traditionellen Aufstellung der neu ernannten Minister. Sie waren kaum aus der Tür getreten, als das Gebrüll losbrach, aus einer Mauer von Presseleuten mit und ohne Kameras, die eine dreif lügelige Front vor ihnen gebildet hatten.
»Gruppenbild mit drei Damen«, bemerkt der Staatsminister witzig, als er sie so sortiert hat, dass die neuen, unverbrauchten Namen in vorderster Reihe stehen und die Veteranen, die nur das Ministerium gewechselt haben, im Hintergrund platziert sind. Mit der galanten Ausnahme, dass Elizabeth Meyer, neu ernannte Außenministerin, neben Charlotte landet. Der Staatsminister selbst steht jetzt in der Mitte, flankiert von Charlotte und Christina Maribo, einem sozialdemokratischen Arbeitspferd, der schon im Vorfeld ein Platz in der neuen Regierung vorausgesagt worden war und die deshalb keine besondere Sensation als Stadtund Wohnungsbauministerin ist.
»Ich freue mich, mein neues Team vorstellen zu können«, sagt Per Vittrup und versucht, die Handwerker zu übertönen, die lärmend dabei sind, ein Gerüst unten bei den Kolonnaden über die Amaliegade abzubauen. Staub und Putz legen sich fein auf den blauen Anzug, zurechtweisende Blicke werden zu den Arbeitern geworfen, aber die machen ungerührt weiter. Das ist der letzte Tag vor den Weihnachtsferien, Mann!
Der Staatsminister macht einen tänzelnden Schritt zur Seite und breitet präsentierend die Arme aus.
»Wie Sie sehen, repräsentieren die neuen Minister sowohl Jugend als auch Weisheit«, leitet er jovial ein, »und an diesem Tag, dem kürzesten des Jahres, kann ich also gelassen sagen, dass wir lichteren Zeiten entgegengehen.«
Er nimmt seinen Platz im Zentrum ein, Fotografen auf hohen Leitern wechseln die Objektive, Kameraleute ändern den Winkel, und Neugierige drängeln, um etwas sehen zu können. Charlotte bemerkt seine Hand, die leicht um ihre Schulter greift, und es ist diese Berührung, die so sehr kitzelt, dass sie kurz davor ist loszulachen.
»Charlotte!«, ruft ein Fotograf. »Hierher schauen!« Sie gehorcht unwillkürlich und dreht den Kopf in Richtung des Rufes, obwohl sie kein Gesicht sieht, nur die Linse der Kamera.
Ihre Anspannung und die eisige Kälte, die über den Schlossplatz zieht, lassen sie mit den Zähnen klappern, aber dann ist da Meyer mit einem leisen »Entspann dich. Dann frierst du nicht«.
Sie lässt die Schultern fallen, holt tief Luft, so, wie sie es in der Geburtsvorbereitung gelernt hat. Das hilft, die Hysterie verschwindet, und sie ist schließlich wirklich anwesend. Ihr Lächeln ist weniger angespannt, sie merkt, wie der Nebel sich hebt und der Schlossplatz unter dem Schleier hervorkommt. Die Palais, die Ritterstatuen, die leuchtend roten Wachhäuschen, die Polizisten, die die Horde auf Abstand halten, und die Gruppe japanischer Touristen, die versehentlich Zeugen eines zutiefst dänischen Vorgangs werden. Sie besinnt sich auf sich, konzentriert sich auf das Presseaufgebot, und gerade hier vor ihren Objektiven, die alles und dennoch gar nichts sehen, geht die Häutung vonstatten. Sie legt die Unsicherheit ab, den Widerstand und die Vorbehalte, und nimmt die Rolle an. Sie ist nicht länger Charlotte. Sie ist Ministerin. Und als solche richtet sie sich kampfbereit auf. Erkennt ein paar Journalisten wieder, lächelt zu Andreas von den Fernseh-Nachrichten und erspäht auch ein paar der Kollegen aus dem Büro, die dastehen und grinsend mit Flaggen und Blumen winken. Thomas muss getratscht haben. Sie winkt diskret und denkt schon darüber nach, welche Botschaften sie für die Medien parat haben sollte, wenn die sich im Anschluss auf sie stürzen werden. Soundbites für die elektronischen Medien, ein paar markante Hauptsätze für die Tagespresse, etwas Langes und Perspektivenreiches für die »Information« und das Pi-Magazinprogramm, ein paar Mini-Sätze für die Boulevardblätter.
»Wollt ihr auch unsere Fingerabdrücke?«, ruft der neu ernannte Justizminister, einer der vorwitzigen Burschen, die gewöhnlich als Kronprinzen ausgerufen werden.
»Ja, das IST schließlich eine Ansammlung von Verbrechern«, gibt ein bauchlastiger Reporter des Ekstra Bladets mit Lederjacke zurück, den Charlotte mit einem gewissen Missbehagen wiedererkennt. Siggi nennt er sich, und er ist genauso verschlagen, wie er schmierig ist. Dennoch lacht sie mit – der Champagner, die Anspannung, die Nervosität bringen sie alle dazu, in dieser landschulheimartigen Partystimmung etwas über die Stränge zu schlagen, die sie von anderen Regierungspräsentationen kennt. Dass das nicht besonders kleidsam ist am nächsten Tag, weder auf dem Bildschirm noch in den Zeitungen, auch daran erinnert sie sich. Aber what the f uck, man hat ja wohl trotzdem das Recht, sich ein bisschen zu freuen. Es ist schließlich kein Verbrechen, Ministerin zu sein!
