Hanne-Vibeke Holst

Die Kronprinzessin


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gerechnet: Charlotte Damgaard, neue Umwelt- und Energieministerin, bis vor kurzem Vorsitzende der Vereinigung der Naturfreunde. Sie verfügt nicht nur über profunde fachliche Kenntnisse im ganzen Umweltbereich. Wir kennen sie auch in der Partei als junge, engagierte, visionär denkende Frau, die trotz ihres akademischen und spezialisierten Hintergrundes in der Lage ist, das Gras wachsen zu hören. Vielleicht kurz vor uns anderen. Ich bin sehr froh darüber, dass Charlotte zugestimmt hat, sich dieser Aufgabe anzunehmen.«

      »Warum habe ich das?.«, schreibt sie vor sich auf den Notizblock, während der Staatsminister die Vorstellung beendet, und dann erwartet sie die ersten scharfen Fragen.

      Aber auf sie wird nicht zuerst geschossen. Sondern natürlich ist es der Staatsminister, der die Rochade als solche verteidigen muss. Glaubt er wirklich, dass er so die schlechten Umfrageergebnisse verbessern kann? Worin liegt die eigentliche Erneuerung? Hat er sich Gedanken darüber gemacht, der Aufforderung der »Börse« zu folgen und selbst zurückzutreten? Und warum wurden die gefeuerten Minister gefeuert?

      Der Staatsminister pariert, spricht von »einer gewissen Materialermüdung hie und da«, von dem Bedarf nach »Rotationsordnungen auf dem Arbeitsmarkt« und von seiner eigenen Verantwortung als »Kapitän des Schiffes«.

      »Ich beabsichtige nicht, die Brücke zu verlassen«, sagt er, »besonders jetzt nicht, wo wir uns in gefährlichen Gewässern voller Klippen, um nicht zu sagen Haien, befinden.«

      »Weil ich ...«, steht jetzt auf Charlottes Zettel, gefolgt von einem Streifen siebenzackiger Sterne und Kugelschreiber-Ornamente. »Darf, muss, soll???«, schreibt sie, als Siggi, der Wolf aus der Ekstra-Bladet-Redaktion,der lange nur dagesessen und sie lauernd angelächelt hatte, mit seinem gedehnten ostjütländischen Dialekt zuschlägt.

      »Warum zum Beispiel musste der ausgezeichnete Umweltminister Søren Schouw gehen? War er auch materialermüdet? Oder war er einfach nicht so schön, jung und weiblich wie seine Nachfolgerin?«

      Der Staatsminister kneift die Lippen zusammen, wie er es staatsmännisch gewohnt ist. Charlotte hebt ihr Kinn ein wenig und sieht den Gnom in Lederjacke direkt an. Er soll nicht glauben, dass sie sich einschüchtern lässt. Er lächelt sie schleimig an. Sie lächelt zurück. Genauso schleimig. Idiot.

      »Søren Schouw ist einer der Veteranen der Regierung. Er hat über viele Jahre einen f ormidablen Job gemacht, auch in den letzten Jahren als Umweltminister. Es ist unter anderem sein Verdienst, dass wir den Wasserschutzplan durchführen konnten, die Energie-Reform und ...«

      »... das Mega-Zentrum in Ørestaden!«, sagt einer, irgendwo in der Menge.

      »... so weiter. Ich habe Verständnis dafür, dass Søren Schouw das Bedürfnis hat, eine etwas mehr zurückgezogene Rolle zu spielen, und das ist es auch, was er jetzt tun wird. Er wird eine wichtige Funktion in der Partei im Vorfeld der kommenden Wahl übernehmen. Was, wie ich ohne weiteres hinzufügen kann, einstweilen noch nicht so weit ist.«

      Es wird noch ein wenig weitergebohrt im Thema Søren Schouw, Charlotte hört wachsam zu, weiß, dass sie jetzt ins Visier gerät. Kameraassistenten krabbeln auf dem Boden herum, einer stolpert fast über ein Kabel, als er das Mikrofon vor ihr einstellen will.

      TV2 kommt als Erstes mit der Frage, die vermutlich allen auf der Zunge liegt:

      »Charlotte Damgaard, Sie haben nicht nur eine Vergangenheit als Vorsitzende der Vereinigung der Naturfreunde, sondern auch als Kampagnenleiterin bei Greenpeace, und Sie haben sich in unzähligen Zusammenhängen als ziemlich ausgeprägte Kritikerin der Umweltpolitik der Regierung hervorgetan. Sind Sie jetzt zum Feind übergelaufen, oder was?«

      Charlotte befeuchtet ihre Lippen, lehnt sich leicht über den Tisch, reißt die Augen ein ganz klein wenig auf und wendet sich mit einem entwaffnenden Lächeln dem Reporter zu.

