Lisbeth Pahnke

Britta und die Pferde


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der Mädchen, die auf alten Bauernhöfen lebten, versprachen, in jeder Scheune und in jedem Winkel unter den Dächern danach zu suchen.

      In der warmen Sattelkammer hatte ich für kurze Zeit vergessen, was mich bedrückte und welch schweren Entschluß ich heute gefaßt hatte. Als ich wieder auf den Hof hinaustrat, war die vorweihnachtliche Stimmung wie weggewischt, wurden die Pläne für das Luciafest belanglos. Es goß in Strömen. Ich zitterte vor Kälte und wagte kaum an morgen zu denken. Es war Abend geworden und schon ganz dunkel. Ich mußte meine Pferde noch füttern. Ich selbst hatte auch noch nichts gegessen. Und dann schlafen – falls ich es konnte.

      Früh am nächsten Morgen klingelte ich an Kickis Tür. Sie wohnte nicht weit entfernt von der Reitschule. In Hausschuhen und einem knallroten Morgenrock öffnete sie verschlafen die Tür.

      „Hei! Entschuldige bitte, daß ich dich so früh störe“, begann ich leise, „aber ich muß sofort den Tierarzt anrufen.“

      „Macht nichts“, antwortete Kicki. „Ich mußte sowieso aus den Federn. Du weißt ja, wo das Telefon steht. Auf dem Notizblock daneben findest du die Nummer vom Tierarzt.“

      Ich wählte, ohne genau zu wissen, was ich sagen wollte. Kicki bürstete unterdessen ihre kastanienbraunen Haare.

      „Bitte rufen Sie die Auskunft unter der Nummer 90120 an. – Bitte rufen Sie die Auskunft unter der Nummer 90120 an. – Bitte rufen Sie …“

      Eine teilnahmslose Stimme wiederholte diesen stupiden Satz immer wieder.

      „So was Dummes“, murmelte ich und legte den Hörer auf. „Was hat das denn zu bedeuten?“

      Irritiert wählte ich die neue Nummer.

      „Der Tierarzt Dr. Andersson ist verzogen. Den neuen Tierarzt Dr. Södergren erreichen Sie unter der Nummer …“

      „So ist das meistens“, seufzte Kicki. „Das reinste Versteckspiel, wenn man mal einen Tierarzt braucht.“

      Unsicher wählte ich die Nummer von Dr. Södergren. Was sollte ich ihm sagen? Es ging ja nicht nur darum, daß meine beiden Pferde Husten und Schnupfen hatten …

      Guten Tag. Ich habe ein kleines Fohlen, das nicht wachsen will. Jetzt hat es auch noch einen furchtbaren Husten, und ich glaube, es gibt keine Hoffnung mehr …

      Konnte ich das so kalt sagen, als ginge es mich nichts an? Wieder spürte ich einen großen Kloß in meinem Hals. Ich schluckte und schluckte und versuchte verzweifelt, die Tränen zu unterdrücken, die über meine Wangen rannen.

      „Bitte, Kicki“, schluchzte ich und reichte ihr den Telefonhörer. Dann sank ich auf einen Stuhl und verbarg mein Gesicht in den Händen. Ich hatte mich noch nie so elend gefühlt.

      „Guten Morgen. Hier spricht Kicki Berggren von der Reitschule in Dalen. Zwei unserer Pferde husten. Eins davon ist noch ein Fohlen, und wir glauben, daß ihm noch etwas anderes fehlt. Es wächst nicht und entwickelt sich nicht wie ein normales Pferd. Vielleicht könnten Sie vorbeikommen und sich die Pferde ansehen … Gut. Vielen Dank. Bis dann.“

      Kicki legte den Hörer auf und wandte sich zu mir: „Er kommt heute nachmittag. Er muß erst noch einige andere Krankenbesuche machen. Kopf hoch! Ich koche uns jetzt erst einmal eine Kanne heißen Tee.“

      Der Vormittag zog sich in die Länge. Ich ging in den Stall. Silber begrüßte mich wie immer freudig wiehernd. Ich nahm Striegel und Kardätsche vom Regal und ging in seine Box. Ich redete leise mit ihm, während ich sein dichtes, graues Fell striegelte, das jetzt im Winter matter glänzte.

      „Was hast du nur für einen dicken Pelz bekommen, alter Junge. Du siehst ja aus wie ein Eisbär. Ob ich wohl deinen Bauch bürsten darf, ohne daß du protestierst? Oder bist du heute kitzlig?“

      Silber spielte mit den Ohren. Das bedeutete, daß er gern gebürstet werden wollte. Ich kämmte seinen strähnigen Schopf, bis er in weichen Wellen über die Stirn fiel und bürstete vorsichtig Mähne und Schweif, die fast weiß waren. In diesem Winter war Silber nicht so dunkel geworden wie im vorigen Jahr. Im Sommer wird er sicher wieder ganz weiß werden. Ich dachte daran, wie edel sein Kopf aussah ohne diesen „Winterbart“ und ohne diese ulkigen Büschel in den Ohren.

