüttelte den Kopf.

      „Entschuldige, aber Rauhbein ist der einzige, der den Schlitten ziehen kann.“

      Kicki machte ein langes Gesicht.

      „Wieder mal typisch“, sagte sie und zuckte mit den Schultern.

      Thomas fuhr fort: „Ich denke mir das so: Zwei reiten mit Fackeln vorweg. Hinter dem Schlitten mit Lucia folgen zwei große Pferde und daran anschließend alle Ponys. Britta, du als Reitlehrerin kannst am besten beurteilen, welche Kinder auf den Ponys reiten dürfen. Ich kümmere mich um die großen Pferde.“

      Die Vorfreude