Hanne-Vibeke Holst

Die Kronprinzessin


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Pferd in die Burg geholt hat?«

      Der Staatsminister lächelt väterlich zu dem jungen, schlipstragenden Heißsporn.

      »Ich bin gerührt darüber, wie sich die Jyllands Post um die Regierung kümmert. Damit werden wir sonst nicht so verwöhnt! Aber ehrlich gesagt, nein, ich bin nicht nervös. Ein wenig Wiehern und ein paar wohl dosierte Tritte in unserem Gewohnheitsdenken tun uns wahrlich gut. Das ist doch genau die Herausforderung, die wir brauchen. Und außerdem ...«, setzt er an, schafft es aber noch, es zurückzuhalten. Das darf er nicht sagen. Absolut nicht. Trolle kann man zähmen wäre eine wirklich sehr unpassende Bemerkung. Die muss er sich für den internen Gebrauch aufheben,»... und außerdem ist Charlotte Damgaard ja – trotz allem – nicht gerade eine Extremistin. Wie sie sagte, ist die Regierung äußerst ambitioniert auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Also, meine Damen und Herren!«

      Kurz bevor es dem Staatsminister gelingt, das Thema zu beenden, kommt ihm Andreas Kjølbye von den Fernseh-Nachrichten dazwischen. Sie lächelt einverstanden, während er seine Frage stellt. Endlich ein weißer Mann unter diesen Hottentotten. Sie waren beide bei der Schülerzeitung gewesen und hatten eng miteinander getanzt, damals, auf dem Gymnasium in Bronderslev.

      »Wie lange bleiben Sie?«, fragt er, ebenfalls mit einem Lächeln im Augenwinkel. Sie versteht haargenau, worauf er abhebt. Wo ihre Grenzen liegen. Bis wohin sie mitmacht. Darüber müssen sie irgendwann bei einem Bier diskutieren, off the record. Also zieht sie sich aus der Affäre, lächelt dieses besondere schiefe Lächeln, für das er in aller Heimlichkeit schon immer eine Schwäche gehabt hatte und dessen sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht einmal bewusst ist:

      »So lange es dauert!«

      Elizabeth bricht in spontanes Lachen aus, der Staatsminister stimmt trotz leicht zusammengezogener Augenbrauen ein, Andreas Kjølbye nickt anerkennend, und während die Kollegen beifällig lachen, notiert Siggi vom Ekstra Bladet: »Charlotte D. eroberte die Presse im Sturm. Neue Kronprinzessin?«

      Das Ministertreffen, eine kurze gegenseitige Vorstellung, »bevor wir uns in die Arbeit stürzen«, ist eine zivilisierte Insel im aufgewühlten Meer dieses Tages. Dort herrscht eine vorausgesetzte Sympathie für die neuen Namen, die plötzlich mitten in diesem Inferno gestrandet sind, Himmel und Hölle aus Hysterie und Drama, und von denen erwartet wird, dass sie ohne das geringste Wackeln damit umgehen können. Charlotte wünschte, sie könnte noch ein wenig bleiben. Sich mit den Alten austauschen, in einem bequemen Stuhl verschnaufen können und nur für einen Augenblick die Ereignisse einholen dürfen, die Stunde für Stunde kürzer erscheinen lassen. Aber sie schaffen es kaum, noch ein Glas Champagner auszutrinken, bevor die neuen Minister zu den Übertragungsformalitäten weitergejagt werden, die ursprünglich als interne Veranstaltung gedacht waren, in die sich aber in den letzten Jahren zunehmend Presse eingeschlichen hat, sodass jede Träne und jede bittere Mimik dem Fernsehpublikum vorgeworfen werden kann, als reality-tv live. Entsprechend bange Ahnungen hat Charlotte, bevor sie zu ihrer Sitzung weiter muss. Meyer hat angedeutet, dass Søren Schouw es »sehr schwer genommen hat«, und die junge Referentin Louise Kramer hat ohne Umschweife die Augen verdreht und gesagt, dass »Søren Schouw total ausgeflippt ist«.

      Und als sie nach der kurzen Fahrt von Christiansborg in dem überdachten Innenhof des Umweltministeriums am Højbro Plads ankommt, wo sie oft zu formellen und informellen Treffen gewesen war, nun eskortiert von den beiden hektischen Referenten, Jakob Krogh und der untergeordneten Louise, beide konstant damit beschäftigt, sie in Blitzgeschwindigkeit zu briefen und unaufhörlich Anrufe auf dem Handy entgegenzunehmen, vor ihnen Angestellte und Presse, die sich gegenseitig schon auf den Füßen stehen – da wird ihr klar, dass sie sich jetzt in das emotionale Epizentrum der Politik begibt. Der Staatssekretär, Finn Wedel, ein nobler weißhaariger Herr, empfängt sie, stellt sie dem Leiter des Ministerbüros vor, Henrik Sand Jensen, woraufhin sie, an gedeckten Tischen mit Wein und Snacks vorbei, zu dem kleinen Podium geleitet wird. Von dort aus erblickt Søren Schouw sie, breitet sofort die Arme aus und macht einen großen Schritt auf sie zu. Sie versteinert, wird trotz eines Abstands von mehreren Metern von einer gewaltigen Alkoholfahne getroffen. Geht aber mechanisch weiter auf diesen Mann zu, der in den letzten zwölf Stunden alles verloren hat und dem es nur notdürftig gelingt, die Reste seiner selbst zusammenzuhalten, und der seinen geöffneten Armen und seinem Onkellächeln zum Trotz seinen Hass nicht verbergen kann. Auf sie. Die er für alles zusammen verantwortlich macht. Er zieht sie an sich, und in dieser Umarmung, die sie erwidern muss, ist eine Klinge verborgen, sie weiß das, sieht sich selbst schon zusammensinken, ein Messer im Rücken, in einer Blutlache auf gesprenkelten Granitplatten.

