Inger Gammelgaard Madsen

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3


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und dann kamen sie also heute Morgen und haben mich mit einem Kasten Bier und Brötchen geweckt. Das sind ein paar nette Jungs, musst du wissen.«

      »Kann schon sein. Aber du hättest mir trotzdem etwas davon sagen können, es ist ja immer noch meine Wohnung, und ...«

      »Kann Adomas nicht auch hier wohnen?«, unterbrach sie. »Seine Freunde sind mit nach Dänemark gekommen, um ebenfalls Arbeit zu finden. Milch und Honig, weißt du. Es lief für sie alle nicht so gut. Die drei, die mit ihm hier waren, haben irgendwo in einer Gärtnerei Arbeit bekommen, aber andere haben es nicht so gut getroffen und sind auf die schiefe Bahn geraten.«

      Anne bereute immer mehr, überhaupt geöffnet zu haben, als ihre Mutter gestern geklingelt hatte.

      »Tagsüber arbeitest du doch selbst, dann merkst du gar nicht, dass wir hier sind. Ich verwöhn dich dann, koche, wenn du heimkommst, und ...«

      Anne ging in die Küche und steckte einen Filter in den Trichter der Kaffeemaschine. Es war nicht der Drang nach Kaffee, der sie dazu veranlasste, sondern der Drang, dem Blick ihrer Mutter zu entkommen. Sie hatte es nie gemocht, Leuten direkt ins Gesicht zu lügen, wollte aber nicht erzählen, dass sie ihren Job verloren hatte. Das Land, in dem Milch und Honig fließt, ja, das gab es nur im Zweiten Buch Mose oder vielleicht vor ein paar Jahren mit Neubauten, hypothekenfreiem Eigentum und fast nicht vorhandener Arbeitslosigkeit. Und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, ja, da war was dran. Aber bald hatte sie wieder einen Job, sodass Rose nichts davon wissen musste, dass sie auch arbeitslos war. Deswegen war sie spät nach Hause gekommen. Es sollte so aussehen, als wäre sie in der Redaktion gewesen. Das Vorstellungsgespräch hatte nur eine halbe Stunde gedauert, und sie würde im Laufe der Woche eine Rückmeldung bekommen. Aber es hatte richtig viele Bewerber gegeben, hatten sie gesagt, daher ... Danach hatte sie bei McDonald’s gefrühstückt, in einem Café im Studentenviertel gesessen und die durchgefrorenen Menschen beobachtet, die draußen vor dem Fenster in dicken Wintermänteln und mit versteinerten Gesichtern vorbeiliefen – auf dem Heimweg von der Arbeit. Nach acht Stunden des Zeittotschlagens hatte sie sich zurück in die Wohnung im J. P. Larsens Weg begeben.

      »Kommt nicht in Frage, das kannst du vergessen! Hier können nicht noch mehr wohnen. Wir sind schon einer zu viel.« Sie schwieg, während sie die Löffel abzählte und den Kaffee in den Filter gab. Kurz darauf brodelte die Maschine und der Duft breitete sich aus. Sie fing an, die Küche aufzuräumen.

      »Ann, du wolltest immer Menschen in Not helfen. Das weiß ich doch. So gut kenne ich dich. Und das, was ihr ihnen in der Zeitung vorwerft, haben die echt nicht gemacht.«

      Mitten in der Bewegung, das Geschirrtuch in einer Tasse, hielt sie inne, drehte sich um und schaute Rose an. »Was werfen wir ihnen vor?«

      »Das müsstest du doch selbst am besten wissen. Das war zwar nicht deine Zeitung, aber schreibt ihr nicht eh fast das Gleiche? Nett, dass du Kaffee kochst, den brauche ich gerade wirklich.«

      »Wovon genau redest du?« Sie wusste nicht mehr, was in der Stadt passierte. Ohne ihren Job war sie total unwissend. Fröhliche Unwissenheit hatte das mal jemand genannt, aber Unwissenheit freute sie keineswegs. Sie hätte sich heute auch eine Zeitung kaufen sollen, aber da war ja das Gespräch, und sie hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass etwas passiert sein könnte. Als ob die Kriminalität aufhören würde, wenn das Tageblatt nicht länger existierte.

      »Natürlich von der Sache mit dem Bauern, den sie totgeschlagen haben sollen. Das waren die nicht. Sagen sie. Und Adomas weiß, dass sie die Wahrheit sagen. Das sind seine besten Freunde, die kennen sich, seit sie Kinder waren, sind zusammen in die Schule gegangen, und ...«

      »Freunde! Ist mein Cousin kriminell?«

      »Nein, ist er nicht«, knurrte sie näselnd, »er hat eine gute Arbeit und verdient sein eigenes Geld. Er kann dafür bezahlen, hier zu wohnen, aber er konnte plötzlich nicht länger in dem Zimmer wohnen, das er gefunden hatte, der Vermieter ...«

      »Aber seine Freunde sind also kriminell!«

      »Nur ein paar. Aber was sollen sie auch sonst machen, wenn sie keine Arbeit finden? Sie sind ja völlig blank, weil sie all ihr Geld dafür gebraucht haben, hierher zu kommen. Sie haben das Auto gestohlen, aber das andere haben sie jedenfalls nicht getan. Ach, Ann, darf er nicht doch? Nur bis er eine andere Unterkunft findet.«

