Lisbeth Pahnke

Britta und die Pferde


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laufen können?“ fragte ich dann und streichelte den kleinen, zitternden Körper.

      „Das hoffe ich. Die beiden Brüche sind unkompliziert. Das Tier ist nur durch den Blutverlust ziemlich geschwächt. Aber wenn es Nahrung annimmt, kann es in zwei bis drei Monaten wieder durch die Wälder springen.“

      Lasses Onkel zog zwei Spritzen auf. „Die eine ist gegen Wundstarrkrampf und die andere ist eine Betäubungsspritze“, erklärte er. „Und nun macht, daß ihr verschwindet. Ich kann euch hier nicht gebrauchen. Und nehmt vor allem Goldie mit.“

      Goldie protestierte heftig, als Lasse sie am Halsband auf den Hof hinauszog.

      „Komm, Goldie. Komm mit in den Stall“, sagte Lasse. „Ich muß Cayenne füttern.“

      „Was für ein riesiger, alter Stall“, staunte ich. Ich erwartete mindestens zwanzig Pferde darin zu finden. Aber nur eine einzige Box war bewohnt. Cayenne wieherte zur Begrüßung. Ich sprach mit ihm und klopfte ihn freundlich, während Lasse Futter holte.

      „Onkel Jonas hat sein ganzes Leben davon geträumt, auf dem Land zu leben“, erzählte Lasse und öffnete einen Ballen Heu. „Jetzt möchte er sich gern Pferde anschaffen. Er findet es jammerschade, daß der Stall so leer steht. Wer weiß, vielleicht kauft er im Frühjahr ein paar Stuten.“

      Ich setzte mich auf einen alten Hocker und dachte wieder an Siboney, meine kleine Stute. Würde ich je ein eigenes großes Pferd besitzen?

      „Was hast du, Britta?“ fragte Lasse besorgt und legte eine Hand auf meine Schulter. „Geht es dir nicht gut?“

      „Doch, doch“, antwortete ich ausweichend. „Ich bin nur ein bißchen müde.“

      „Wir gehen gleich zu meiner Tante und stärken uns mit Kaffee“, schlug Lasse vor.

      „Wie alt ist eigentlich das Rehlein?“ fragte ich, um mich abzulenken und nicht mehr an Siboney zu denken.

      „Soviel ich weiß, werden Rehe Anfang Juni geboren“, überlegte Lasse. „Es muß also ungefähr ein halbes Jahr alt sein.“

      „Es sah noch so klein und hilflos aus“, seufzte ich. „Ich möchte oft kommen und euch bei der Pflege helfen.“

      „Darüber wird sich mein Onkel bestimmt freuen. Ich natürlich auch“, lachte Lasse. „Und das Rehlein hat sich sowieso schon an dich gewöhnt.“

      „Sicher gibt es eine Unmenge alter, aufregender Dinge auf diesem Hof“, überlegte ich.

      „Und ob“, versicherte Lasse und brachte Cayenne frisches Wasser. „Du solltest nur den Wagenschuppen sehen. Er quillt über von abenteuerlichem Gerümpel. Ich zeige ihn dir mal bei Tageslicht.“

      Das brachte mich auf eine Idee.

      „Habt ihr vielleicht auch irgendwo einen alten Schellenkranz? So einen, wie man ihn früher den Pferden umhängte? Wir hätten so gern einen für unseren Luciazug.“

      „Schon möglich“, meinte Lasse. „Ich werde morgen ein bißchen kramen. Vielleicht haben wir Glück …“

      Der dampfende Kaffee erweckte uns zu neuem Leben, und die Bratäpfel schmeckten köstlich. Für einen Augenblick vergaßen wir sogar die Frage, die die ganze Zeit in unseren Köpfen spukte: Was würde Dr. Södergren zu seinem zerbeulten Auto sagen? Selbst im Stall hatten wir es vermieden, über dieses Thema zu sprechen.

      In diesem Augenblick trat Lasses Onkel in die Küche. Er sah abgespannt aus und bat um eine Tasse Kaffee. Wir versuchten, in seinem Gesicht zu lesen, aber er verzog keine Miene. Er setzte sich zu uns an den Tisch und schwieg. Erst nachdem er einen kräftigen Schluck Kaffee getrunken hatte, begann er seinen Bericht.

      „Das Reh schläft noch. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Die Wunde war nicht so schlimm, wie sie aussah.“

      Ich atmete erleichtert auf.

