manchmal aufhört und daß die Erwachsenen, die einander geliebt haben, dann gezwungen sind, allein zu leben und so weiter und so weiter. Ein ziemlich blumiges Drumherumgerede, das sie aber ganz einfach abschnitt, indem sie fragte: »Papa und du, werdet ihr euch auch mal scheiden lassen?« Ich hatte keine Ahnung, daß sie das Wort »Scheidung« kannte, aber natürlich kannte sie es, denn die Eltern ihrer Freundin aus dem Kindergarten, Marias Mama und Papa, die wollten sich doch scheiden lassen ...
Ich antwortete, daß wir ja nicht einmal verheiratet seien, Paul und ich, und ungefähr bei diesem Stand der Diskussion kam mein Vater mir zu Hilfe, indem er sich einen Skizzenblock auf die Knie legte und anfing, die turnenden Schimpansen auf dem Affenfelsen zu zeichnen. Damit war der Bann gebrochen, und Zarina warf ihm eine gnädige Kußhand zu, als wir uns ein paar Minuten nach Schließung des Zoos trennten.
»Du mußt auch zu meinem Geburtstag kommen!« erklärte sie, und mein Vater lachte und sagte, das würde er schrecklich gern. Zu Hause hängten wir die Zeichnungen über ihr Bett. Glücklicherweise hatte Paul gerade Dienst in Odense, so daß das Erlebnis zu einer Anmerkung geschrumpft war, die neben anderen Ereignissen in ihrem wortreichen Referat Platz fand, mit dem sie ihn immer begeisterte, wenn er nach einer Dienstwoche auf Fünen zurückkam und auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden mußte. Ich kam mit einer fragend gehobenen Augenbraue davon und machte aus dem Ausflug eine Kurzmeldung, die ihn eigentlich nichts anging. Ja, wir hatten einen Nachmittag mit meinem Vater, der aus anderen Gründen gerade in der Stadt war, im Zoologischen Garten verbracht. Paul war nicht gerade begeistert, gab sich jedoch damit zufrieden, auch wenn ich sehen konnte, wie ihm der Protest auf der Zunge brannte. Erst als ich darauf beharrte, daß Zarina ihren »neuen Opa« bei ihrer Geburtstagsfeier dabeihaben wolle, schlug er zurück. No way. Ich verzichtete auf eine Diskussion, aber als Zarina ihre Einladungen verteilte, schickten wir auch eine nach Læsø. Der große Familienskandal wurde verhindert, da er absagte – er wäre sehr, sehr gern gekommen, schrieb er, aber er habe in letzter Zeit ein paar »Zipperlein« und müsse deshalb gerade jetzt zur Untersuchung ins Krankenhaus von Frederikshavn. Er hatte ihr eine Silberkette mit einem Bernsteinherz geschickt: »Der Stein wurde nach einem Sturm in den Algen gefunden und an Großvaters Tisch zurechtgeschliffen.« Er hatte ein kleines »Z« hineingeritzt, so daß es ein ganz besonderes Unikat geworden war, von dem ich mir nur wünschte, ich hätte es einst bekommen.
»Wie aufmerksam!« kommentierte Paul sarkastisch, als er Zarina die Kette um den Hals band. Sie selbst war begeistert. Echter Schmuck!
»Paß auf, daß du sie nicht verlierst!« ermahnte ich sie und erinnerte uns beide daran, daß wir im Krankenhaus anrufen und uns bedanken mußten. Paul schnaufte und lenkte sie damit ab, daß er anbot, ihr beizubringen, mit dem Dreirad, dem Geschenk von uns, zu fahren. Ich überlegte kurz, was »Zipperlein« wohl zu bedeuten hatten. Aber dann war ich auf den Guardian gestoßen und hatte mich von einem Feature über die tschetschenischen Aufstände fesseln lassen. Die Redaktion will mich für eine Reportage nach Grosnyj schicken. Meine Kollegin braucht Entlastung, und die gönne ich ihr von ganzem Herzen. Dennoch muß ich zugeben, daß es nicht gerade mein Traumjob ist. Ich bin nicht so scharf darauf, mit den Jungs zu spielen. Ein 28jähriger deutscher Fotograf vom Stern wurde erst vor kurzem bei einem Granatenangriff getötet. Anna, meine schwedische Kollegin, rief neulich aus Moskau an und erzählte es mir. Sie war tief getroffen, nicht nur, weil er ihr Freund und noch so unglaublich jung gewesen war, sondern auch, weil »alles hier so verroht ist – man kann sich nicht mal mehr in ein Taxi setzen, ohne Angst haben zu müssen, daß einem das Gehirn rausgepustet wird!«
»Anna«, erwiderte ich, »du bist schon zu lange da. Fahr nach Hause!«
»Ja«, seufzte sie. »Es ist nur ... Moskau ist der einzige Ort, an dem es sich für mich zu leben lohnt. Du weißt, was ich meine. Die Weltgeschichte liegt hier auf der Straße. Was soll ich denn in Schweden? Da ist es so schrecklich langweilig!«
Ich weiß sehr gut, was sie meint, und vielleicht verweile ich deshalb etwas zu lange in den tschetschenischen Bunkern der Reportage, so daß ich erst bei der Glasur bin, als die Gäste in einem fröhlichen Haufen eintreffen. Die Küche sieht aus wie ein Bombenkrater, die Kuchenfrau hat eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer amputierten Mißgeburt, und ich spüre, wie mir die Hausfrauenpanik den Rücken hinaufkriecht. Hilfe! Die Dunstabzugshaube bläst über mir, und deshalb höre ich Birgitte nicht, als sie herkommt und mich mit beiden Händen in die Taille kneift, so daß ich zusammenzucke und fast den Teller fallen lasse.