      Silber hustete kaum noch. Aber was ich von Siboney hörte, klang so furchtbar, daß ich es einfach nicht länger aushielt. Ich zäumte Silber und ritt mit ihm in den Wald. Ich nahm mir gar nicht erst die Zeit, ihn zu satteln. Ich wollte nur im Schritt reiten. Sicherlich machte ich keine gute Reiterfigur. Aber das war mir im Augenblick egal. Ich saß traurig und zusammengesunken, mit Tränen in den Augen, auf meinem Pony.

      Eine unerwartete Hilfe

      „Aber Silber, was hast du denn?“

      Ich wäre beinahe heruntergepurzelt, weil mein Pony völlig überraschend stutzte und sich quer stellte. Silber war bisher ruhig und an langen Zügeln durch den Wald getrottet und hatte nur hier und da, ohne seine sonstige Begeisterung, nach ein paar Tannenzweigen geschnappt. Meine Stimmung hatte sich wohl auf ihn übertragen. Aber jetzt blähte er die Nüstern und schnaubte aufgeregt. Ich wußte nicht warum, bis ich den Hund sah.

      Ein ungewöhnlich großer und kräftiger Schäferhund mit schwarzer und goldbrauner Zeichnung blinzelte uns an und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Er war so urplötzlich vor uns aufgetaucht, daß mein armes Pony völlig überrumpelt wurde.

      Im gleichen Augenblick hörten wir das Stampfen eines galoppierenden Pferdes, und wenige Sekunden später kam uns ein Reiter auf einem stolzen Fuchs entgegen.

      „Goldie, komm sofort her!“

      Der Schäferhund wedelte noch einmal kurz mit seinem Schwanz und lief dann gehorsam zu seinem Herrn zurück.

      Ich traute meinen Ohren nicht. Die Stimme kannte ich gut, aber die Stute hatte ich noch nie gesehen.

      Der Reiter schaute mich genauso verblüfft an wie ich ihn.

      „Lasse!“, rief ich erstaunt. „Was machst du denn hier?“

      „Reiten“, antwortete Lasse und lachte.

      „Typisch. Du mußt einen immer auf den Arm nehmen. Ich meine: wieso bist du hier?“

      „Lernen. In der Stadt. Ich wohne bei meinem Onkel. Er hat einen Hof hier in Dalen gekauft.“

      Silber tänzelte und wollte das fremde Pferd begrüßen. Ich warnte Lasse: „Komm lieber nicht näher. Silber ist erkältet und hustet.“

      Lasse schaute belustigt von seinem hohen Fuchs auf mein kleines Pony hinunter: „Du hältst dich immer noch an das kleinere Format, wie ich sehe.“

      Ich mußte lachen. Nein, Lasse hatte sich nicht verändert. Und dabei hatte ich ihn eine Ewigkeit nicht gesehen.

      „Was ist eigentlich aus dieser Schimmelstute geworden, die du zusammen mit Madeleine gekauft hast?“

      Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Ich hatte mich riesig gefreut, Lasse so unerwartet im Wald zu treffen, und ich hatte für einen Augenblick alles andere vergessen. Aber nun wurde ich wieder an Siboney erinnert, denn sie war das Fohlen „dieser Schimmelstute“. Ich brachte kein Wort heraus.

      „Hier in der Gegend scheinen noch andere Pferde erkältet zu sein“, meinte Lasse. „Heute morgen rief jemand meinen Onkel an und sagte, sie hätten zwei kranke Pferde auf dem Hof …“

      Ich konnte Lasse nicht ansehen, weil ich dann sofort wie ein kleines Kind losgeheult hätte. Aber ich war ihm eine Erklärung schuldig: „Wir haben heute morgen angerufen. Kicki und ich. Oh, Lasse, wenn du wüßtest, wie furchtbar alles ist.“

      Wir ritten Seite an Seite durch den Wald. Lasse kannte ich fast mein ganzes Leben lang. Wir besuchten als Kinder dieselbe Reitschule. Mein Onkel Magnus war dort Reitlehrer.

      Eines Tages wurde die Reitschule geschlossen. Alle, die ich gern hatte – Menschen und Pferde –, wurden in alle Winde zerstreut.

      Lasse hatte sich kaum verändert. Nur seine