      „Und nun zu dir, Lasse“, fuhr Dr. Södergren fort. „Ich habe mir gerade mein Auto angesehen. Der linke Kotflügel läßt sich vielleicht ausbeulen. Aber der rechte muß ausgewechselt werden. Und eine neue Stoßstange ist auch fällig. Ich kann nur hoffen, daß sich bei der Vermessung kein Achsenbruch herausstellt. Dann kann ich mir für die Reparaturkosten schon fast ein neues Auto kaufen.“ Er machte eine kurze Pause und sah Lasse in die Augen. „Wie willst du für den Schaden aufkommen?“

      „Ich würde dir jeden Monat mein ganzes Taschengeld geben“, murmelte Lasse. „Aber dann müßte Cayenne verhungern …“

      „Typisch Mann“, mischte sich jetzt Lasses Tante energisch dazwischen. „Statt dankbar zu sein, daß die beiden noch leben und sie nach dem schweren Schock in die Arme zu nehmen und zu trösten, denkst du nur an dein Auto. Dabei fährt es sogar noch. Auf ein paar lächerliche Beulen mehr oder weniger kommt es doch wirklich nicht an.“

      Lasses Onkel schmunzelte. „Kennst du mich nach so vielen Ehejahren immer noch nicht? Ich bin völlig deiner Meinung. Ich wollte dem Jungen nur eine Lehre erteilen.“

      Lasse und ich schauten uns fassungslos an. Wir trauten unseren Ohren nicht.

      „Bilde dir nur nicht ein, daß du völlig ungeschoren davonkommst“, warnte Dr. Södergren. Er versuchte, sehr streng zu wirken, aber in seinen Augen lauerte ein vielsagendes Lächeln. „Du wirst morgen hinter dem Stall ein kleines Gehege für das Reh bauen. Maschendraht mußt du kaufen und von deinem Taschengeld bezahlen, aber alte Bretter findest du sicher genug im Schuppen. Das Reh braucht eine Futterkrippe und vor allem eine Hütte, in der es warm und sicher liegt. Außerdem wirst du für seine Verpflegung aufkommen. Ich glaube nicht, daß Cayenne deshalb verhungern muß“, meinte Lasses Onkel, der ein verschmitztes Lächeln jetzt nicht mehr verbergen konnte.

      Nach diesem unerwartet glücklichen Ausgang schmeckte der Kaffee noch mal so gut. Wir saßen noch lange um den Tisch und plauderten über alles mögliche.

      „Meinen Wagen kann ich dir vorläufig wohl nicht mehr anvertrauen“, bemerkte Dr. Södergren und sah Lasse leicht strafend an. „Also werde ich die junge Dame nach Hause fahren.“

      „Was meinst du?“ fragte Lasse seine Tante augenzwinkernd. „Können wir ihm Britta mit ruhigem Gewissen überlassen?“

      Ich verabschiedete mich und bedankte mich herzlich bei Lasse und seiner Tante. Als Dr. Södergren mich nach Hause fuhr, kam mir die Welt nicht mehr so schwarz und traurig vor: Ich hatte Freunde gefunden. Ich war mit meinen Problemen nicht mehr allein.

      Silber stand nun schon zwei Tage allein im Stall. Seit Siboney weg war, hatte er keinen Hafer mehr angerührt. Dabei war er sonst das verfressenste Pferd, das ich kannte. Er schlang den Hafer in sich hinein und hob den Kopf erst wieder, wenn auch das letzte, kleinste Haferkorn in seinem großen Bauch verschwunden war. Jetzt zertrampelte er den Hafer und verstreute ihn wütend über den ganzen Boden. Er sprang ungeduldig in der Box vor und zurück, wieherte laut und bäumte sich gegen die Boxtür auf. Er ließ sich durch nichts besänftigen.

      Ich verstand sehr gut, wie Silber zumute war. Er vermißte Siboney genauso wie ich. Schließlich wußte ich mir keinen Rat mehr. Ich bat Hasse und Thomas um Hilfe. Die beiden trugen die Verantwortung für den Reitstall und bestimmten alles. Sie schlugen mir vor, Billy aus dem großen Stall zu holen und in Siboneys Box zu stellen, damit Silber nicht so allein sei. Tatsächlich. Silber beruhigte sich und begann wieder zu fressen. Ich freute mich auch darüber, daß Billy jetzt in meinem Stall stand. Es war nicht gerade angenehm gewesen, jeden Morgen zum Ausmisten und Füttern in den Stall zu kommen und immer wieder auf die leere Box neben Silber zu starren …

      Am Tag vor dem Luciafest kam Lasse. Er erzählte vom Rehlein, dem es mit jedem Tag besser ging. Es entwickelte schon einen recht beachtlichen Appetit.

      „Goldie ist immer noch verrückt nach ihm“, berichtete Lasse. „Die beiden sind unzertrennlich. Goldie gab keine Ruhe, bis ich ihre Hundehütte ins Gehege stellte, damit sie auch nachts auf ihren neuen Freund aufpassen konnte.“

      „Und das Auto?“ fragte ich.

      „Zum