Hanne-Vibeke Holst

Die Kronprinzessin


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und jünger ist, sondern auch über mehr einflussreiche Freundinnen verfügt als ich«. An sich schon skandalös und ausreichend, um den Staatssekretär, den Leiter des Ministerbüros und die Referenten perplexe »take action«-Blickeaustauschen zu lassen. Aber die Unangemessenheit wird noch größer, als er nach ihrer Hand greift und sie festhält – obwohl Charlotte, selbst kurz vor dem Erbrechen, versucht, sie zurückzuziehen –, um schließlich zum eigentlichen Clou zu kommen: der Geschenkübergabe. Was – wenn das überhaupt möglich ist – die Situation noch schlimmer und so furchtbar macht, dass eine Frau (wie Charlotte später erfährt, seine Sekretärin und treue Geliebte) plötzlich in Tränen ausbricht und sich einen Weg nach draußen bahnt, woraufhin Charlottes zorniges Unbehagen dem Mitleid weicht. Großer Gott, da! Aus einer Plastiktüte zieht er einen nicht eingepackten, ausgestopften Vogel, der auf einem Zweig sitzt.

      »Ein Hühnerhabicht«, erläutert er und versucht Charlotte zu fixieren, die ohne ihr Gedächtnis zu konsultieren sicher ist, dass dies der peinlichste Moment ihres Lebens ist. »Und warum habe ich nun beschlossen, dir einen Hühnerhabicht zu schenken?«, fragt er rhetorisch. »Ja, einerseits, weil ein Raubvogel wie dieser die bedrohte Natur repräsentiert, die du und ich mehr lieben als alles andere. Und andererseits, weil du dich jetzt unter Raubtieren befindest und in dem Amt, das du nun bekleiden sollst, die Natur selten zu Gesicht bekommen wirst, abgesehen von den Tauben auf dem Højbro Plads. Und dann noch, weil du ... – auch wenn du so tust, als wärst du scheißgrün und gut und nachhaltig – aber Charlotte, ich habe dich durchschaut, du bist ebenso Habicht wie Huhn! Und in diesem Sinne bist du keinen Deut besser als wir anderen! Amen!«

      Charlotte sieht gerade noch den Schritt, den er auf sie zu macht, den Vogel in der ausgestreckten Hand, eine halbe Schuhlänge über der Podiumskante, dann stolpert er und stürzt, in die Arme des Ministerbüroleiters und in ihre eigenen. Er ist schwer, sie fallen beide fast mit um, werden aber von den Umstehenden gehalten, woraufhin andere übernehmen und ihn auf einen Stuhl befördern.

      »Er braucht Luft, wir müssen ihn rausbringen!«, gibt Sand Jensen brüsk Order, Sicherheitspersonal taucht plötzlich auf, man hört das Wort »Krankenwagen« in dem aufgeregten Gemurmel, aber Søren Schouw schlägt abwehrend mit den Händen um sich und erklärt, dass er einfach nur ein bisschen sitzen muss. Er bekommt Wasser, sitzt mit dem Kopf zwischen den Knien, als der Staatssekretär Charlotte zunickt und sie das Podium besteigt. Sie blickt ein paar Sekunden über die erschütterte Versammlung, faltet ihre vorbereitete Rede auf, zögert und faltet sie wieder zusammen. Weiß, dass sie nicht hier stehen und brillieren kann vor einem so armseligen Hintergrund. Sie muss improvisieren. This is an emergency Situation.

      »Ihr Lieben«, beginnt sie in die dichte Stille hinein, die sich wie ein Baldachin zwischen den gelb gekalkten Wänden ausgebreitet hat. Ihre Stimme zittert leicht, sie hört es selbst. Räuspert sich, nippt an ihrem Glas, findet einen Fixpunkt in der Menge vor sich, ein anonymes Gesicht, mit dem sie sprechen kann, Kontakt bekommen.

      »Shakespeare hat uns gezeigt, dass Politik ein blutiges Handwerk ist. Vielleicht ist das der Grund, warum wir, die wir außerhalb der Arena standen, aber fasziniert von der Seitenlinie aus zuschauten, es vermieden haben, dieses Universum zu betreten, in dem aus Freunden Feinde werden, wo man Untaten belohnt und wo nicht immer die Gerechtigkeit siegt. Jedenfalls nicht kurzfristig. Von außen betrachtet, erscheint das einfach zu roh. Zu unschön. Das Forum Romanum der Moderne. Aber wenn es so einfach wäre, würde keiner von uns heute hier stehen. Denn Politik heißt ja auch, für das Schöne zu kämpfen – für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Und hier, an diesem Ort, in diesem Ministerium – von dem ich mir in meinem Innersten vielleicht schon immer gewünscht habe, eines Tages an seiner Spitze stehen zu dürfen –, hier ist es und muss es unser Privileg sein, für etwas so Bedeutendes zu kämpfen wie die Natur und den Umweltschutz, denen wir uns trotz allem unterwerfen müssen, wenn wir als Art überhaupt überleben wollen.«

      Sie registriert, dass inzwischen einige zustimmend nicken. Aber es finden sich auch die, die ihr mit verschränkten Armen zuhören, mit einem Ausdruck frontaler Ablehnung. Aber hatte jemand gesagt, es würde leicht werden? Sie sucht sich ein paar derjenigen aus, die am meisten Vorbehalte zu haben scheinen, und blickt sie fest an, als sie zum Ende kommt.

