stellte sich vor, während Charlotte fragend Meyers Blick einfing, als sie sich im Gedränge vor der Tür vorbeizwängte. Meyer antwortete, indem sie ihre Augen verdrehte, bevor sie, immer noch vor Wut köchelnd, den Gang hinuntermarschierte. Sie war kaum um die Ecke, als Sands Handy klingelte.
»Für Sie«, sagte er nur und reichte es Charlotte, die einen Ausbruch unterdrücken musste, als sie Meyer hörte.
»Ich habe es sicher schon mal gesagt, aber ich erinnere dich noch mal daran: Vor dir stehen deine Widersacher, hinter dir deine Feinde. Was Susanne Branner anbelangt, sind wir einer Meinung, sie ist zu nichts Gutem zu gebrauchen. Mit etwas Glück manövriert sie sich selbst ins Abseits, bis dahin gilt es den Rücken zu schützen. Du hast das gut gemacht.«
»Danke«, schob Charlotte kurz ein, während ihr Magen noch eine Umdrehung machte und sie sich in Bewegung setzte und Henrik folgte, der mit einem verstohlenen Blick auf die Uhr losgegangen war. Die Kamera folgte ihnen den ganzen Weg, der Kameramann war ans andere Ende des Ganges gespurtet, um sie »von vorne zu kriegen«, wie er sagte.
Meyer schnarrte weiter, ein wenig atemlos, ihre Absätze klapperten auf dem Steinboden.
»Ich bin einverstanden damit, dass man genauso gut gleich die Karten auf den Tisch legen kann. Einige von denen werden dich ohnehin hassen, andere werden dich genau deswegen respektieren. Wir müssen zusehen, die Richtigen zu mobilisieren. Toi, toi, toi mit TV2, vor ihr musst du keine Angst haben, sie ist nur Praktikantin. Aber sei trotzdem nett, früher oder später könnte sie mal nützlich sein. Im Übrigen warst du in den Radio-Nachrichten heute Mittag prima. Ich ruf dich heute Abend an. Tschüss!«
Charlotte legte auf, neutralisierte ihren Gesichtsausdruck, gab Henrik das Handy zurück, als sie an einer Toilette vorbeikamen.
»Hier muss ich kurz rein«, teilte sie mit und blieb stehen. Dasselbe taten sowohl der Kameramann als auch die Journalistin, und beide steuerten auf sie zu.
»Ich muss mal. Wollen Sie das auch filmen? Oder fällt das unter Privatsphäre?«
Die Praktikantin kicherte dämlich, der Kameramann, ein junger Flegel mit asiatischen Zügen, legte feixend die Kamera ab.
»Es gibt echt nichts, was euch heilig ist, oder?«
Henrik zuckte mit den Schultern.
»Nein, jedenfalls nicht für Politiker.«
»Das haben Sie in Ihrem Briefing wohl vergessen zu erwähnen«, sagte Charlotte trocken und drückte die Türklinke herunter.
»Ich dachte, das wüssten Sie. Sie haben zwei Minuten, Hände waschen inklusive.«
»Ist da nicht immer so ein Gedrängel in Christiansborg? Am Waschbecken?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und schob die Tür auf.
Die Praktikantin kritzelte pflichtschuldig auf ihren Block, aber obwohl Henrik Sand und der Kameramann laut lachten, bekam sie sie nicht mit. Die Pointe. Aber dafür konnte man ja trotzdem mitlachen.
Sie stahl sich vier Minuten extra auf der Toilette. Ihren Bauch hatte sie schon im Laufe der Nacht und der frühen Morgenstunden geleert, deshalb blieb sie, nachdem sie platschend wie ein Elefant gepinkelt hatte, einfach mit geschlossenen Augen sitzen. Kicherte vor sich hin, so wie damals, als sie jung, freitäglich angeheitert und wankend auf irgendeinem Kneipenklo gesessen hatte, dessen Tür mit platten Emanzen-Sprüchen dekoriert war. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich den absolut banalsten davon gemerkt – »Ich liebe Lasse P« –, der sie immer noch zum Grinsen bringen konnte. »Wer ist Lasse P?«, war auch eine der internen Sachen geworden, die sie gemeinsam hatten, sie und Thomas. Ein kleiner Teil ihrer albernen Gemeinsamkeiten, die man unmöglich übersetzen oder mit anderen teilen konnte.
Auf dieselbe Weise wie damals fühlte sie sich etwas berauscht, stand ein bisschen neben sich, auf eine aufregende, exaltierte Art.