      »Nein, ich will wirklich nicht helfen, da kannst du Gift drauf nehmen. Ich fasse es nicht, dass du dich wieder in so einen Kram reinziehen lässt, Mama!« Sie nahm zwei Becher und schenkte ihnen beiden ein. »Trink das hier und werd’ nüchtern. Du kannst heute Nacht hier schlafen, aber wenn ich morgen Nachmittag von der Arbeit komme, bist du bitte zurück nach Nørrebro gefahren. Da fühlen sich deine Freunde garantiert auch wohler.«

      7

      Eine Schneelandschaft ist in der Regel geruchlos. Man kann nur den Frost in den Nasenlöchern spüren. Aber als er die Autotür öffnete, schlug ihm der unverkennbar stechende Geruch von Schweinen entgegen. Ein großes Holzschild über der Einfahrt verkündete, dass er sich auf einem echt ökologischen Hof befand. Aus der Erde – frisch auf den Tisch stand da in schnörkeliger Pinselschrift. Der weiß getünchte Hof sah in der weißen Umgebung leblos aus. Er erinnerte ihn an eine Leiche auf einem weißen Laken. Das einzige Lebenszeichen waren ein paar Schweine, die in der gefrorenen Erde wühlten, die sie hinter einer Scheune ausgebuddelt hatten. Auf dem Dach des Stallgebäudes war etwas Schnee geschmolzen. Darunter verbarg sich ein altes, graues und moosbedecktes Eternitdach. Wären nicht zwei Tore im Stallgiebel schwedenrot gestrichen gewesen, hätte der Hof fast wie getarnt ausgesehen. Er versuchte, die Straße zu erspähen, aber von hier aus würde man das geparkte Auto nicht sehen können. Man konnte gerade so Gunda und Thorkild Hansens Giebel und etwas von ihrer Hofeinfahrt erahnen, aber trotzdem gab es einen ganz ordentlichen Abstand sowohl zu den Nachbarn als auch zu der Straße.

      Da oben zwischen den Bäumen hatte es nichts zu sehen gegeben. Frischer Schnee hatte alles zugedeckt, aber er hatte ein paar Kriminaltechniker angefordert, die vielleicht etwas ausfindig machen konnten – ein Haar, Kaugummi – einfach irgendetwas, obwohl Frost und Schnee sicher die DNA zerstört hatten. Hatte das Auto dort lange gestanden, konnte man vielleicht auch einen Reifenabdruck im Eis sicherstellen. Wenn sie Glück hatten.

      »Aus der Erde – frisch auf den Tisch«, murmelte er und schaute wieder auf das Schild. Auf Anhieb klang das nicht weiter verlockend. Glücklicherweise hatte es Irene anscheinend aufgegeben, mit diversen Diäten und einem neuen Lebensstil zu experimentieren. Der ökologischen Welle hatte sie sich nicht angeschlossen – bisher. Die Blutgruppen-Diät war im Herbst ihr Fimmel gewesen, der aber vor Weihnachten jäh aufgehört hatte. Plötzlich war es wieder erlaubt gewesen, alles zu essen. Vielleicht hatte Salvatores Besuch dieses Experiment gestoppt. Italienische Jungs waren solide Nahrung wie Pasta mit Fleischsoße und Pizza mit reichlich Käse und Belag gewohnt, und Irene wollte dem Jungen nicht zumuten, sich bei der Familie in Dänemark nicht heimisch zu fühlen.

      Ein aggressives Bellen, das bei dem schneebedeckten Dach eine Lawine auslösen konnte, ließ ihn zusammenzucken. Er drehte langsam den Kopf und war einem schwarz gescheckten Kampfhund gefährlich nahe, der plötzlich an der Stalltür aufgetaucht war. Zum Glück konnte das Tier ihn wegen einer soliden Stahlkette nicht erreichen, die ihn jäh stoppte und wie ein durchgehendes Pferd hochsteigen ließ. Er erkannte die Rasse als Amerikanische Bulldogge und erinnerte sich an Fälle, in denen Menschen von genau diesem Typ Hund angefallen und schrecklich zugerichtet worden waren. Er konnte sie nicht leiden, obwohl sich oft herausstellte, dass es die Hundebesitzer waren, die nicht in der Lage waren, einen Kampfhund zu erziehen; aber immer war es der Hund, der es büßen musste und getötet wurde. Es war deutlich, dass dieser hier auch nichts von ihm hielt. Mit blutunterlaufenen braunen Augen fixierte er ihn. Die abgespreizten Beine und der große Abstand zwischen allen vieren ließen ihn wie eine antike weiße Kommode aussehen, die an unpassenden Stellen mit schwarzer Farbe bekleckert war. Die eine Seite des Kopfes war schwarz, die andere weiß, und mit der flachen Schnauze und dem hängenden Kiefer sah er eher komisch als gefährlich aus. Aber die entblößten Zähne und das abgrundtiefe Knurren, das ihn nicht willkommen hieß, waren nicht misszuverstehen.

      Am Küchenfenster wurde