Inger Gammelgaard Madsen

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3


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den Hof hatten rutschen hören, hatte bestimmt der Hund seine Ankunft offenbart.

      Als er an der Tür klingelte, dauerte es lange, bis geöffnet wurde und er sich dem Mann vorstellen konnte, der über den Besuch der Polizei nicht besonders erstaunt aussah. Er musste ungefähr ein halbes Jahrhundert alt sein, vielleicht waren sie gleich alt. Roland war Anfang Januar gerade sechsundfünfzig geworden. An dem Tag herrschte Schneesturm, und keiner der geladenen Gäste war durchgekommen.

      Vagn Mortensen stellte sich reserviert vor und bat ihn mit einem gewissen Vorbehalt in der Körperhaltung herein. Den Hund ermahnte er mit Bestimmtheit zur Ruhe und der schlich kleinlaut wieder in den Stall. Roland ging hinter Vagn hinein und konnte nicht aufhören, seinen Stiernacken anzustarren. Der Mann war kräftig gebaut, man konnte seinem Körper ansehen, dass er harte Arbeit gewohnt war, die er sicher von Hand statt mit Maschinen erledigte. Seine Haare sahen wie ein Stoppelfeld aus, sowohl was die Länge, als auch die Farbe anging. Dagegen war der Bart eine ungezähmte, verblühte Wiese. Die Frau saß auf dem Sofa und war so mit den grauen Möbeln verschmolzen wie das Wohnhaus mit dem Schnee. Ihre Stimme war fast unhörbar, als sie ihren Namen sagte, und der Händedruck war schlaff, aber man konnte sehen, dass sie dem Mann bei der Arbeit half; sie war muskulöser, als man es von ihrem Typ erwartet hätte. Vagn setzte sich neben seine Frau. Roland nahm in einem Sessel ihnen gegenüber Platz.

      »Ich nehme an, Sie haben gehört, was vergangene Nacht bei Ihren Nachbarn geschehen ist, und ich will nur wissen, ob Sie in den letzten Tagen etwas Verdächtiges beobachtet haben. Ein geparktes Auto zum Beispiel?«

      »Nein, nichts. Alles war wie immer«, erwiderte Vagn.

      »Wie geht es Signe?«, erkundigte sich Olga Mortensen mit monotoner Stimme.

      »Wir konnten noch nicht mit ihr reden, aber im Krankenhaus sagen sie, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht«, antwortete Roland und begegnete ihrem unsteten Blick. Es kam ihm so vor, als würde sie etwas verbergen und deshalb nicht wagen, ihm in die Augen zu schauen.

      »Albert war nicht sonderlich beliebt. Er war ein Tyrann. Das wird auch Signe bestätigen können. Jeder könnte ihn totgeschlagen haben«, kam es brüsk von Vagn, und er rettete dadurch seine Frau vor Rolands Versuch, Augenkontakt aufzunehmen. Erschrocken schaute sie ihren Mann an.

      »Das glaube ich nicht, Signe hat doch zu Ella gesagt, dass die russisch gesprochen haben.« Olga starrte Vagn weiter mit Misstrauen im Blick an, dann wandte sie sich wieder Roland zu. »Könnt ihr so eine Bande schnell finden? Stellt ihr hier draußen Wachen auf?«

      »Leider haben wir dafür nicht die Kapazitäten. Aber wir tun natürlich, was wir können, um die Schuldigen schnellstmöglich zu fassen«, versprach er und wunderte sich insgeheim über ihre Angst, mit dem Killerhund auf dem Hof und dem Muskelprotz an ihrer Seite. Aber in der Regel scheuten diese Hardcore-Banden vor nichts zurück. Der Anblick von Albert Hovgaards übel zugerichtetem Körper hatte sich in seine Netzhaut eingebrannt, und nun waren die Mörder obendrein auch noch bewaffnet. Ihre Furcht war vielleicht mehr als begründet.

      »Also, falls Sie uns mit Informationen helfen können – egal welcher Art –, würden wir das sehr begrüßen. Haben Sie zum Beispiel einen weißen Opel Kadett Caravan oder ein ähnliches Modell hier auf der Straße gesehen?« Er sah Vagn direkt an, da er vermutete, dass er sich am besten mit Automarken auskannte.

      »Nein, wir haben nichts gesehen.« Vagn sah zu Olga, die ihn mit einem Kopfschütteln unterstützte.

      Roland trommelte mit den Fingern auf den Oberschenkeln. Er fürchtete, dass sie die Wahrheit sagten. Was könnten sie gesehen haben, wenn man von ihnen aus weder die Straße noch Signe und Albert Hovgaards Haus sehen konnte?