Sie stand auf, zog den Slip hoch und spülte. Thomas hatte Recht. Sie musste zusehen, etwas zu essen zu bekommen. Sonst würde sie in eine Unterzuckerung geraten, bevor sie es irgendwann entweder ins Studio von TV-Stadt oder TV-Lorry schaffen würde. Beiden Sendern hatte sie versprochen, sich für Live-Interviews sowohl für die 19- Uhr- als auch für die Spätnachrichten und für »Deadline« um kurz nach elf bereitzuhalten.
»Umweltministerin!«, grimassierte sie zu ihrem Spiegelbild über dem Waschbecken, nachdem sie einmal mit einer Bürste durch ihre Haare gegangen war, ihren Nacken mit kaltem Wasser erfrischt und darüber geflucht hatte, dass kein Deo in ihrer Tasche war. Sie würde sich umziehen müssen, bevor sie auf fusselfreie Moderatoren treffen konnte. Sie roch einfach zu sehr nach Zoologischem Garten, um auf irgendjemanden glaubwürdig zu wirken. Sich selbst eingeschlossen.
»Umweltministerin«, murmelte sie wieder. »Wem zum Teufel glaubst du, kannst du das weismachen?«
Dann zwinkerte sie ihrem Spiegelbild zu und ging hinaus, wo ihr Gefolge, in der Zwischenzeit um die Referentin Louise Kramer vergrößert, sie ungeduldig erwartete.
»Vamos?«, fragte sie energisch und warf ihren Kopf in Richtung Kamera, die sofort eingeschaltet wurde.
»Vamos a la playa«, hörte Henrik Sand sich selbst antworten, wie in dem Refrain eines Liedes von damals, als er jung gewesen war.
Zurück im Büro, gelang es ihr, den Großteil zweier Stücke Pizza hinunterzuschlingen, bestellt bei einem kurdischen Imbiss in der Nachbarschaft, während Henrik Sand die Strategiepapiere durchging, die erstellt worden waren in der Absicht, die schlimmsten Finten des Gegrilltwerdens in den Abendnachrichten zu umgehen.
»Qs und As«, nickte sie und schob sich die Pizza in den Mund, die höchst unitalienisch mit Kebab, Eisbergsalat und Crème-fraîche-Dressing belegt war. Äußerst primitiv, aber ihre Lieblingsvariante. »Mixed.« Das konnten sie sich gleich merken.
»Qs und As?«, wiederholte Henrik fragend.
»Questions and Answers. Sehen Sie kein CNN?«
Er antwortete mit einer gehobenen Augenbraue.
»Das Problem mit questions and answers ist, dass es trotz allem nie ganz vorhersehbar ist«, sagte sie und griff nach der Cola, die sie auch bestellt hatte. »Man muss also aufpassen, nicht zu fixiert zu sein. Sonst bekommt man Schwierigkeiten mit dem Improvisieren.«
Sie lächelte fügsam, als er die Augenbrauen zusammenzog. Ob es missbilligend oder nachdenklich war, konnte sie nicht ablesen. Und sie hatte nicht die Absicht, ihn zu verletzen.
»Aber darum wäre es natürlich ausgezeichnet, vorbereitet zu sein. Also, gehen wir es durch. Was sagt die Umweltministerin zum Beispiel über den Wasserschutzplan? Mit ihrem basisdemokratischen Hintergrund? Und nehmen Sie schon von der Pizza, Sie haben ja auch noch nichts zu essen bekommen!«, forderte sie ihn auf und schob ihm den Karton hin.
»Danke nein«, sagte er mit schiefem Blick auf die Crème fraîche. »Ich habe ein ökologisches Linsengericht draußen im Kühlschrank.«
Charlotte feixte.
»Was ist mit Cola? Wenn Sie nicht petzen, halte ich auch dicht!«
»Na dann!«, sagte er, ließ die Flasche mit ökologischem Johannisbeersaft stehen und schenkte sich Cola ein. »Über den Wasserschutzplan sagt die Umweltministerin, dass es in die richtige Richtung geht, dass man die Landwirtschaft für die Bereitschaft, ihren Teil der Vereinbarung zu erfüllen, loben muss, aber ...«
»... dass immer noch viel zu tun ist und wir die Resultate in Verbindung mit den Zwischenergebnissen des Wasserschutzplans II genau beurteilen müssen. In dieser Arbeit, die bereits im Gange ist, ist es natürlich meine Aufgabe, mich meiner Kontakte mit den Organisationen, Vereinigungen und Basisbewegungen zu bedienen, die dieses Thema genau verfolgen. Und es ist kein Geheimnis, dass nicht nur die Stickstoff-, sondern auch die Phosphorableitungen der großen Schweinemastbetriebe offenbar erschreckend negative Auswirkungen auf das Wasser haben ...«
»Das reicht!«, winkte Sand ab. »Passen Sie auf, dass Sie nicht zu tief in den Wald geführt werden!«
»Weil