»Was machst du da?« fragt sie.
»Meine Mutterrolle ausfüllen!« antworte ich. »Und wie geht’s dir?«
»Zum Teufel! Hast du eine Schürze?« fragt sie, löst mich ab und übernimmt das Projekt »Rettet das Kind«, während ich die Tüten mit den Süßigkeiten mit den Zähnen aufreiße.
»Wieso zum Teufel?«
»Ach, nur so. – Soll sie lange oder kurze Haare kriegen?«
»Lange! Wo sind die Kinder?« frage ich und mache mich daran, die Glasur mit dem Schaber zu verteilen, damit die Katastrophe nicht ganz so offensichtlich ist.
»Maxi läßt sich von deiner Tochter einschüchtern, und die Zwillinge schlafen im Auto. Hoffentlich recht lange. Sie haben sich gegenseitig die ganze Nacht wachgehalten ...«
»Und Jens?« frage ich mit einem schrägen Blick und kenne bereits die Antwort.
»Bei der Arbeit«, sagt sie und zieht die Lakritzfäden gerade. »Hast du eine Schere? Für den Pony?«
Sie streicht sich mit einer Hand den eigenen aus dem Gesicht. Ich richte mich auf und habe nicht übel Lust, einfach auf sie zuzugehen und sie in den Arm zu nehmen. Seit den Zwillingen ist sie fast durchsichtig vor Müdigkeit. Transparent, wie Paul es nennt.
»Wollen wir nicht draußen im Garten sitzen?« schlägt sie vor und weicht instinktiv meinem Blick aus. »Es ist verdammt warm heute. Indian summer.«
»Ja, wenn noch Sonne auf der Terrasse ist«, sage ich und tauche den Schaber wieder in die Glasur.
»Wir können ja immer noch reingehen. Und du? Geht es dir gut?«
»Mir? Und wie!« antworte ich und muß unwillkürlich lächeln. Birgittes unerwartete Schmetterbälle überrumpeln mich jedesmal. »Schließlich bin ich eine glückliche Frau! Wieviel Liter Milch soll ich für den Kakao nehmen?«
Paul hat sich einen neuen hypermodernen Fotoapparat gekauft, als er auf Reportagereise in Hongkong war, um Alexandra Manley zu interviewen, die Zukünftige des dänischen Prinzen und Liebling der Presse. An diesem Nachmittag gelingt es ihm, einen ganzen Film mit 36 Bildern zu verknipsen, bevor die Sonne hinter dem Dach des Nachbarhauses untergeht. Alles ist mit drauf – Mutter hinter der Sonnenbrille mit Marlboro Light, Freddy an ihrer Seite, in den Schatten zurückgezogen, Ernst im Profil mit dem Ausdruck sanfter Melancholie, die nach seiner Scheidung von der Kulturperle aufgetreten ist, Kiki und Spunk mit Birgittes Zwillingen auf dem Schoß, Zarina im Mittelpunkt, Maxi auf dem Weg aus dem Bild hinaus und Birgitte, die Hand allzu fest um eine Kaffeetasse gepreßt und die Absätze fest auf dem Boden, wie immer bereit, einem Kind zu Hilfe zu eilen. Jeder ist in einer typischen Geste festgehalten, die uns später ausrufen lassen wird: »Mein Gott, genau! So sahen wir damals aus! So war es!« So sah das Glück aus: eine Kuchenfrau mit drei Kerzen, ein Kind mit Augen, groß wie Teetassen, in dem konzentrierten Eifer, die Kerzen auszupusten und sich dabei die größte Mühe zu geben, während die Aufmerksamkeit einer ganzen Familie, ihrer Familie, auf sie, das Goldkind, gerichtet ist.
»Lach doch mal, mein Schatz!« ruft Paul und richtet das Objektiv auf mich.
»Hör auf!« erwidere ich und fliehe. »Du weißt doch, daß ich es hasse, fotografiert zu werden!«
»Aber warum?« fragt er und verfolgt mich in die hinterste Ecke des Gartens, genau dorthin, wo nach seiner Vorstellung ein Rhododendronbusch gepflanzt werden soll. »Dabei siehst du so gut aus!«
»Fuck!« erwidere ich und werde gegen den Jägerzaun gepreßt.
»Ja, gern!« antwortet er und knipst trotzdem. »Gestern war Samstag!«
Er