      »Können Sie sich erinnern, wann Sie gestern Abend schlafen gegangen sind?«

      »Wir sind immer zeitig auf, daher gehen wir normalerweise schlafen, wenn ich das letzte Mal im Stall gewesen bin. Ich weiß nicht, wann das gestern Abend war.«

      Roland fand es zwecklos, sie zu diesem Thema weiter auszuquetschen. »Sie betreiben ökologische Landwirtschaft, wie ich sehe. Ist das in diesen Zeiten nicht riskant?«

      »Was ist heutzutage nicht riskant? Wir haben genau die richtigen Bedingungen, unsere Tiere so aufzuziehen, dass das Fleisch frei von Hormon- und Pestizidrückständen ist. Wie in den guten, alten Zeiten, könnte man sagen.«

      Es klang wie eine Tirade, die er gewohnt war herunterzuleiern, gegenüber Metzgereien oder Kunden im Hofladen, den Roland in einem der Stallgebäude bemerkt hatte, bevor der Hund seine Aufmerksamkeit erfordert hatte. Er schaute aus dem Wohnzimmerfenster und reckte den Hals.

      »Ist da draußen Wald?«

      »Ja, unser eigener privater.«

      »Gehen die Schweine auch dorthin?«

      »Im Frühjahr und Sommer. Jetzt ist gerade alles zugefroren.«

      Roland nickte und stand auf. »Naja, aber dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Aber wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann ...« Er legte seine Visitenkarte auf den Tisch.

      Vagn und Olga standen ebenfalls auf. Sie brachte ihn zur Tür. Er schaffte es gerade noch, sich zu verabschieden, bevor sie die Tür hinter ihm zuknallten.

      Er hielt am Wald, wo er aus dem Auto stieg und in eine Schneewehe trat, sodass seine Schuhe und Hosenbeine nass wurden. Hier war das Räumfahrzeug nicht gewesen, aber einige Spuren, die nur mit einem Hauch von Schnee bedeckt waren, führten in den Wald bei der Schranke. Sie mussten frisch sein. Er folgte ihnen ein Stück, stoppte aber abrupt bei einem Schild mit großen roten Buchstaben: PRIVATGRUNDSTÜCK! UNBEFUGTEN IST DAS BETRETEN VERBOTEN!

      8

      Anita sah sie vom Küchenfenster aus. Sie kamen vom Supermarkt nach Hause. Mit Einkaufstüten im Arm rutschten sie in den Schneewehen in der Einfahrt herum, in der der Schnee lediglich durch die Reifenspuren von der Garage zur Straße etwas beiseitegeschoben war. Bitten lachte laut, als sie beinah hinfiel. Brian hatte eine erloschene Zigarette zwischen den Lippen hängen und erinnerte sie an eine junge Ausgabe von Mads Mikkelsen mit seinem etwas zu langen, strähnigen Haar und den dunklen Bartstoppeln auf Kinn und Wangen. Er schloss das Garagentor und machte nicht den Eindruck, als hätte er vor, noch mehr zu helfen. Er war auch der Fahrer gewesen, damit waren seine Pflichten für heute aus seiner Sicht überstanden. Wenn er dran war, gab es immer Probleme. Er schlenderte den anderen mit derselben Gleichgültigkeit hinterher, die er auch sonst im Leben an den Tag legte. Mit der großen, schwarzen Daunenjacke erinnerte er an das Michelin-Männchen; sie ließ seinen Oberkörper füllig erscheinen. Die dünnen Beine in abgenutzten Jeans und großen Moonboots schienen ihn kaum tragen zu können. Wieder dachte sie daran, dass sie in ihn verliebt gewesen war, als er vor ein paar Monaten in die Kommune gezogen war. Seine Augen hatten was. Sie waren braun, fast schwarz. Aber bei näherer Bekanntschaft gewann er nicht. Er war grob und unverschämt und hatte einige schlechte Angewohnheiten aus Kopenhagen mitgebracht. Er war es, der eingeführt hatte, dass bei Partys Hasch geraucht wurde, obwohl Linda und Andreas dagegen waren. Sie hatten jedoch scharf durchgegriffen, was die Ecstasy-Pillen betraf, die Brian auch mit im Koffer gehabt hatte. Er nannte sie love drugs und war der Meinung, dass sie toll in das Konzept der Kommune passten. Linda und Andreas hatten die Idee zu der Kommune gehabt und beabsichtigt, den Alltag – und die Kosten – mit anderen gleichgesinnten Studenten mit den gleichen Wertvorstellungen wie sie zu teilen, also eine bessere Lebensform zu schaffen, die nicht nur auf materiellen Dingen basierte. Andreas hatte den Hof von seinen Eltern geerbt. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war er der älteste Bewohner. Die Alternative war gewesen, den Hof zu verkaufen, aber da es seine größte Stärke war, und vielleicht auch seine größte Schwäche, an andere zu denken, war es seine Mission geworden, anderen Studenten in Wohnungsnot zu helfen. Zumindest denen, die am Arsch der Welt wohnen und keine Discos, Nachtclubs und Cafés in Reichweite haben wollten. Aber in ihren Augen war er nicht streng genug mit dem Aussortieren und den Absagen, wenn neue Bewerber kamen, die ungeeignet waren und nicht hineinpassten. In der Zeitung wurde jedes Mal, wenn sie neue Bewohner suchten, die gleiche Annonce geschaltet. Die, der sie selbst erlegen war, weil es wie ein nettes Leben klang, in einer Gemeinschaft billig auf dem Land zu wohnen, und die Lage könnte