      »Ich habe nicht die Illusion, allein die Zerstörung der Ozonschicht verhindern zu können oder die Verschmutzung des Grundwassers. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich demütig alles tun will, was in meiner Macht steht, damit wir hier im Umwelt- und Energieministerium die gute Arbeit fortsetzen können, die Sie schon immer geleistet haben ...«

      Sie merkt, dass die merken, dass sie auf der Stelle tritt. Diese verdammte Geschenkübergabe macht den Rhythmus kaputt. Aber es geht nicht anders. Sie muss den Stier bei den Hörnern packen und es hinter sich bringen. Auch wenn ihr Geschenk kaum deplatzierter hätte ausfallen können, in Anbetracht der Situation. Sie schielt zu Søren Schouw, der immer noch vornübergebeugt dasitzt. Aber als sie ihn direkt anspricht, hebt er seinen Kopf mit einem Ruck an. Seine Kampfbereitschaft wirkt in dem Zustand totaler Auflösung, in dem er sich befindet, zugleich komisch und erschreckend. Hätte er ein Gewehr, wäre er bereit, sie zu erschießen. Charlotte verlagert ihr Gewicht auf den anderen Fuß, bleibt sonst aber ruhig. Hält ihr Lächeln. Besteht auf den Blickkontakt.

      »Bei meiner Verabschiedung neulich hast du eine hübsche Rede für mich gehalten. Und dafür würde ich mich wirklich gerne revanchieren, wenn ich nur etwas Ordentliches zu sagen hätte. Aber Søren, du bist ja selbst ein Befürworter der ›direkten Kommunikation wie‹ du es nennst. Also erlaube mir, den ministeriellen Sprachgebrauch zu verlassen oder, wie du es vielleicht gesagt hättest: Let’s cut the bullshit und lass uns die Dinge beim Namen nennen. Von deinem Standpunkt aus gesehen, ist das hier heute kein Festtag, du wärst gerne geblieben und hast wohl auch damit gerechnet zu bleiben. Was kann ich also sagen oder tun, das nicht nur Salz in deiner Wunde ist? Nicht viel mehr, als meinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, dass du meinen Respekt entgegennimmst für den großen Einsatz, den du über die Jahre für die ›Sache‹ gebracht hast. Du hast uns von der Basis immer zugehört, wir wurden immer eingeladen; und manchmal, wenn wir nicht zu ›wild‹ waren, hast du auch einiges von dem übernommen, was wir gesagt haben. Ich weiß nicht, ob ich dir zu nahe trete, wenn ich sage, dass ich zumindest in der letzten Zeit etwas besorgt um dich war. Dachte, dass du aussahst wie jemand, der frische Luft braucht und ein Stück Erde, um darin zu graben. Jemand, der Akten, Rundschreiben und Reden einfach nur satt hat. Sodass ich dir, wenn ich gekonnt hätte, heute ein Schrebergartenhaus geschenkt hätte. Aber auch das ist, wie du ja weißt, eine knappe Ressource. Stattdessen habe ich dir ein kleines Stück Natur aus Vendsyssel mitgebracht – du hast ja oft davon gesprochen, wie sehr du den hohen Himmel und den weiten Blick dort schätzt: schwarze Krähenbeeren, von meiner Mutter an einem schönen Sommertag an der Skagen Odde gepflückt und mit Jubilaeums-Aquavit übergossen. Danach durften sie ein Jahr ziehen – und so bekommst du einen echten Magenbitter, der zwar ein bisschen brennt, aber vor allem stärkt, an einem kalten Wintertag wie diesem ...«

      Mit Hilfe der Sicherheitsleute, die ihn nicht loslassen, ist Søren Schouw auf die Beine gekommen. Er will sich bewegen, auf sie zugehen, um die Flasche entgegenzunehmen, die sie aus ihrer Tasche herausgeholt hat. Aber sie kommt ihm zuvor, steigt vom Podium und geht zu ihm. Wieder müssen sie eine Umarmung durchstehen, die sich nicht weniger gefährlich anfühlt als die vorherige. Aber diesmal ist er schlaffer, registriert sie – und doch vermag er es, sie lange genug festzuhalten, um ihr ein »Bitch!« ins linke Ohr zu zischen.

      Woraufhin sie beide sich umdrehen und zu den Fotografen lächeln. Die verschießen pflichtschuldigst noch einen Film, obwohl sie von dieser Vorstellung viel bessere Bilder im Kasten haben.

      »Dieser Mann ist ja wohl verdammt noch mal nicht ganz dicht! Ein ausgestopfter Vogel!«

      Der Leiter des Ministerbüros, Henrik Sand Jensen, donnerte den Hühnerhabicht hart auf den Schreibtisch, als der innere Zirkel sie in das geräumige Eckbüro geführt hatte, das noch bis vor einem halben Tag das ihres Vorgängers gewesen war. Sie war durch das Fegefeuer der Reporter gegangen, die hatten ihre Einzel-O-Töne bekommen, danach hatte sie die Vorzimmer-Mitarbeiter begrüßt, war der rotäugigen Sekretärin vorgestellt worden und den beiden anderen Mitarbeitern, die vom Drama des Tages nicht ganz so mitgenommen waren. Louise Kramer schloss