Ein plötzlicher Windstoß fährt ihr in die Haare, sie hebt die Hand, um sie wieder aus dem Gesicht zu streichen, und ihre Aufmerksamkeit wird von einer Gestalt gefangen genommen, die, aus der Frederiksgade kommend, über den Schlossplatz trottet, eine gelbe Netto-Tüte in der Hand. Ein buckliger Mann in einem ausgeblichenen grünen Parka, der nur einen flüchtigen Blick in Richtung dieses monströsen Aufmarsches wirft, bevor er weiterschlurft auf seiner Jagd nach Flaschen. Sie schnappt erschrocken nach Luft, Reaktion auf das Erkennen und zugleich auf das Entsetzen darüber, dass sie es immer noch glaubt. Dass es ihn gibt. Dass er auftaucht wie ein Phantom, in Verkleidung oder als er selbst in seiner Strickjacke, immer, wenn sie ihm etwas Besonderes zu zeigen hat. Etwas, worauf er stolz sein kann. So wie zu ihrer Konfirmation. So wie zur Abschlussfeier, wo sie ununterbrochen ihre Studentenmütze aufhatte, weil es ihn glücklich gemacht hätte. Stolz und glücklich auf dieselbe strahlende Art wie damals, das Frühjahr davor, als Lisbeth und sie eine Prämie für ihren Kürbis beim Treffen der Landjugend bekamen.
Nicht, dass ihre Mutter nicht auch verflucht glücklich gewesen wäre, als ihre Tochter sie kurz nach sieben mit der Neuigkeit angerufen hatte. Sogar so glücklich, dass sie »kurz davor war zu weinen«. Kurz davor. Aber okay, sie kam gerade von einer hektischen Nachtwache, also, was wollte man erwarten. Charlotte hatte sie gebeten, Lisbeth und Erik darüber zu informieren, ihre Schwester und deren Mann, den Schweinebaron, der vermutlich nicht in Jubel über ihren neuen Job ausbrechen würde. Sie waren, um es vorsichtig auszudrücken, äußerst uneins in ihren Analysen über die Verantwortung der Landwirtschaft gegenüber dem Umweltschutz. Lars, ihren lieben kleinen Bruder, hatte sie selbst angerufen – lang lebe das Handy –; er saß auf einem Rastplatz in Österreich im Lastwagen und trank Kaffee, mit Hilfsgütern auf dem Weg in den Kosovo. Er war ganz außer sich, Großartig, der Wahnsinn!, und hatte sie später noch einmal anrufen müssen, um sicherzugehen, dass er es nicht nur geträumt oder sich in morgendlicher Verwirrtheit eingebildet hatte. Thomas hatte sich um die Schwiegereltern gekümmert, und ihre Reaktion war absehbar gewesen. Eine gewisse Verlegenheit gegenüber Titeln, gemischt mit dem Unwillen darüber, dass ihr Sohn schon wieder betrogen worden war. Und dann hielten sie auch nicht gerade viel vom Staatsminister, der Regierung und der Sozialdemokratie an sich.
»Na, Charlotte«, sagt Per Vittrup zu ihr und drückt ihr leicht die Schulter. »Du hast es nicht bereut?«
»Nein«, sagt sie und wird von einem plötzlichen Schaudern geschüttelt.
Per Vittrup lässt sie los.
»Wärt ihr jetzt so nett, das Shooting zu beenden!«, teilt er mit. »Die Mädchen frieren. Wir sehen uns zur Pressekonferenz im Speisesaal!«
Wie auf Stichwort gellt plötzlich ein zweistimmiges »MAAMMAA!« über Amalienborgs Schlossplatz, und dann kann sie das Lachen nicht länger zurückhalten – Thomas kommt mit Jens und Johanne angesprintet, die Kinder wie zwei bunte Astronauten im Fahrradanhänger sitzend. Er hält erst, als er auf einer Linie mit der Mauer aus Presseleuten ist, die gerade dabei war, auseinander zu fallen, sich aber jetzt mit einem Mal wieder formiert, die Kameras auf die Zwillinge der Umweltministerin gerichtet, die, als sie abgeschnallt sind, sofort auf ihre Mutter zustürmen. Ihre Ministerkollegen, die sich gerade in alle Richtungen verteilen, lachen, als sie in die Hocke geht und ihre Kinder in den Arm nimmt, die nicht mal bemerken, dass sie unter kräftigem Medienfeuer stehen.
»Hast du den König gesehen?«, fragt Johanne.
»Die Königin«, verbessert Charlotte und versucht ihre Strümpfe vor Stiefelabdrücken zu bewahren.
»Bist du jetzt Staatsministerin?«, fragt Jens.
»Noch nicht!«, bemerkt Per Vittrup und tätschelt ihnen den Kopf. Die Journalisten haben die Blöcke gezückt,