      »Charlotte!«, ruft er aus, als er sie loslässt, »das hätte ich mir nicht träumen lassen. Es war Meyer, oder?«, fragt er so laut, dass es nicht nur im engen Kreis zu hören ist, sondern sich wie ein Echo ringsum in der Menschenmenge verteilt. Meyer, Meyer, Meyer.

      »Hier, nimm ein Glas, und dann bringen wir es hinter uns«, sagt er und drückt ihr ein Glas Weißwein in die Hand, stößt mit seinem an, während der Staatssekretär mit einem Stapel Karteikarten das Podium betritt.

      Während der Rede – einer Meisterleistung der Diplomatie in der artistischen Balance zwischen respektvoller und persönlicher Verabschiedung des scheidenden Ministers und einem nicht weniger volltönenden Willkommenheißen der antretenden Nachfolgerin – setzt sie, ohne auch nur die geringste Parteinahme anzudeuten, ihr aufmerksames, wohlwollendes Lächeln auf Standby und rekapituliert. Eine Strategie, die sie sich in entsprechend angespannten Situationen beigebracht hat, wo es von größter Bedeutung war, siegreich aus einer Konfrontation hervorzugehen. Wie auf einer früheren Generalversammlung der Naturfreunde, als auf einmal eine Flanke älterer verknöcherter Mitglieder auftauchte, die sich im Schutz ihrer Unerfahrenheit so schnell organisiert hatten, dass sie kurz davor waren, die Mehrheit zu erreichen, um sie abzusetzen. Offiziell auf Grund von Unklarheiten in der Rechnungsführung, mit der sie nichts zu tun hatte, inoffiziell, weil sie der Ansicht waren, sie ginge »viel zu weit« in ihrer Modernisierung der alten Vereinigung, die im Naturschutz ihren Ursprung hatte. In Wirklichkeit war es der Gegensatz zwischen »Stadt« und »Land«, der sich plötzlich offenbarte. Im letzten Moment witterte sie die Gefahr, schaffte es, eine Gegenoffensive auf die Beine zu stellen und den Putsch abzuwehren. Seitdem hat sie gelernt, mit dem Begriff »politische Feinde« zu operieren. Auch wenn ihr persönlich diese Paranoia immer noch irrelevant und komisch vorkam, die nicht zuletzt in Christiansborg verbreitet ist, wo sie seinerzeit darüber belehrt wurde, nie etwas von Bedeutung am Telefon zu sagen. Und schon gar nicht in der Burg selbst.

      Aber hier ist der politische Feind nicht zu übersehen, was die Situation, die Bedrohung, auf gewisse Weise einfach macht. Søren Schouw, der gefährlich schwankt, jetzt mit einer Zigarette in der einen Hand herumfuchtelnd, wird aller Wahrscheinlichkeit nach von nun an alles tun, um sie in Schwierigkeiten zu bringen. Unmittelbar sieht er aus wie einer, der sich mit seinem schmerzhaften, selbstzerstörerischen Verhalten, mit dessen Beschreibung die Presse sich schwer tun wird, selbst in größte Gefahr bringt. Aber man kann nie wissen, von welcher Plattform aus er vorgeht. Kann er nur auf seinen eigenen Rachedurst bauen, oder wird er auf einer Welle hochgestreckter Hände getragen, die ihn lieben und aus dem einen oder anderen Grund dabei sein wollen, wenn es gilt, seine Niederlage zu rächen?

      Charlotte beobachtet die Gesichter der Menschen, die vor ihr stehen. Die meisten lächeln sie entgegenkommend an, während der Staatssekretär sie im »größten Umweltministerium der Welt« begrüßt, »das Sie ja, von der anderen Seite des Tisches aus, bestens kennen. Als einer der Wachhunde, die uns häufig an die Hosenbeine gegangen sind, aber auch als einsichtsvolle Fachfrau, von deren Kenntnissen wir oft profitieren konnten.« Der Staatssekretär steigt herunter, man klatscht, prostet sich zu, und dann kommt der Augenblick, den alle offensichtlich gleichermaßen fürchten wie erwarten und der Kameraleute und Journalisten enger um das Podium rücken lässt: Søren Schouws Rede, die traditionell damit beendet wird, dem Nachfolger ein Geschenk zu übergeben.

      Er hat kaum angefangen zu sprechen, abgehackt, unzusammenhängend, wobei Asche von der Zigarette fliegt, als rundherum Lippen zusammengepresst werden und man auf die Schuhspitzen starrt. Seine Rede ist eine Katastrophe, ein Durcheinander bitterer Ausfälle über die »brutale Exekution« durch den