      »Nun, es ist wohl eher der Feind, der zu mir übergelaufen ist!« Sie lässt dem zustimmenden Lachen Raum, bevor sie sich beeilt fortzufahren und ihm die Frage aus dem Mund zu nehmen. »Aber wenn Sie danach fragen, warum ich mit meiner basisdemokratischen Vergangenheit das hier mache, dann gibt es darauf nur die schlichte Antwort, dass ich glaube, dass ich es anders machen kann. Ich muss hinzufügen, dass ich in meiner früheren Position schließlich einsehen musste, dass, obgleich man als außerparlamentarische Organisation viel ausrichten kann, die Gesetze doch in Christiansborg und Brüssel gemacht werden. Man könnte vielleicht sagen, dass ich die nötige Reife erreicht habe, die es braucht, um die eigentliche parlamentarische Verantwortung zu übernehmen.«

      »Sehr gut«, hat Meyer auf ihren Block geschrieben, den sie unmerklich einen Millimeter in Richtung Charlotte schiebt. »Sag so wenig Konkretes wie möglich, aber lüg nicht!«, hatte sie ihr gestern Abend geraten.

      »Sie haben ja früher unter anderem zum Totalverbot von Pestiziden, darunter Roundup, aufgefordert. Sie sind auch gegen genetisch veränderte Feldfrüchte, selbst auf Versuchsbasis, und Sie waren auch ziemlich skeptisch, ob Dänemark seine Ziele in Hinblick auf die Reduzierung des CO2 -Ausstoßes erfüllen könnte oder wollte. Und dann waren Sie auch nicht gerade zurückhaltend in Ihrer Kritik an der Gülle-Ableitung der Landwirtschaft! Sind Sie noch genauso kritisch, oder werden Sie die grüne Geisel der Regierung sein?«, fragt die Umweltmitarbeiterin der Tageszeitung »Information«, eine kompetente Fundamentalistin, die prinzipiell immer zu den Freunden zählte, die sie aber auf persönlicher Ebene noch nie hatte ausstehen können.

      Der Staatsminister öffnet den Mund, als ob er bereit wäre, sie zu retten. Immerhin ist es trotz allem der erste Schultag. Keine Fehler, danke. Aber Charlotte weiß, was sie tut. Die Journalistin hat den Fehler begangen, mehrere Fragen auf einmal zu stellen, was ihr eine Wahlmöglichkeit gibt.

      »Nein, ich bin keineswegs die grüne Geisel der Regierung. Was das CO2 anbelangt, ist die Regierung ja auf dem besten Weg, ihre Pflicht zu erfüllen, sowohl gegenüber der Rio-Konferenz als auch dem Kyoto-Protokoll. Also wage ich es zu versprechen, dass wir es schaffen werden, unseren CO2 -Ausstoß bis 2005 um 21 % zu reduzieren. Ansonsten möchte ich gerne sagen, dass ich grundsätzlich dieselben Ansichten vertrete, wie ich es die ganze Zeit über getan habe. Ich will immer noch dafür kämpfen, dass meine Enkelkinder sauberes Wasser aus der Leitung trinken können, dass auch in hundert Jahren noch Unken in einer dänischen Sommernacht quaken, dass es auch in drei Generationen noch das Glück gibt, auf einer Erde zu wohnen, auf der es Regenwälder gibt, auf der Zitronenfalter zwischen der Wäsche auf der Leine flattern, auf der die Wüsten im Süden sich nicht weiter ausgebreitet haben und auf der es im Norden nicht unaufhörlich regnet. Aber«, sagt sie und macht eine kurze Pause, die den Ausschlag gibt, »ich respektiere, dass ich ein anderes Mandat mit einem anderen Spielraum habe, den ich selbstverständlich in alle Richtungen auszunutzen beabsichtige. Sonst wäre es sinnlos.«

      Der Staatsminister nickt zufrieden. Bei allem Respekt, er hatte nicht geahnt, dass sie reden konnte. Oratorisch. Und kann es nicht lassen, selbst noch etwas beizutragen.

      »Ich kann Ihnen versichern, dass der Ernennung von Charlotte Damgaard kein Maulkorb beigefügt war. Und hiernach muss ich Sie auffordern, weitere Fragen an Charlotte Damgaard für die Interviews aufzuheben, denen sie sich im Anschluss sicherlich gerne stellen wird.«

      Eine Hand schnellt spontan hoch.

      »Ja, Thor?«

      »Wie verhält sich die neue Umweltministerin zur Energie-Reform? Da gab es ja einige Unzufriedenheit ...«

      »... nicht zuletzt bei den Leitartikelschreibern der Jyllands Post«, sagt sie mit einem Lächeln, das umgehend das des Fragers schluckt. »Als Ausgangspunkt, meine ich, ist es absolut legitim, dass der Energiesektor für die Umweltkosten bezahlt, die mit der Produktion von Strom und Wärme verbunden sind, auch wenn es sich um Windmühlen handelt. Aber ich habe begriffen, dass gewisse Parteien im Parlament diese Ansicht nicht teilen, sondern eher Verständnis für die Haltung der Energieerzeuger aufbringen. Nachdem das gesagt ist, möchte ich noch hinzufügen, dass ich nicht so politisch korrekt bin, dass mich das stören würde ...«

      Der Staatsminister atmet durch, ist schon dabei, weiter zum nächsten zu eilen, als Thor Thorsen dazwischengeht.

      »Nur